Deutschland - Ein Sommermärchen

  • "Diese Straße führte hierher", singt schließlich Xavier Naidoo, in leichter Abwandlung des Originaltextes seines Songs "Dieser Weg". Natürlich.


    Sönke Wortmanns Sommermärchen endet dort, wo es enden muss: bei der Siegesfeier in Berlin. Schweini, Poldi, Klinsi und Co. lassen zusammen mit einer halben Million Menschen vor dem Brandenburger Tor eine WM ausklingen, die ein ganzes Land gerührt, euphorisiert und trunken gemacht hat. Und wir haben auch nach vier Wochen Fußball-Nonstop-TV voll mit Spielen, Analysen, Interviews und Fanmeilen-Wahnsinn noch nicht alles gesehen.


    "Wunder von Bern"-Regisseur Sönke Wortmann liefert drei Monate nach der WM die versprochenen spektakulären Innenansichten aus dem Mikrokosmos Nationalmannschaft.


    Es sind Bilder, die vieles erklären und alle faszinieren, Bilder, die keinen kalt lassen. Ganz egal übrigens, ob Fußballfan oder nicht - da sind die Grenzen im schwarz-rot-geilen Sommer '06 ohnehin aufgeweicht worden. "Deutschland - Ein Sommermärchen" ist ein schöner Titel. Da steckt ein wenig von der Melancholie drin, die am Ende der 107 Filmminuten etwas bitter auf der Zunge schmeckt. Ein Gefühl, das mit der Gewissheit zu tun hat: Es war einmal ... - und so etwas kommt nie wieder.


    Was für immer bleibt, ist die Erinnerung an einen verrückten, gewiss überemotionalisierten Sommer, an dessen Ende keiner mehr sagen konnte: "Das ist doch nur Fußball." Viel mehr war's. Und Wortmann hat diesem Gefühl, dieser Erinnerung, diesem Phänomen das angemessene Denkmal gesetzt.


    Der Filmemacher hatte Jürgen Klinsmann und die Nationalmannschaft vor und während der Fußball-WM, oft im wahrsten Sinne des Wortes "hautnah", mit der Kamera begleitet. Er hat 100 Stunden Aufnahmen in der Kabine, im Bus, im Flieger, im Hotelbett, beim Geheimtraining, im Massageraum, in Klinsis Wohnhaus am Strand von Huntington Beach zusammengetragen, war täglich sechs bis acht Stunden mit der Mannschaft zusammen, konnte sich "völlig frei bewegen" und ist "in keinster Weise gegängelt" worden.


    Selbst beim Albtraum, mit dem der Film beginnt, ließen sie Wortmann draufhalten. Dortmund, 4. Juli, 23.50 Uhr: Totenstille in der Kabine. Was gäbe es jetzt auch zu sagen! Nach dem dramatischen Halbfinal-Aus gegen Italien fiel einem ja selbst als Zuschauer nichts mehr ein.


    Schnell weg von der niederschmetternden Trauerstimmung und sieben Wochen zurück, mitten hinein ins Regenerationstraingslager auf Sardinien. Von nun an zieht der Film seine dramaturgische Spannkraft aus der Chronologie der Ereignisse. Natürlich geht's relaxt los.


    Da schmeißt Arne Friedrich eine Geburtstagsparty, bei der Bastian Schweinsteiger bedienen muss, weil er zuvor beim Elfer-Schießen verlor. Da führt die "Schweinicam" das herausragende Bowling-Talent von Michael Ballacks Lebensgefährtin Simone vor Augen, und David Odonkor parliert mit unschuldigstem Blick, wie er von seiner Last-Minute-Nominierung erfuhr:


    "Der Dieter Eilts rief mich an und sagte: 'David, du bist nicht bei der U-21-EM dabei." Völlig von den Socken habe er nur "Warum?" gestammelt, erzählt Odonkor, worauf der U-21-Coach antwortete: "Weil du bei der WM dabei bist!"


    Ernste Töne gibt's in diesem Part fast nur von Klinsmanns Seite. Es sind, wie immer kurze, einfache, mitunter derbe, extrem pointierte Ansprachen: "Jungs, was in der Zeitung steht, ist absolut egal. Weil es absolut nichts mit dem zu tun hat, was auf dem Platz passiert." Nach dem Eröffnungsspiel wird er brüllen: "Geil. Geil. Affengeil."


    Während Klinsmann, der Ballack intern nur den "Kapitano" nennt, den Einpeitscher gibt und seinen Spielern reihenweise Sätze wie "Die hauen wir weg!", "Die haben Muffe", "Hier brennt der Baum!" ins Gesicht schreit, bleiben Assistenzcoach Jogi Löw die subtileren Momente: Vor dem Eröffnungsspiel lässt er nachts im Hotelgarten die taktische Aufstellung mit brennenden Fackeln nachstellen. Und im Hintergrund weiß auch Naidoo: "Dieser Weg wird kein leichter sein" ...


