Zehntausende Tote - Seuchen und Hunger drohen
Von Jürgen Kremb, Singapur
Burma am Abgrund: Zeugen berichten von der schlimmsten Naturkatastrophe seit dem Tsunami 2004. Inzwischen ist von 22.000 Toten die Rede, Reisfelder sind vernichtet, Seuchen drohen - doch die Junta lässt Helfer nur unter Auflagen ins Land. Bevor sie den Ärmsten helfen, räumen die Militärs erst Villenviertel auf.
Singapur - Der Regimekritiker wollte nur ein kurzes Überlebenszeichen übermitteln. Es wurde ein Schrei der Entrüstung. Stundenlang hatte sich der Mann die Finger wund gewählt, um überhaupt ins Ausland telefonieren zu können. Als er dann am heutigen Dienstag endlich nach Singapur durchkommt und SPIEGEL ONLINE über die Situation in Burma berichten kann, ruft der Mann aufgeregt ins Telefon: "Es sieht hier aus wie beim Weltuntergang!" Die Metropole Rangun sei durch den Zyklon "Nargis" verwüstet: "Alles ist zerstört, wir haben kein Trinkwasser mehr und auch nichts zu essen. Zehntausende müssen tot sein. Hunderttausende sind obdachlos."
Und was macht die Regierung? "Sie lassen erst mal die Straßen der Villenviertel räumen." Dann bricht die Leitung ab.
Falls die in Burma regierende Militär-Junta von seinem Anruf erfahren würde, könnte dem Mann wegen Subversion mit dem Ausland eine lange Haftstrafe und Folter drohen. Viel längere Augenzeugenberichte aus Burma sind derzeit nahezu unmöglich. Die Leitungen in das südostasiatische Land sind unterbrochen. Nur gelegentlich gelingt es Bewohnern des seit 46 Jahren von einer kruden Junta regierten Landes, im Ausland anzurufen.
Die Nachrichtenagentur dpa schaffte es, mit Carsten Schmidt zu telefonieren, einem Manager des Reisebüros Uniteam in Rangun. Auch er schildert Chaos nach dem verheerenden Wirbelsturm: Mit bloßen Händen räumen ihm zufolge die Menschen Trümmer, Schutt und umgefallene Bäume beiseite. Vor allem Mönche und Zivilisten rackern sich ab, nur allmählich werden sie von Soldaten unterstützt. Das sonst allgegenwärtige Militär sei anfangs kaum zu sehen gewesen. "Das größte Problem ist, dass es kein Strom und Wasser gibt", sagte Schmidt. Im ausgebuchten Savoy-Hotel unter deutscher Leitung seien "die Generatoren sieben Stunden an, dann wird es dunkel". Die Dieselpreise seien gestiegen, die Lebensmittelpreise sogar um das Dreifache: "Wer Geld hat und sich etwas kaufen kann, kommt durch. Aber die meisten Leute hier sind ja bitterarm", sagte Schmidt.
Solche Szenen bekommt der Rest der Welt allerdings nicht zu sehen. Die wenigen Fernsehbilder und Fotoaufnahmen stammen aus der Klamottenkiste des streng kontrollierten Staatsfernsehens - oder wurden von Reisenden gemacht, die in den vergangenen Tagen aus der Katastrophenzone fliehen konnten.
Auch die jetzigen Totenzahlen dürften zu niedrig liegen
Doch selbst was durch diese wenigen Kanäle an Informationen nach außen gelangt, klingt besorgniserregend. Denn Burma, auch schon vor "Nargis" das ärmste Land Südostasiens, zeigt alle Anzeichen eines kollabierenden Staates.
Vier Tage ist es nun schon her, dass der Zyklon über das Irrawaddy-Delta im Süden , dann die Sechs-Millionen-Einwohner-Stadt Rangun verwüstete und anschließend eine Schneise durch die Dschungelwälder an der Grenze zu Thailand schlug. Aber noch immer scheint die Regierung von General Than Shwe, 75, überfordert. Offenbar bekommt sie die Lage nicht in den Griff, kann die Hilfe nicht koordinieren. Die Militärs können noch nicht mal einen annähernden Überblick über das wahre Ausmaß der Katastrophe geben.
Ein Regimesprecher beharrte noch am Montagabend auf der Zahl von rund 4000 Toten - während Außenminister Nyan Win da schon vor ausländischen Diplomaten von mindestens 10.000 Toten sprach. Diese Zahl bezog sich allerdings allein auf die Stadt Bogalay in der am stärksten verwüsteten Deltaregion des Irrawaddy-Flusses. Entsprechend wurden die Opferschätzungen Stunden am Nachmittag erneut nach oben gesetzt: 22.000 Tote und 41.000 Vermisste sind es nach aktuellem Stand.
Doch auch diese Zahl dürfte noch zu niedrig sein. In der Region, die der Zyklon traf, leben knapp 24 Millionen Menschen.
Das Irrawaddy-Delta liegt großteils weniger als drei Meter über dem Meeresspiegel - Augenzeugen berichten, eine dreieinhalb Meter hohe Flutwelle sei auf die Küste zugerast. Ganze Dörfer wurden ausradiert: "Wir bekommen Meldungen aus der Delta-Region, dass einige Orte zu 95 Prozent zerstört sind", sagt Mathew Cochrane vom Internationalen Roten Kreuz. Für die meisten Menschen gab es keine Möglichkeit zur Flucht. Viele, die sich retten konnten, dürften jetzt kein Dach mehr über dem Kopf haben. Brunnen sind verschmutzt. Weil viele der Küstenbewohner vom Fischfang leben, müssen außerdem zum Zeitpunkt des Unglücks viele Boote auf dem Meer gewesen sein. Was mit ihnen passierte, auch darüber gibt es keine verlässliche Aussage.
Ein großer Teil der Reisernte hat schweren Schaden genommen. Der Wirbelsturm habe das Hauptanbaugebiet schwer getroffen, deshalb stehe jetzt die Versorgung der Bevölkerung in Frage, sagte Paul Risley, Sprecher des Uno-Welternährungsprogramms (WFP). Salzwasser sei in die Felder geschwemmt worden - jetzt wachse die Sorge, ob Burma sich selbst versorgen und wie versprochen die an Reisknappheit leidenden Länder Sri Lanka und Bangladesch beliefern könne.
Zehntausende Leichen, viel mehr Obdachlose ohne sauberes Trinkwasser und ohne Lebensmittel - das bedeutet auch: Es ist nur eine Frage der Zeit, wann die erste Seuchen ausbrechen, wann vor allem Kinder von Durchfallerkrankungen dahingerafft werden. Die EU geht davon aus, dass womöglich eine halbe Million Menschen in Burma Hilfe braucht.
Die größte Naturkatastrophe seit dem Tsunami 2004
Klar ist: Was da am Wochenende in Burma passiert ist, war der schlimmste Wirbelsturm seit einem Zyklon in Indien 1999 mit Zehntausenden Toten - und die verheerendste Naturkatastrophe seit dem Weihnachts-Tsunami 2004. Damals starben in Thailand, Indonesien, den Ländern Südasiens und in Afrika mehr als 230.000 Menschen.