Spekulationen über das Attentat auf Jules Verne

  • Neue Biographie zum 100. Todestag
    Im Kleinflugzeug allein und nonstop um die Welt. Anfang des Monats hat Milliardär und Abenteurer Steve Fossett bewiesen, daß spektakuläre Weltumrundungen immer noch auf öffentliches Interesse stoßen. Sofort ist die Erinnerung an Phileas Fogg gegenwärtig. 1872 läßt Jules Verne den exzentrischen Briten "In 80 Tagen um die Welt" reisen. Spannend geschrieben und mit einem überraschenden Ende versehen, wurde der Roman mit einer Auflage von mehr als 100 000 in den ersten Jahren zum erfolgreichsten Werk des französischen Autors. Verne hat die Technikbegeisterung seiner Zeit zu nutzen gewußt. 65 Romane verdankt die Nachwelt seiner Schaffenskraft.



    Am 24. März jährt sich zum hundertsten Mal der Todestag des 1905 verstorbenen Autors, der neben seinen Romanen 20 Erzählungen, 30 Theaterstücke und etliche Opernlibretti hinterließ. Jetzt ist im Artemis & Winkler-Verlag eine Biographie von Volker Dehs mit dem Titel "Jules Verne" erschienen. Dehs schildert die neuesten Ergebnisse der Verne-Forschung, darunter zum ersten Mal die Umstände des Attentats von 1886.



    "Gestern gegen fünf Uhr nachmittags, als Herr Jules Verne vom Unionszirkel nach Hause in die Rue Charles-Dubois Nr. 2 zurückkehrte und gerade an seiner Haustür anlangte, wurde er zum Opfer eines Mordanschlags durch seinen Neffen Verne, Gaston Joseph Maurice, 25 Jahre alt, Rechtsstudent, wohnhaft in Nantes, Rue Jean-Jacques Rousseau Nr. 13, bei seinem Vater, Börsenmakler." So beginnt das Polizeiprotokoll, aufgenommen vom 9. auf den 10. März unter der Rubrik "Verschiedenes". Um das Motiv kreisen immer noch abenteuerliche Spekulationen. So diskutiert Dehs auf Grund neuer Quellen die Möglichkeit, ob ein Sexualdelikt in der Familie Hintergrund für einen Racheakt an dem Romancier gewesen sein könnte.



    Zwei Schüsse hatte der Neffe abgegeben, von denen einer den Onkel ins Bein traf. Die Verletzung war so schwer, daß Jules Verne für den Rest seines Lebens auf Gehhilfen angewiesen blieb. Dem Neffen wird schließlich geistige Unzurechnungsfähigkeit bescheinigt, er verbringt sein weiteres Leben in verschiedenen "Irrenanstalten". Dem glücklichen Umstand, daß der Täter ein schlechter Schütze war, ist zu verdanken, daß Verne nicht mitten aus seinem Schaffen herausgerissen wurde.



    Etliche Romane lagen nach seinem Tod lediglich als Manuskripte vor und wurden von Sohn Michel herausgegeben. Bei einigen dieser Werke ist nicht klar, welcher Anteil authentisch ist und wieviel Michel Verne in der Überarbeitung hinzugefügt hat. Doch das ändert nichts am Ruhm des wohl bekanntesten "Autors wissenschaftlicher Romane", wie der am 8. Februar 1828 geborene Jules-Gabriel Verne sich selbst bezeichnete.



    Als Junge verbringt er viel Zeit auf dem Wasser der Loire, mit elf versucht er, von Zuhause auszureißen; er will als Schiffsjunge nach Indien. Auf Vernes Lebensweg sind diese Erlebnisse Mosaiksteine, die zur Grundlage für seine Romane werden. Hinzu kommen seine Begeisterung für Wissenschaft und Technik, obwohl er selbst nie ein wissenschaftliches Fach studiert hat. Die Pariser Weltausstellung 1855 liefert Jules Verne zusätzliche Anregungen für seine Romane.



    Vielen gilt Verne als erster Science-Fiction-Autor der Geschichte. Doch Science Fiction arbeitet mit Erfindungen und naturwissenschaftlichen Erkenntnissen, von denen niemand weiß, ob sie jemals gemacht werden. Jules Verne dagegen verfolgte in Zeitungen und Zeitschriften sehr genau die technisch-wissenschaftliche Entwicklung. Darauf baute er auf und spann lediglich phantasievoll aus, in welche Richtung sich die Erkenntnisse weiterentwickeln könnten. So läßt sich auch erklären, daß viele seiner Beschreibungen in den 100 Jahren nach ihm Wirklichkeit wurden. Sie hatten eine realere Grundlage als die Raumschiffabenteuer im Star Trek unserer Tage.



    Fundiert belegt Dehs, daß Verne kein Visionär war, "der die Zukunft erfand", sondern Romanautor, der den Stoff seiner Geschichten aus dem gesicherten Erkenntnisstand seiner Zeit bezog. Insgesamt eine detailreiche Biographie, die um so interessanter wird, je mehr der Leser bereits über den Inhalt von Vernes Romanen weiß.



    "Jules Verne" von Volker Dehs, Artemis & Winkler, 29,90 Euro Rolf H. Latusseck





    Artikel erschienen am 20. März 2005


    http://www.wams.de/data/2005/03/20/613609.html