Begegnung mit Jules Verne

  • In Amiens starb genau vor 100 Jahren der Visionär Jules Verne. Mehr denn je steht die Stadt in diesem Gedenkjahr in seinem Zeichen.


    Auf Schritt und Tritt begegnet man in der Hauptstadt der Picardie dem Andenken des weltberühmten Autors futuristischer Abenteuerromane.


    Natürlich hätte es sich angeboten, auch noch die Stadtbibliothek nach ihm zu benennen. Doch vielleicht wäre das dann wirklich zuviel des Guten gewesen. Das Krankenhaus, der prächtig renovierte Zirkus-Bau, der breite Boulevard, der vor seinem Eck-Wohnhaus verläuft, all diese Orte tragen seit langem Jules Vernes Namen. Und auch in der städtischen Bibliothek, die ausnahmsweise nach dem Schriftstellerkollegen Louis Aragon benannt ist, springt dem Besucher in der Lesehalle zuallererst ein Buch über Monsieur Jules ins Auge.


    Weitgereister Stadtrat


    Frankreichs Verkehrsminister Gilles de Robien hat über Verne, den "unbekannten Träumer" geschrieben, ein Pflichtstück war das sozusagen. Denn im Nebenberuf ist der Minister auch noch Bürgermeister von Amiens. In dieser Stadt an der Somme auf halber Strecke zwischen Lille und Paris, mitten in der Picardie, wo Kartoffeln und Zuckerrüben besonders gut wachsen, hat der Meister gut zwei Jahrzehnte, bis zu seinem Tod am 24. März 1905, gelebt, hat sich hier, wie er selbst einmal schrieb, "bis in die Zehenspitzen provinzialisiert". Schlecht ist es ihm dabei nicht ergangen. Verne, der Mann mit Salzwasser in den Haaren, und Amiens, die Stadt am Fluss mit einem der größten Friedhöfe Frankreichs, sind wohl gut miteinander ausgekommen, auch wenn sich der rauschebärtige Schriftsteller so manches Mal über die geistige Beschränktheit des Provinzpublikums mokierte. Immerhin schätzten die Amienser ihren weitgereisten und hoch berühmten Stadtrat Verne derart, dass sie ihn gleich vier Wahlperioden hintereinander in den Rat wählten. Vernes runden Todestag feiert die Stadt, dessen Einwohnerzahl sich in den letzten 100 Jahren von gut 60.000 auf inzwischen 135.000 Bürger mehr als verdoppelt hat, mit einem Reigen von Ausstellungen, Konzerten, Lesungen und Freiluftkino, aber auch - das liegt nahe - Ballonfahrten und Raketen-Feuerwerk. Selbst Paris, das dem visionären Vielschreiber die höchste literarische Anerkennung, die ersehnte Aufnahme in die Reihe der Unsterblichen der Academie francaise verweigert hatte, gibt ihm die Ehre: Das traditionsreiche Marinemuseum in der Nähe des Eiffelturms stellt Vernes spannende Unterwasser-Welt nach. Freilich: Dass einer der wichtigsten Orte für die Verne-Fans aus aller Welt Ende März, eine Woche nach dem Todestag, seine Pforten bis zum Ende des Jahres schließt, hat geradezu Schildbürger-Qualität.


    Üppige Sammlung


    Ausgerechnet im Jules-Verne-Jahr lässt die Stadt sein geräumiges Wohnhaus mit dem markanten Turm - ganz so, als sei man von dem runden Datum überrascht worden - von Grund auf renovieren. Platz soll geschaffen werden für eine zusätzliche üppige Sammlung. 30.000 Einzelstücke, darunter Manuskripte, Plakate und Möbel, umfasst der Fundus.


    1882 ziehen die Vernes in dieses dreistöckige Haus aus landestypisch rotem Backstein ein, das heute das "Internationale Verne-Zentrum" beherbergt. Im zweiten Stock dieses Hauses, mit Blick auf die - damals noch moderne - Eisenbahn, deren Lokomotivenqualm Verne allerdings beim Schreiben störte, entstanden gut 40 Romane, darunter "Robur, der Eroberer", der Nemo der Lüfte, oder "Mathias Sandorf", Vernes Version des Grafen von Monte-Christo. Nah genug an Paris, um nicht völlig aus der Welt zu sein, aber weit genug weg, um den "höllischen Lärm und die fruchtlose Hetze" der Hauptstadt nicht mehr ertragen zu müssen - in Amiens, Heimatstadt seiner Ehefrau, führt Verne das behäbige Leben eines fleißigen Provinz-Notablen. Dessen tägliches Leben hat nichts gemein mit den aufregenden Abenteuern seiner Romanhelden Phileas Fogg und Passepartout. Verne pflegt, nach Theater und Hausmusik, früh ins Bett zu gehen. Drei Romane pro Jahr, später zwei - das ist der Rhythmus, den ihm auch Verlegerfreund Pierre-Jules Hetzel aufnötigt. Bei soviel Ausstoß bleibt nicht aus, dass sich spätere Leser fragten, ob sich nicht in Wirklichkeit hinter der Marke "Jules Verne" ein Autorenkollektiv verbarg. Dabei hat der Mann weit mehr geschrieben, als man damals wusste: Erst 1994 entdeckte ein Enkel Vernes ein Manuskript, das Hetzel 1863 wegen des skeptischen Grundtons noch abgelehnt hatte zu drucken.


    "Paris im 20. Jahrhundert" wird, weniger aus literarischen, wohl mehr aus kuriosen Gründen, ein später Triumph Vernes. 70.0000 Exemplare wurden allein in Frankreich verkauft, ehe das Buch in inzwischen 37 Sprachen übersetzt worden ist. Mit Verne, von ihm selbst und über ihn, ist die Bibliothek "Louis Aragon" in Amiens sehr gut bestückt. Logisch in einer Stadt, in der man auf Schritt und Tritt ...


    Ein genialer Prophet der Technik


    Jules Verne wurde 1828 als Sohn eines Rechtsanwaltes in Nantes geboren. Als Elfjähriger heuerte er auf einem Segler mit Reiseziel Indien an, gerade noch rechtzeitig holte ihn sein Vater von Bord. Der abenteuerlustige Sohn studiert später Jus und hätte die väterliche Kanzlei übernehmen sollen. Aber er fühlte sich zur populären Schriftstellerei hingezogen. Nur dort konnte er mit überquellender Phantasie und der für ihn typischen Kombination aus Technik, Naturwissenschaft, Geografie und rasigem Abenteuer die Zügel schießen lassen. Die technische Weitsicht Jules Vernes war großartig: 1863 schrieb er etwa über das Paris des 20. Jahrhunderts. Er prophezeite unterirdische Stadtbahnen, elektrisches Licht und Elektroherde in allen Wohnungen und einen Verkehr von motorgetriebenen Fahrzeugen, der die Straßen verstopft. Voila, alles ist eingetroffen!


    1870 wird Verne Ritter der Ehrenlegion, sein geisteskranker Neffe schießt ihm 1886 in den Fuß, das Bein bleibt steif. In seinen letzten Lebensjahren kämpft Verne mit Diabetes, an dieser Krankheit stirbt er am 24. März 1905.


    Nähere Informationen zum "Jules Verne Jahr": www.amiens.com/tourisme


    vom 19.03.2005


    http://www.nachrichten.at/maga…4a41dc9b6ad1fdf75f6d83781