Robert Schneider: Kristus. Das unerhörte Leben des Jan Beukels


  • Gesellschaftliche und damit machtpolitische Umbrüche sind noch stets im Gefolge von Perioden geistiger Revolutionen eingetreten. Sie bieten - wir kennen das aus der reichhaltigen Mittelalterliteratur - willkommenen Stoff für gewichtige historisierende Romane nach Art der "Säulen der Erde" oder der "Päpstin". Erstaunlich, daß sich erst jetzt ein Autor der Zeitenwende vom Mittelalter zur Neuzeit angenommen hat und tief in die Wirren der Reformationszeit am Anfang des 16. Jahrhunderts eingetaucht ist.
    Wir kennen Robert Schneider als den Autor von "Schlafes Bruder". Bereits hier hat er mit sicherem Blick geistige Ausnahmezustände mit Hilfe einer eigentlich banalen Geschichte in bestechender sprachliche Form zu erklären versucht. Die Geschichte des Jan van Leyden und der Wiedertäuferbewegung ist nun allerdings alles andere als banal. Zu nachhaltig hat sie das Geschehen der beginnenden Neuzeit beeinflußt. Wie Schneider, ausgehend von einem Schlüsselerlebnis seines Protagonisten im Kindesalter, die geistig-religiöse Entwicklung dieses gestörten und verstörten jungen Menschen zu einem religiösen und damit politischen Ärgernis im Heiligen Römischen Reich Deutschen Nation mit sicherem Strich nachzeichnet, gibt den Blick frei auf eine fremde Epoche. Wir modernen Menschen kennen daraus wohl Luther und andere Reformatoren, zu wenig aber wissen wir gemeinhin über das ideologische und pseudoreligiöseRankenwerk, welches die gewaltige geistige Umwälzung der Reformation auch hervorgebracht hat. Lautere Reformbestrebeungen und der religiöse Disput auf der Suche nach der einen Wahrheit stehen machtbesessenem Beharrungsvermögen und politischem Ränkespiel gegenüber, kalkulierte Nutzung religiösen Eiferertums und zynische Ausnutzung echter Religiosität mündet in fanatisches Sektierertum.
    In dieses Konglomerat stellt Schneider seinen Jan, den "König von Münster", und läßt ihn seinen Weg vom Suchenden zum Gescheiterten gehen. "Kristus" ist ein guter Roman, gut recherchiert und gut geschrieben. Für den an politischer wie Geistes- und Kulturgeschichte interessierten Leser bietet er eine Fülle von Anregungen. Wer eine Vorstellung davon entwickeln will, wie religiöser Fanatismus entstehen und welch schreckliche Auswirkungen solche Art der Geistesverwirrung nach sich ziehen kann, der greife zu diesem inhaltlich gewichtigen und dennoch nicht ausufernden, leicht lesbaren Roman.
    Das Vergnügen an der Lektüre könnte noch größer sein, wenn sie nicht zu oft unterbrochen würde durch heute nicht mehr geläufige Vokabeln, die man in den gängigen Lexika vergebens sucht. Die Anfügung eines Glossars ist dringend zu empfehlen. (Joachim Behnken)


    Robert Schneider: Kristus. Das unerhörte Leben des Jan Beukels
    Gebunden | Roman. | 607 S.| Aufbau-Verlag | ISBN 3-351-03013-4 | 24.90 EUR