Wie waren die Achtziger eigentlich in der DDR? Welche Bands hörte man? Wie kam man an die Musik ran, und auf welche Konzerte konnte man gehen? Ein Ohrenzeugenbericht.
Ich habe meine Kindheit in der DDR verbracht, ziemlich typisch sogar: wir wohnten im Plattenbau, fuhren Trabi, und im Urlaub ging’s bestenfalls an die Ostsee.
Die Achtziger waren die aufregende Zeit, in der mein Interesse für Musik erwachte. Meine ersten Kassetten sind mit den Stars beschriftet, die man auch im Westen hörte: U2, INXS, Midnight Oil, Prince, Tears for Fears, Simple Minds, Billy Idol und Depeche Mode. Ich hörte Radio: Rias 2 und Bayern 3 über UKW. Westsender konnte man in der ganzen DDR empfangen, außer im „Tal der Ahnungslosen“ – so nannten wir die Region hinter Dresden. Mein Vater wollte mich nicht „Formel 1“ (mit Steffi Tücking) gucken lassen, aber nicht weil das in der ARD lief, sondern weil er „die Negermusik“ nicht leiden konnte.
Es war die Zeit des kalten Krieges und des Wettrüstens zwischen den USA und der Sowjetunion. Lehrer und Funktionäre hetzten massiv gegen den Westen. Aber bis auf die Kinder von Parteimitgliedern und Polizisten hörte und sah in meinem Umfeld niemand Ostsender. Das war absolut out.
I Still Haven’t Found What I’m Looking For
Ich saß Abende lang vor meinem 750-Ostmark-Mono-Kassettenrekorder und nahm meine Lieblingstitel auf. Das nervigste an dieser Methode waren Moderatoren, die mitten in die Songs reinquatschten, und dass man niemals alle Stücke eines Albums zusammenkriegte. Ohne West-Verwandschaft hatte ich leider keine Chance, an Platten zu kommen. Für eine Kopie vom Original musste man den Freund vom Freund bezirzen oder sich mit einer Kasettenkopie von einer Kassettenkopie zufrieden geben. Die Cover dafür bastelte ich aus erbettelten „BRAVO“-Schnipseln selber.
Die einzige DDR-Plattenfirma „Amiga“ führte niemals aktuelle Alben von internationalen Künstlern. Das Repertoire und die Auflagen waren äußerst begrenzt: zensierte Mangelwirtschaft. Ohne Devisen oder Tauschware ging gar nichts.
Der Tag, an dem mir klar wurde, dass die Mauer mich daran hindern könnte, jemals im Leben meine Lieblingsband U2 live zu sehen, ließ mich innerlich mindestens 3 Jahre altern.
Entschuldigen Sie, ist das der Sonderzug nach Pankow?
983 richtete Udo Lindenberg seinen persönlichen Protest-Song an Erich Honecker. Ich kann ihn heute noch auswendig: „…ich muss mal eben da hin, mal eben nach Ost-Berlin. Ich muss da was klär'n, mit eurem Ober-Indianer, ich bin ein Jodeltalent, und will da spiel'n mit ner Band“
(Sonderzug nach Pankow).
Die DDR-Führung erklärte Lindenberg erst mal zur Unperson, lud ihn dann aber tatsächlich zu einer Tournee ein. Er durfte bei „Rock für den Frieden“ in Berlin auftreten, vor 4200 treuen FDJ-lern und 300 Sicherheitskräften. Vor dem Republikpalast gab’s beunruhigende Sprechchöre der wahren Fans. Und weil Udo sowjetische SS20 genauso doof wie amerikanische Pershings fand, haben sie ihn dann einfach wieder ausgeladen.
BAP sagte 1984 eine bereits geplante DDR-Tour ab, weil sie sich nicht verbieten lassen wollten, ihr neues Lied "Deshalv spill mer he" zu singen.
Über sieben Brücken musst du gehen
DDR-Rockgruppen gab es natürlich auch, zum Beispiel: die Puhdys, Karat, Silly, Petra Zieger & Band, Rockhaus, City und Pankow. Vereinzelt konnten die sich sogar international behaupten. Das bekannteste Stück „Über sieben Brücken musst du gehn“ von Karat wurde aber erst 1981 in der Cover-Version von Peter Maffay wirklich ein Hit.
Uns Teenagern kamen die etablierten DDR-Bands steif und lächerlich vor.
Mit vom Staat verordnet durchweg deutschen Texten, die allenfalls methaphorisch waren, aber nie systemkritisch. Zu ihrer Ehrenrettung muss man sagen: Es waren hochprofessionelle Musiker. Wer in der DDR Platten aufnehmen oder Konzerte geben wollte, brauchte Befähigungsnachweise, für die Prüfungen abgelegt werden mussten, in der Reihenfolge Auftrittserlaubnis, Sondererlaubnis, Berufsausweis. Die Stasi verschaffte sich Informanten in jeder Band. Wer sich nicht konform verhielt, bekam Berufsverbot oder ging in den Westen, wie Nina Hagen schon in den Siebzigern. Zu allem Übel gab’s auch noch eine DDR-Quote. Ob im Radio, auf der Bühne oder in der Disko – es mussten 60 Prozent Ostblock-Titel gespielt werden!
Born in the USA
Um den wachsenden Frust der DDR-Jugend zu mildern, holte der Staat 1988 einen großen West-Star in die Hauptstadt. Bruce Springsteen sang vor 160.000 Menschen „Born In The USA“. Das war zwar ein Lied über den Vietnam-Krieg, aber der Refrain passte gut zu unserer Vorliebe für doppelsinnige Texte. Danken durften wir dafür Michael Gorbatschow, der 1985 Glasnost und Perestroika einleitete (Offenheit und Umstrukturierung). Die DDR-Führung konnte immer weniger gegen den wachsenden „Ungehorsam“ ihres Volkes ausrichten.
Strahlend wird die Zukunft sein
Im Untergrund wuchsen junge Bands heran, die auf inoffiziellen Konzerten unangepasste, teils englischsprachige Punkmusik spielten und die ihre Kritik direkt herausschrien. Einer meiner Favoriten waren die „Skeptiker“: „Ich werde das Gefühl nicht los, dass man uns bescheißt. Explodieren könnte ich vor Wut, die mich zerreißt. Morgen, morgen, nur nicht heut, ich hab genug davon, …“.
Ich hörte und sah: Big Savod And The Deep Manko (savod ist russisch und heißt Betrieb), Sandow, Feeling B, Die Art, Herbst in Peking und Tina Has Never Had A Teddybear.
Ab Dezember 1987 sendete der DDR-Jugendsender DT64 20 Stunden täglich, wurde weltoffener und ernstzunehmender. Es wurden internationale Charts gespielt und ganze Alben, die es in der DDR nicht zu kaufen gab. Wir mussten nicht mehr nur Radiosender aus einer anderen, fremden Welt hören. In der brisanten Vorwendezeit wurde DT64 Sprachrohr und bald auch Kult. Eine Entwicklung hatte begonnen, die sich nicht mehr stoppen ließ. Pünktlich zum Ende der Achtziger fiel die Mauer, und ganz plötzlich war für mich der Weg zum nächsten U2-Konzert offen…
Quelle: SWR3 <<= hier gibt es auch noch die Bilder dazu