    Wortmann kommt ohne Off-Kommentar aus, verzichtet weitgehend auf emotionalisierende Stilmittel wie Zeitlupen, Weichzeichner oder allzu pathetische Musik-Unterlage. Die oft dokumentarisch-wackligen Bilder, die Nähe, die Aussagen, die Gesichter der Spieler - all das steht und wirkt für sich. Natürlich auch, weil jeder Zuschauer die Geschichten dazu schon kennt - wie die von Oliver Neuvilles 1:0 in der Nachspielzeit gegen Polen, das von Odonkor so glänzend vorbereitet worden war.


    Jener Odonkor wird am Morgen nach dem Spiel von Dortmund noch völlig durch den Wind seine Zimmertür mit der Zahnbürste im Mund öffnen und Wortmann gestehen, dass er "heut Nacht eigentlich gar nichts geträumt" habe.


    Und Neuville wird später, nach dem Achtelfinale in München, bei einer höchst denkwürdigen Urinprobe gefilmt - zweifellos gehört diese Szene, neben den Gags der beiden Spaßvögel Poldi und Schweini, zu den Brüllern im Film.


    Eher unfreiwillig komisch ist der Auftritt von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Horst Köhler, die sich nach dem Halbfinale in die Kabine der Trauernden wagen, mit ihren aufmunternd gemeinten Worten jedoch nicht wirklich durchkommen ...


    Deutlich wird: Was diese Mannschaft und ihre immense Strahlkraft ausmachte, ist neben dem Erfolg die Tatsache, dass sie - ganz zu Recht - höhere Sympathiewerte hatte als jedes andere Nationalteam zuvor. Man erlebt die Spieler im Dokumentarfilm nahbar und überwiegend als ganz normale Jungs, nicht als Stars: lustig, nachdenklich, nervös, ängstlich, stolz, siegestrunken.


    Wenn die Mannschaft nach dem Elfmeter-Krimi gegen Argentinien, im Bus eine gigantische La-Ola, gebildet von Bundeswehrsoldaten am Straßenrand, passiert, dann ist an den bewegten Gesichtern abzulesen, dass die Spieler sehr wohl mitbekamen, was im Land los war. Überhaupt ist erstaunlich, wann und wo überall der Fernseher lief und wie oft Fan und Spieler sich begegneten - von Abschottung kann sicher keine Rede sein.


    Schon etwas abgezockter als die meisten anderen "Jungs", aber nicht minder sympathisch, kommen die Torhüter Jens Lehmann und Oliver Kahn rüber. Sie sprechen offen über ihren Umgang miteinander. Kahn sagt: "Freunde werden wir nie", und Lehmann bekennt: "Wir gehen uns aus dem Weg." Ihrer Geschichte wird hier nebenbei ein kleines Denkmal gesetzt, Höhepunkt der berühmte Händedruck vor dem Elfmeterschießen gegen Argentinien. Lehmann: "Er hat gesagt: 'Junge, das ist dein Ding. Viel Glück!"


    Wer sich von "Deutschland - Ein Sommermärchen" die große Neuigkeit, die Offenbarung, die "wahre Geschichte" der deutschen Nationalmannschaft 2006 erwartet, wird enttäuscht sein - nicht nur, weil "Bild" fragwürdigerweise vorab alle halbwegs News-relevanten Statements abdrucken durfte.


    Wer aber noch einmal diese ganz besondere Atmosphäre der vier WM-Wochen atmen will, wird diesen Film voller Gänsehaut-Momente lieben. Klinsmann würde ganz sicher sagen: "Jungs, des is phänomenal!"


    Bewertung: ausgezeichnet


    Deutschland - Ein SommermärchenGenre: Dokumentarfilm
    Starttermin: 05.10.2006
    Verleih: Kinowelt
    Entstehungsland: D
    Entstehungsjahr: 2006
    Laufzeit: 107 Min.
    Regie: Sönke Wortmann


    quelle: dpa


    ein fall für's kino, würde ich sagen. ;)

    Unterwegs sein


    das ist es doch
    per pedes per Rad
    per Bahn per Flugzeug
    per Kopf in ferne Zonen
    zu finden was unauffindbar
    jenseits der Grenzen
    deiner selbst

  • Zitat

    Original von Andreas Fehrmann
    ... wer hat es schon gesehen? Kann man sich das auch als "Nichtfussballfan" ansehen?


