Vom Johanneum fasziniert

  • Domplatz: Am 6. Juli 1861 besucht Jules Verne Hamburg. Wie ein Professor der Gelehrtenschule zur Hauptfigur im Roman "Die Reise zum Mittelpunkt der Erde" wurde.


    Von Josef Nyary


    Das Johanneum des 19. Jahrhunderts, dessen Fundamente auf dem Domplatz bald abgebaut werden, war Hamburgs bedeutendste Bildungsstätte sowie Ausgangspunkt der kühnsten Forschungsfahrt aller Zeiten - jedenfalls in der Fantasie des meistgelesenen Science-Fiction-Schriftstellers der Literaturgeschichte, des Franzosen Jules Verne (1828-1905). Die Hauptfigur seines 1864 erschienenen Romans "Die Reise zum Mittelpunkt der Erde" ist ein Professor der Hamburger Gelehrtenschule: Der ungeduldige und furchtlose Otto Lidenbrock, weltweit renommierter Experte für Mineralogie, findet am Domplatz in einem alten Buch verschlüsselte Mitteilungen eines isländischen Alchimisten. Er folgt der Spur mit seinem Neffen Axel zum Vatnajökull, klettert durch den Krater des Eisvulkans ins Erdinnere und kommt auf dem Gipfel des Stromboli nördlich Siziliens wieder ans Tageslicht.


    "Und so könnten die Rahmenbedingungen des Romans entstanden sein", schreibt Doris Oldenburg, die am Johanneum Deutsch und Bildende Kunst lehrt, in der Festschrift "Symposion" zum 475. Jahrestag des Gymnasiums: "Der reiselustige Schriftsteller Jules Verne weilt in Hamburg, und bei einer kleinen Abendgesellschaft, die Jakob Gallois, der Französischlehrer des Johanneums, zu Ehren seines berühmten Landsmannes gibt, lernt dieser einen hochgeschätzten Kollegen desselben kennen, Wissenschaftler mehr denn Lehrer, Mineraloge, Geologe - da entsteht sie, die zentrale Figur des nächsten Romans, den er schreiben wird . . ."


    Tatsächlich steigt Jules Verne am 6. Juli 1861 im Hotel Zum Kronprinzen am Jungfernstieg 8 ab. Mit dem Dichter reisen ein Anwalt und ein Komponist. Der Sohn eines Rechtsanwalts aus Nantes hat 1848-50 in Paris Jura studiert, sich aber bald der Schriftstellerei zugewandt. "Tagebuchnotizen Vernes erzählen vom Essen, von Alsterspaziergängen und von der Besteigung des Michel, nicht jedoch vom Johanneum", berichtet Doris Oldenburg, "und bereits am 8. Juli 1861 reist die kleine Gruppe nach Lübeck ab: zuwenig Zeit, Stadt und Menschen intensiv kennenzulernen." Doch vielleicht genügte dem Dichter, was er in den drei Tagen sah, trug er Anregungen schon seit seinen Studien in Paris mit sich herum.


    Mineralogie und Geologie lehrten 1861 am Akademischen Gymnasium, einem Zweig des Johanneums, Prof. K. W. M. Michel und Dr. Karl Möbius, die Vorlesungen wurden im "Hamburger Correspondent" angekündigt. Den Namen seines Helden Lidenbrock borgt sich der Dichter offenbar von Prof. Friedrich Lindenbrog (1573-1648), dessen Schriften sich auch in der Pariser Nationalbibliothek finden. Lindenbrog gelangte durch die Ehe mit der Witwe des Hamburger Bürgermeisters Sebastian von Bergen an eine bedeutende Bibliothek, mußte dafür aber einen aufsehenerregenden Erbstreit durchstehen. Später vermachte Lindenbrog einen Teil der Bücher samt eigenen Beständen, mathematischen Instrumenten, Landkarten und Kuriositäten dem Johanneum - auch davon könnte Jules Verne gelesen haben.


    Jules Verne läßt seinen Hamburger Helden in der Königsstraße wohnen - so hieß früher die Poststraße zwischen Hohe Bleichen und Große Bleichen - und beschreibt das Haus als windschief, halb aus Holz und halb aus Ziegeln, mit einer in die Fassade eingewachsenen Ulme. Jules Vernes bester Illustrator Edouard Riou zeichnete die Szene. Bewiesen ist von alledem freilich so gut wie nichts: "So verlockend konkret und greifbar nah alles zu sein scheint, vorerst bleiben es Puzzleteilchen", gibt Doris Oldenburg zu - das Mosaik zusammenzufügen wäre eine spannende Forschungsaufgabe.


    erschienen am 10. August 2005


    http://www.abendblatt.de/daten/2005/08/10/468876.html

  • Hier könnte wieder am besten der Spezialist drauf antworten, es ist nämlich Volker, der in akribischer Recherche die Hintergründe um Lindenbrocks Namen im letzten oder vorletzten Jahr aufgedeckt hat. !!


    B.

    :seemann: :baer:


    -----------------------
    I love you, you love me, ja wo lawe ma denn hi??