Bauten aus Papier und Poesie

  • 7. Januar 2007, NZZ am Sonntag






    Bauten aus Papier und Poesie
    Eine Ausstellung in der Münchner Pinakothek der Moderne geht spielerisch der Beziehung zwischen Architektur und Literatur nach. Von Carole Gürtler



    «Architekten - lauter Trottel. Sie vergessen immer die Treppe in den Häusern», wetterte einst Gustave Flaubert und entwarf für Emma Bovary das ideale Wohnhaus, um ihr Schicksal zu leben. Der Franzose ist nicht der einzige Schriftsteller, der Architekten beschimpft und es besser zu wissen glaubt. Als Scharlatane bezeichnet sie Thomas Bernhard in seinem Roman «Korrektur»: «Dann, wenn die ganze Welt auf das fürchterlichste und geschmackloseste und verbrecherischste verbaut ist, ist es zu spät, dann ist die Erdoberfläche tot», schreibt er und widmet dem Bau eines Wohnhauses das ganze Werk. Ein Domizil für die Schwester des Protagonisten soll in Form eines Kegels erstellt werden, doch das Gebäude, Abbild reiner Geometrie, führt zum Tod der Bewohnerin. Zu berechnet, zu perfekt ist der Wohnkegel. Bernhard beschreibt ihn mit vorbildlicher Präzision, und doch lässt sich das Projekt nicht eindeutig umsetzen. Architekturstudenten an der Technischen Universität München und der Bildhauer Lun Tuchnowski haben es versucht und sind daran gescheitert. Nicht eine, sondern mehrere Interpretationen entstanden.


    Die visuelle Darstellung, die Materialisierung fiktiver Bauten und Städte aus der Literatur in Form von Architekturmodellen, Skizzen, Grafiken, Gemälden, Skulpturen und Computeranimationen, bildet den Inhalt der Ausstellung «Architektur wie sie im Buche steht», die vom Münchner Architekturmuseum in der Pinakothek der Moderne gezeigt wird. Wie stellen Schriftsteller sich die von ihnen in Worten geschilderte Architektur tatsächlich vor? Woher nehmen sie ihre architektonischen Ideen, und welche Bedeutung haben fiktive Bauten in der Dichtung? Erstmals wird die Beziehung zwischen Architektur und Literatur untersucht, und es zeigt sich, dass die Nennung von Orten und Bauwerken unserer Imagination hilft. Unser Gedächtnis ist topologisch strukturiert. Menschen leben in Gebäuden, ihre Handlungen sind mit Architektur verknüpft.


    Dabei erfüllen architektonische Motive in der Literatur gleich mehrere Funktionen: Sie stehen für reale Orte wie den Berliner Alexanderplatz, Notre-Dame de Paris oder Mansfield Park, aber auch für Bedeutungen. Gebäude und Städte sind Metaphern menschlichen Lebens und Handelns. Sie sind Projektionsflächen für Visionen und Ängste und Symbole sozialer Zustände. Jonathan Swift karikiert in der Phantasiestadt Laputa aus «Gullivers Reisen» herrschende Gesellschaftsformen, und Jules Verne baut in «Die 500 Millionen der Begum» im amerikanischen Oregon eine Idealstadt aus zweigeschossigen Familienhäusern. Der Palast im Märchen, die Kammer im Roman dienen als Hinweis auf die soziale Stellung der Handelnden, der verzauberte Garten in Sagen, das Labyrinth aus der Mythologie oder der Turm im Krimi verdeutlichen Wünsche und Ängste. Und wenn auch die meisten literarischen Bauten poetische Luftgebilde bleiben, kommt es doch immer wieder vor, dass aus der Fiktion Realität wird. Emile Zolas Vorstellung der «Stadt des Glücks und der Gerechtigkeit» aus der Romantrilogie «Die vier Evangelien» begeisterte den Architekten Tony Garnier dermassen, dass dieser einzelne Entwürfe in Lyon umsetzte.


    In der Ausstellung werden aber auch Skizzen und Zeichnungen gezeigt, die Schriftsteller zur Erläuterung ihrer Texte und Ideen selbst angefertigt haben. So gab Günter Grass mit dickem Kohlestift und wilder Gestik der Windmühle aus dem Roman «Hundejahre» ein Gesicht, und ohne eine selbstgefertigte Grundriss-Skizze zur Lage und zum Gliederungsprinzip der Bibliothek hätte sich wohl selbst Umberto Eco in den Irrgängen von «Der Name der Rose» verirrt.


    Die Fülle an Informationen in der Ausstellung, aber vor allem im fast 600 Seiten starken Katalog ist beeindruckend. Angesichts all dieser Werke wünscht man sich Literatur als Pflichtfach einer jeden Architekturausbildung. Auch die Art, wie sich die Ausstellung der Thematik aus verschiedensten Blickwinkeln nähert (sogar der Bereich der in Form von Architektur gestalteten Alphabete und Texte wird erwähnt), ist attraktiv, obwohl etwas mehr an Konzentration nicht geschadet, sondern Raum geschaffen hätte für eine intensivere Auseinandersetzung mit der Gegenwart. Diese kommt nur am Rande zur Sprache in Form phantastischer Stadtsilhouetten aus Comics und aus Illustrationen zu literarischen Werken einiger Poeten unter den zeitgenössischen Architekten wie Daniel Libeskind oder Peter Zumthor. Die Beschränkung auf die Historie bei solchen Überblicksausstellungen mag zwar in der Tradition des Münchner Architekturmuseums liegen, man hätte dennoch gerne mehr erfahren über die Wirkung fiktiver Bauten auf die heutige Baukunst oder über Kenzo Tanges Einfluss auf die Architekturdarstellungen in Mangas.


    «Architektur wie sie im Buche steht». Architekturmuseum in der Pinakothek der Moderne, bis 11. 3. Katalog: Anton-Pustet-Verlag, Salzburg.

    http://www.nzz.ch/2007/01/07/fe/articleESIRX.html