    Ich weiß nicht, ob das wirlkich Sinn macht? Die ganze Euphorie und den Enthusiasmus kann man wohl nur verstehen, wenn man Fußballverrückt ist. :D

  • Zitat

    Original von Tatzelwurm
    Oder auch nicht ;)
    Bei meinem Draht zu Fußball würde ich mich ehre zu tode langweilen :]


    der thread war eigentlich auch an echte männer gerichtet und nicht an tussis. :lol:

    Unterwegs sein


    das ist es doch
    per pedes per Rad
    per Bahn per Flugzeug
    per Kopf in ferne Zonen
    zu finden was unauffindbar
    jenseits der Grenzen
    deiner selbst

  • Zitat

    Original von Andreas Fehrmann
    .... du bist zwar weit weg von mir, aber mit 1,93 M und 95 KG gehöre ich wohl nicht zu den Tussis - auch ohne richtiges Fussballinteresse. Hör ich da eine Polarisierung raus? Gleichberechtigung für alle Sportarten! Es lebe die Vielfalt!
    ;)


    äh, was haben tussis mit grösse und gewicht zu tun?


    sportarten wie volleyball, badminton, golf, reiten, eiskunstlaufen oder schwimmen sind in meinen augen einfach nur tuckig.


    fussball und formel1 rox!


    und wer den film halt nicht sehen will, der soll sich doch "die brücken am fluss" oder "legenden der leidenschaft" ansehen. :lol:

  • Zitat

    Original von Tatzelwurm
    :nö: Eishockey und Formel 1 :]


    naja, Sch(eis)hockey ist gerade noch im rahmen. :spot:

    Unterwegs sein


    das ist es doch
    per pedes per Rad
    per Bahn per Flugzeug
    per Kopf in ferne Zonen
    zu finden was unauffindbar
    jenseits der Grenzen
    deiner selbst

  • .... offensichtlich haben wir ein anderes Sprachverständnis. Bei mir ist Tussi (wie von dir genannt) eindeutig weiblich. Daher mein Hinweis auf meine Körpergröße. Hier übrigens die Erklärung:
    THUSNELDA -> TUSSI
    Während Thusneldas Name im 19. Jahrhundert noch positiv besetzt war, kam es im 20. Jahrhundert zu einer Umdeutung. Mitverantwortlich ist wohl die Schullektüre von Heinrich von Kleists Die Hermannsschlacht. Der Name wurde als negativ besetzte Bezeichnung für Ehepartnerinnen, Lebensgefährtinnen und Dienstbotinnen benutzt. Aus Thusnelda entstand Die Tusnelda und schließlich Die Tussi. Heute ist der Begriff fast ausschließlich negativ besetzt und zeichnet das Bild einer eitlen, „modeabhängigen“ und „zickigen“ Frau; oft sind auch Dummheit, Oberflächlichkeit und Arroganz zusätzliche Eigenschaften, die einer Tussi zugeschrieben werden. In der Regel wird er für entsprechende Teenager-Mädchen und junge Frauen verwendet.


    Wenn ich deine strikte Ablehnung zu bestimmten Dingen (auch Sportarten) lese, geht mir durch den Kopf, dass du vielleicht auch ein bisschen toleranter sein solltest. Ich hab ja als bekennender Nichtfussballfan auch Interesse gezeigt. Die Welt ist vielleicht bunter als wir denken ....
    :]
    Schönes Wochenende!

  • Zitat

    Original von Andreas Fehrmann
    .... offensichtlich haben wir ein anderes Sprachverständnis. Bei mir ist Tussi (wie von dir genannt) eindeutig weiblich. Daher mein Hinweis auf meine Körpergröße. Hier übrigens die Erklärung:
    THUSNELDA -> TUSSI
    Während Thusneldas Name im 19. Jahrhundert noch positiv besetzt war, kam es im 20. Jahrhundert zu einer Umdeutung. Mitverantwortlich ist wohl die Schullektüre von Heinrich von Kleists Die Hermannsschlacht. Der Name wurde als negativ besetzte Bezeichnung für Ehepartnerinnen, Lebensgefährtinnen und Dienstbotinnen benutzt. Aus Thusnelda entstand Die Tusnelda und schließlich Die Tussi. Heute ist der Begriff fast ausschließlich negativ besetzt und zeichnet das Bild einer eitlen, „modeabhängigen“ und „zickigen“ Frau; oft sind auch Dummheit, Oberflächlichkeit und Arroganz zusätzliche Eigenschaften, die einer Tussi zugeschrieben werden. In der Regel wird er für entsprechende Teenager-Mädchen und junge Frauen verwendet.


    Wenn ich deine strikte Ablehnung zu bestimmten Dingen (auch Sportarten) lese, geht mir durch den Kopf, dass du vielleicht auch ein bisschen toleranter sein solltest. Ich hab ja als bekennender Nichtfussballfan auch Interesse gezeigt. Die Welt ist vielleicht bunter als wir denken ....


    Schönes Wochenende!


    bevor du jetzt gleich wieder dein lexikon auspackst, sei dir gesagt, dass es hierbei lediglich um eine spassige ironie meinerseits ging. in zukunft werde ich, ironie resp. sarkasmus aber vorher deutlich kennzeichnen, damit auch leute wie du ihn verstehen. :harhar:
    kann allerdings auch sein, dass dir dazu das verständnis fehlt, bzw. die "toleranz". juckt mich aber eigentlich auch nicht wirklich.

    Unterwegs sein


    das ist es doch
    per pedes per Rad
    per Bahn per Flugzeug
    per Kopf in ferne Zonen
    zu finden was unauffindbar
    jenseits der Grenzen
    deiner selbst

    Einmal editiert, zuletzt von jcy ()