Radio: Studio LCB

  • 26.01.2008
    20.05 - 22.00 (115 min.)
    DEUTSCHLANDFUNK

    Studio LCB


    "Gegen den Tag" heißt der neue Roman Thomas Pynchons, des großen Unsichtbaren der amerikanischen Literatur, der keine Interviews gibt und keine Lesungen veranstaltet. "Gegen den Tag": Das sind 1085 engbedruckte Seiten, Hunderte von Charakteren und eine von keinem noch so versierten Leser voraussehbare Handlung, die sich in seitenlangen Exkursen auf entlegene Wissensgebiete wie die Quaternionen als Erweiterung der reellen Zahlen oder die optischen Eigenschaften des auch als Doppelspat bekannten Islandspats aus der Familie der Calciten ergeht. "Gegen den Tag" ist ein einzigartiges, das heißt durch und durch originelles Buch: in seinen besten Momenten emotional mitreißend und intellektuell brillant, anrührend, aber nie sentimental, mal todtraurig, mal brüllend komisch, bis zur letzten Seite so unvorhersehbar wie eine Achterbahnfahrt im Dunkeln. Diese Unberechenbarkeit der Handlungsführung hat gute Gründe. Wie in dem berühmten "Die-Rinder-des-Helios-Kapitel" des "Ulysses", in dem James Joyce die Geschichte und Evolution der englischen Sprache von ihren Anfängen bis in die Gegenwart des Dublin von 1906 nacherzählt, lässt auch Pynchon in seinem neuen Roman eine Entwicklung wie im Zeitraffer vor dem Auge des Lesers stattfinden. "Against the Day" ist unter anderem eine kurze Geschichte der Genreliteratur, also von Science-Fiction und Fantasy, dem Abenteuer-, Horror-, Western- und Detektivroman. Pynchon imitiert und persifliert die Großmeister dieser Genres von Jules Verne über H. P. Lovecraft, Edgar Rice Burroughs, Jack Williamson, Isaac Asimov und Robert A. Heinlein bis zu Zane Grey, überbietet und übertrumpft sie an fantastischen Einfällen und unterläuft so souverän alle Erwartungshaltungen, wie denn ein historischer Roman, dessen Handlung im Wesentlichen zwischen der Weltausstellung von Chicago 1893 und 1914 spielt, heute aussehen könnte. Im Literarischen Colloquium Berlin wird der Übersetzer Nikolaus Stingl einige Passagen aus seiner mit Dirk van Gunsteren erstellten und kürzlich abgeschlossenen Übersetzung von "Against the Day" lesen. Im Gespräch mit den Literaturwissenschaftlern Heinz Ickstadt und Friedrich Kittler soll eine erste Einordnung des neuen Großwerks von Thomas Pynchon versucht werden, das im Mai 2008 im Rowohlt Verlag erscheint.


    Termin vom 26.1.2008