"Ausgepresst wie eine Zitrone"
Sieben-Tage-Wochen, 400 bis 600 Überstunden pro Polizist und eine zunehmende Überalterung: Die Polizei arbeitet am Rande des Zumutbaren. Auf dem Bundeskongress der Gewerkschaft der Polizei in Berlin wollen die Beamten ihrem Unmut Luft machen. Ein Bericht aus dem Polizeialltag.
Von Frank Thadeusz, [URL=http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,1185,OID6091548_TYP6_THE_NAV_REF2_BAB,00.html]tagesschau.de[/URL]
Arnold Plickert arbeitet seit 28 Jahren als Polizist und er ist darüber mit sich im Reinen: "Ich habe es bis heute nicht bereut, Polizist geworden zu sein", sagt er. Man muss diese Vorbemerkung wohl machen, denn am Wochenende hat sich der schnauzbärtige Leiter einer Polizei-Hundertschaft aus Bochum in den Zug gesetzt, und ist mit Wut im Bauch nach Berlin gefahren.
In dieser Woche tagt in der Hauptstadt der Bundeskongress der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Hoher Besuch hat sich aus diesem Anlass angesagt: Bundeskanzlerin Angela Merkel wird erscheinen und ebenso SPD-Chef Kurt Beck. Die Polit-Granden werden einiges zu hören bekommen, denn die Beamten fühlen sich schlecht behandelt. "Man kann die Zitrone nicht endlos auspressen", klagt der 49-jährige Plickert über die Zustände, die ihm und seinen Kollegen zu schaffen machen. Es wird kaum noch eingestellt, etwa 10.000 Stellen sind in den vergangenen Jahren gestrichen worden.
Probleme für die Sicherheit des Bürgers?
Dabei sind die Herausforderungen, denen sich die Polizei stellen muss, keineswegs kleiner geworden. Die Bedrohung durch mögliche terroristische Anschläge und zunehmende Aufmärsche von Neo-Nazis sowie linke Gegendemonstrationen fordern die Einsatzkräfte mehr denn je. Hinzu kommen eine Vielzahl von Großereignissen wie zuletzt die Fußball-Weltmeisterschaft, der Papstbesuch oder die Visite von US-Präsident George W. Bush. So kommt Plickert zu einem besorgniserregenden Befund: "Ein weiterer Stellenabbau wird dazu führen, dass es Probleme in der Sicherheit des Bürgers geben kann".
Schon jetzt gebe es auf den Wachen häufig Notbesetzungen, die gerade die eingehenden Notrufe abdecken könnten. Völlig unter den Tisch falle nach Plickerts Erfahrung die präventive Arbeit der Polizei, weil kaum noch Kollegen auf der Straße unterwegs seien. Doch der Sparzwang hat noch weit bizarrere Ausmaße: Schon appellierte der GdP-Vorsitzende Konrad Freiberg an die Bundesregierung, die Promillegrenze für Autofahrer bloß nicht auf null herabzusetzen. Es gebe nämlich schlicht nicht genug Beamte, die diese harte Linie auch durchsetzen könnten.
"Wir sind am Limit"
Auch für die Polizeibeamten selbst hat die Finanzmisere unmittelbare Auswirkungen: In Erinnerungen geblieben ist etwa jene Meldung aus Berlin, wonach Beamte kugelsichere Westen auf eigene Rechnung anschaffen müssten. Er und seine Kollegen hätten im Durchschnitt 400 bis 600 Überstunden im Jahr angehäuft, berichtet Plickert. "Die können nicht abgefeiert werden - so viel Zeit haben wir gar nicht." Auch gebe es in vielen Bereichen längst kein Weihnachts- und Urlaubsgeld mehr. Die Auslastung der Beamten sei mit 350 bis 400 bearbeiteten Vorgängen im Monat kaum noch zu steigern. "Wir sind am Limit", warnt Plickert.
Auf absehbare Zeit droht den Ordnungskräften gleichwohl ein weiterer Schlag - laut Plickert eine "demografische Zeitbombe". In den siebziger Jahren hatte die Polizei nach dem Anschlag auf die Olympischen Spiele in München 1972 und die zunehmende Bedrohung durch die RAF massiv Personal eingestellt. Viele dieser Kollegen erreichen um das Jahr 2015 herum ihre Pensionierungsgrenze. Neben dem zu erwartenden Aderlass seien dann etwa 50 Prozent aller Polizeibeamten in Deutschland zwischen 50 und 60 Jahre alt. "Das wird dramatische Auswirkungen haben", sagt der Einsatzleiter aus Bochum mit Blick auf die künftige Rentner-Polizei voraus.
"Verbal sehr massiv angegangen"
Doch schon in der Gegenwart werde es für seine Kollegen mitunter sehr ungemütlich. Polizisten würden insbesondere von jungen Leuten "verbal sehr massiv angegangen", hat Plickert beobachtet. Ebenso sei "die Hemmschwelle, Polizisten auch körperlich anzugreifen, erheblich reduziert". Auch solche Wahrnehmungen gehören seiner Meinung nach auf den Berliner Bundeskongress, wo auch die Spitzenpolitiker zuhören.
Man könnte also glauben, Arnold Plickert verspüre einen gewissen Überdruss an seiner Arbeit. Doch weit gefehlt: "Wenn man akzeptiert, dass die Arbeitswoche nicht nur von Montag bis Freitag dauert und auch nicht nach 40 Stunden vorbei ist, ist das wirklich ein sehr schöner Beruf", bilanziert der Beamte.
Stand: 13.11.2006 14:46 Uhr