Kein Mann vieler Worte

  • Zum 100. Geburtstag Jacques Tatis


    Als Monsieur Hulot hat Jacques Tatis erst ganz Frankreich und später dann auch Hollywood zum Lachen gebracht. Dabei habe er ein großes Problem gehabt, sagt Filmexperte Aubron. Denn Tati wollte gar nicht komisch sein. Tati wäre heute 100 Jahre alt geworden.


    Von Angela Ulrich, ARD-Hörfunkstudio Paris


    Eine Pfeife, ein Hut, ein kurzer Mantel und viel zu kurze Hosen. Dazu scheinbar ungelenke, schlacksige Bewegungen. Das war Monsieur Hulot. Ein Alltags-Chaot, ein chronisch Überforderter der Moderne. Jacques Tati spielte und lebte seine Filmfigur Monsieur Hulot - ein Anti-Held des französischen Kinos. Tatis bekanntestes Werk war "Mein Onkel". Dafür bekam er 1958 sogar den Oscar. Die Komödie des Monsieur Hulot, der seinem Neffen in einem sterilen Pariser Villenvorort das wahre Leben näher bringen will und mit grotesken Alltags-Pannen zu kämpfen hat. "Vielen fallen in Gesprächen sofort Alltags-Gags von Tati ein, zum Beispiel eine quietschende Tür. Und gleichzeitig ist er sehr wichtig für Film-Theoretiker und Kinoexperten. Denn von seinem ersten bis zum letzten Werk waren das sehr theoretische, fast experimentelle Filme", sagt Hervé Aubron von der Kinofachzeitschrift "Cahiers du Cinéma".


    Nicht das gesprochene Wort zählt


    Jacques Tati wird als Jacques Tatischeff 1907 als Sohn russisch-niederländischer Einwanderer in Nordfrankreich geboren. Er wird Bilderrahmenbauer wie der Vater, tritt aber dann zu dessen großem Ärger lieber als Pantomine und Slapstick-Künstler auf. Tati ist sportlich - spielt Rugby, Tennis, boxt - und parodiert all diese Sportarten gründlich. Ende der 30er-Jahre steht er einige Monate in Berlin auf der Bühne. Dann, nach dem Krieg, setzt er seine Parodien zu Filmen zusammen. Tatis "Schützenfest", oder "Die Ferien des Monsieur Hulot" werden Kassenschlager. Darin kommt es Tati nicht auf das gesprochene Wort an. "Ich habe die Dialoge stilisiert. Man hört nur Wort- und Satzfetzen. 'Zwei Bier' zum Beispiel in einem Bistro. Das ist keine dramatische Konstruktion, sondern eine Realität. Ich habe den Dialog unterdrückt, obwohl man ihn eigentlich braucht in einem Tonfilm. Das erinnert an ein impressionistisches Gemälde und amüsiert mich sehr", sagt Tati.


    Seine Filme male er wie Bilder, beschrieb Tati. Mit Szenen wie Farbtupfern, ganz natürlich. Doch in seinen späten Werken wie "Playtime" oder "Trafic" hat sich Tati in der Künstlichkeit verfangen. Eine ganze Film-Stadt ließ er für "Playtime" im Pariser Bois de Vincennes errichten - zehntausende Kubikmeter Stahl und Glas. Das Ergebnis war ein futuristisches Filmkunstwerk - und ein finanzieller Flop. Denn das Publikum suchte den komischen, den altertümlichen Monsieur Hulot und fand sich nicht mehr zurecht bei Tati. Er hatte aber eben genau diese beiden Seiten, sagt Filmexperte Aubron. "Einerseits trauerte er dem Frankreich von früher nach. Und gleichzeitig war er fasziniert von neuen, urbanen Landschaften. Standardisierten Gebäuden aus Stahl und Glas. Als Formalist, als Theoretiker interessierte er sich sehr für das, was er eigentlich aus tiefstem Herzen ablehnte."


    "Eigentlich war er gar nicht komisch"


    Tatis Problem sei es gewesen, dass er ganz anders war, als die Leute ihn wollten. "Er war eigentlich gar nicht komisch. Manchmal führt so ein Missverständnis in die Katastrophe. Und je weiter Tati ging, desto mehr wurde er zu einer Art traurigem Clown. Die Franzosen liebten den Spaßmacher Monsieur Hulot - aber je länger es dauerte, desto weniger wollte Tati dieses Spiel mitspielen", so Aubron.
    Tati war krank und pleite, als er vor bald 25 Jahren nahe Paris starb. Doch in den letzten Jahren haben ihn die Franzosen wiederentdeckt - als einen der großen Zivilisationskritiker seiner Zeit.


    Stand: 09.10.2007 05:02 Uhr
    Quelle: tagessscahu.de