300 Unentwegte kamen trotz kräftigen Regens zum Theater in den Wasserpark Theaterlabor Bielefeld bezog das Publikum in seine Improvisationen ein
Von Ricarda Wenge
BERGKAMEN · Die Welt des 19. Jahrhunderts: Shuttle-Starts gab es nicht, Düsenjets und Transrapid waren meilenweit entfernt - doch der französische Schriftsteller Jules Verne entwarf bereits das Szenario vom Trip zum Mond. Wie selbstverständlich ließ er seine Romanhelden in die Tiefen des Ozeans hinabsteigen, das Innere der Erde erforschen oder auch in nur 80 Tagen den Globus umrunden. Und selbst wenn der Fortschritt die meisten von Vernes kühnsten Träumen längst eingeholt hat - seine Erzählungen haben an Spannung und Reiz nichts verloren. Vor knapp fünf Monaten, am 24. März, jährte sich der Todestag des weltberühmten Literaten und Visionärs zum 100. Mal - in Bergkamen nun lebte sein fantastischer Kosmos erneut auf.
"Jules Vernes Welt" heißt die poetische Performance, die das Theaterlabor Bielefeld am Freitagabend vor altersmäßig bunt gemischtem Publikum im City-Wasserpark präsentierte. Kräftige Regenschauer hatten den Start des Spektakels um eine halbe Stunde verschoben, doch das Warten für die knapp 300 Unentwegten lohnte sich, die dennoch kamen. Mit Höchstgeschwindigkeit nahm das Labor seine Zuschauer mit auf eine Reise zurück ins 19. Jahrhundert, in die Zeit der Entdeckungen und des wissenschaftlichen wie technischen Triumphes. Geboten wurde eine Art Collage von Geschichten verschiedener Romane Jules Vernes - und das nicht etwa in 80 Tagen, sondern in lediglich 80 Minuten. Da ging es mit dem geheimnisvollen Kapitän Nemo und dem zigarrenförmigen Unterseeboot Nautilus 20 000 Meilen unters Meer, da startete eine mit funkensprühenden Pyroeffekten ausgestattete Weltraumrakete in Richtung Mond. Stimmungsvolle Illumination und von den Akteuren selbst erzeugte Töne halfen der Fantasie auf die Sprünge.
Mitten im Geschehen stand dabei immer das Publikum. Es galt als willkommener Improvisationspartner und wurde nicht selten für einige Sekunden Teil einer künstlerischen Gemeinschaft, die sich dem experimentellen Theater ganz und gar verschrieben hat. Eingebettet hatten die acht Darsteller des Labors ihr Abenteuer sogar in eine kleine Kulturgeschichte von Film und Fotografie, die in der Regel im deutlichen Kontrast zur Haupthandlung stand. So erfolgversprechend sich das Medium entwickelte, so kläglich scheiterte das Unternehmen der Bielefelder. Nichts wollte den Forschern mit ihren witzigen Schnurrbärten, den markanten Hüten und den auffälligen Spazierstöcken so recht gelingen. Erst als gegen Ende des Stücks das Luftschiff Albatros über die Köpfe der Zuschauer glitt, schien die Expedition geglückt. Das Theaterlabor heimste verdienten Applaus ein, Publikum und Mimen tanzten ausgelassen zu Wiener-Walzer-Klängen. Erst dann setzte der Sommerregen wieder so richtig ein und Groß wie Klein ergriff die Flucht. Glücklich darüber, dass sie in den Genuss einer Straßentheateraufführung gekommen waren, die - fernab von jeglicher Abendgarderobe und anderen Zwängen - durch und durch überzeugte. Fantasievolle Kostümierung, surreale Fahrzeuge und ein futuristischer Klangteppich ließen die Darstellung schnell zu einem Höhepunkt der Bergkamener Reihe "Kultursommer 2005" avancieren. Schade nur, dass sich der Besucherandrang in Grenzen hielt. Viele Bergkamener hatten aufgrund des wechselhaften Wetters die eigenen vier Wände vorgezogen - und somit ein Theaterspektakel allererster Güte verpasst.
[15.08.2005]