Vor 23 Jahren wurde der "Sprayer von Zürich", Harald Nägeli, wegen Sachbeschädigung im großen Stil verhaftet. Die Diskussion von damals wird auch heute noch geführt: Ist Graffiti Kunst oder reiner Vandalismus?
Am 28.8.1983 verhafteten die deutschen Behörden Harald Nägeli im schleswig-holsteinischen Puttgarden und lieferten ihn an die Schweiz aus. Der Züricher Graffiti-Künstler wurde per internationalem Haftbefehl wegen eines Vergehens gesucht, das schon damals die Gemüter spaltete: Von 1977 bis 1979 hatte Nägeli seine Heimatstadt mit schätzungsweise 400 bis 600 Strichfiguren aus der Spraydose "verziert". Viele Züricher waren empört, ihre Stadt derart "verschandelt" zu sehen, andere empfanden die im Schutz der Dunkelheit filigran gesprühten Strichmännchen als Kunstwerke.
Sprühen gegen Gewalt und Spießertum
Nach Verbüßung seiner neunmonatigen Haftstrafe zog Nägeli nach Deutschland, wo er schon vorher gearbeitet hatte. Von seiner neuen Heimat zeigte sich der diplomierte Psychologe begeistert: Hier sei man nicht so spießig. Und genau gegen Spießertum und Gewalt wolle er mit seinen schnellen Zeichnungen protestieren. In den folgenden Jahren sprühte Nägeli weiter - bis heute. Mittlerweile gilt er als anerkannter Künstler, sogar die Stadt Zürich hat ihren Frieden mit ihm geschlossen: Die Zeichnung "Undine", die er 1978 illegal an die Betonwand des Physikinstitus gesprüht hatte, wurde mittlerweile als "erhaltenswert" restauriert und konserviert. Dennoch ist Nägeli wegen seiner Abneigung gegen Museen nur einem kleinen Publikum bekannt - und noch etwas lehnt der heute 66-Jährige ab: die "Sprayer" von heute. Mit ihren Attacken auf Züge, Brücken und Bahnhöfe zeigten sie weder Originalität noch Aussage.
Nervenkitzel oder Kreativität?
Die öffentliche Kritik an heutigen Graffiti-Aktivisten geht indes noch weiter: Sie werden als "Vandalen" bezeichnet, die mutwillig das Eigentum anderer zerstören und den Nervenkitzel beim illegalen Sprühen suchen. Genau diese Motivation steht aber laut einer Untersuchung der Universität Potsdam gar nicht im Vordergrund: Vielmehr suchen die meisten Kreativität, ein Dazu-Gehörigkeitsgefühl und Selbstbestätigung im Wettkampf mit anderen Sprayern.
"Tags", "Pieces" und Characters"
Befürworter der Graffiti-Szene sehen in den bunten Schriftzügen dagegen moderne Kunstwerke. So oder so sind Graffitis aus dem Bild unserer Großstädte nicht mehr wegzudenken. Auch gilt es zu differenzieren zwischen den so genannten "Tags", Signaturkürzeln, die nur aus schnell gesprühten Buchstaben bestehen, und aufwendigen "Pieces", großflächigen Stücken, die oft mit "Characters", figürlichen Darstellungen, verziert werden. Einige versierte Sprayer schaffen sogar den Sprung in die Kunstszene: Sie machen das illegale Hobby zum Beruf und verdienen sich mit Auftragsarbeiten ihr Geld. Mittlerweile setzen nicht nur Jugendclubs auf die farbenfrohen Verschönerungen, auch andere öffentliche Einrichtungen heuern Graffiti-Künstler an - so zum Beispiel die Stadtwerke München, die den bekannten Sprayer Loomit engagierten, damit er zwölf Trafohäuschen in Kunstwerke verwandelte.
Übrigens sind Graffiti keine Erfindung unserer Zeit: Bei Ausgrabungen im alten Pompeji fanden Archäologen Wandparolen und -bilder.
Die wichtigsten Begriffe
* Blackbook: eine Art Skizzenbuch
* bomben: sowohl das illegale Sprühen an sich als auch schnelle Graffiti, die innerhalb weniger Minuten angefertigt werden
* Character: Figürliche Darstellung
* Crew (auch Posse): eine Gruppe von Sprühern, die sich einen Namen geben, den sie taggen
* Fame: Bekanntheit und Anerkennung eines Sprühers, wird durch häufiges oder besonders gutes Sprühen vergrößert
* Piece: aufwendiges, großes Graffiti
* Outlines: Umrandung von Buchstaben
* Tag/taggen: schnell gesprühte Signaturkürzel
* Whole train: der Länge und der Breite nach mit einem Bild besprühter Waggon. Fährt der Zug damit durch die Stadt, vermehrt das den Fame des Sprühers.
Stand: 28.08.2006
Quelle: ard.de