Ein weites Spannungsfeld

  • Ein weites Spannungsfeld


    05.04.2007



    Kunstforschung oder Forschungskunst? Jan-Peter E.R. Sonntag im Württembergischen Kunstverein

    Von Inge Bäuerle



    Stuttgart - Es ist, als sinke man in einem dunklen, unendlichen Ozean immer weiter ins Dunkle, Unendliche hinab. Unwillkürlich schießt einem der Titel von Jules Vernes Science-Fictionroman „20 000 Meilen unter dem Meer“ in den Kopf - und der Gedanke, jene Tiefe müsse sich etwa so anfühlen. Dabei liegt man, einen Kopfhörer mit unbeschreiblichem Rauschen auf den Ohren, sicher auf einem leise glucksenden Wasserbett mitten in Stuttgart - im abgedunkelten Kuppelsaal des Württembergischen Kunstvereins. Dort zeigt derzeit der Berliner Künstler Jan-Peter E.R. Sonntag sein „sonArc::project“, eine Serie multidisziplinärer Arbeiten, die sich im weiten Feld zwischen Elektrizitätsforschung, Videokunst, Rauminstallation, Neuer Musik, Performance und Wahrnehmungsuntersuchung bewegen.



    Geheimnisvolle Elektrizität
    Für den unvorbereiteten Betrachter hat das zur Folge, dass er sich beim Bewegen durch die Ausstellung eher in einem weitläufigen Labor voller geheimnisvoller physikalischer Versuchsanordnungen wähnt denn in einer Kunstausstellung. Denn Glühlampen, Kabel, Drähte, Stecker und unzählige Relais sind noch die am einfachsten zu identifizierenden Zutaten der fünf Arbeiten oder „Settings“, wie ihr Schöpfer sie nennt.


    Jan Peter E.R. Sonntag, der im vergangenen Jahr bereits mit einer Videoarbeit bei der „expanded media“-Begleitausstellung zum Filmwinter vertreten war und der seine Wurzeln in Minimal Art, in der Konzeptkunst und neuer experimenteller Musik hat, ist mindestens so sehr Forscher wie Künstler. Seit 2003 ist er mit seinem „sonArc“-Projektzyklus - das verrät auch der Untertitel der Ausstellung - „auf der Suche nach dem Wesen der Elektrizität“. Das klingt nicht nur nach Alchimie und geheimnisvoller Gold-Synthese, sondern auch faustisch größenwahnsinnig, als könne man die Welt und ihre Dinge je durchdringen.


    Da geht es beispielsweise um die „Domestizierung des Blitzes“, die Sonntag mit seiner Anordnung „sonArc::ema“ - Z OZONE“ etwa während der Stuttgarter Kulturnacht im März versuchen wollte. Doch weder Hoffen noch Gewitterfrühwarnsystem brachten eine elektrische Entladung über der Kuppel mit dem goldenen Hirschen zustande, die verzwickte Apparaturen einfangen und lenken hätten sollen.


    Aber Sonntags Spannungsfeldforschungen verraten auch etwas von der Neugier, der Verspieltheit, der Hingabe und dem unnachgiebigen Tüfteln eines Kindes - oder eben eines Wissenschaftlers: wenn er die Peilsignale von winzigen, in einem Aquarium schwimmenden Zitteraalen aufnimmt, die elektrischen in akustische Signale transformiert und den auf dem eingangs erwähnten Wasserbett liegenden Ausstellungsbesuchern auf die Ohren schickt.


    Ganz unmittelbar zu erleben ist auch „GAMMAvert#2“, ein melancholisch-bedrohliches „X-Seestück“, das zwischen 1998 und 2006 entstanden ist. Einen begehbaren weißen Würfel erleuchtet eine Quecksilberdampflampe grün - bezugnehmend auf den letzten Strahl der untergehenden Sonne, den Jules Verne als „rayon vert“ beschrieben hat. Zusätzlich lässt er ein Landschaftsfoto, eine Kindheitserinnerung leicht radioaktiv strahlen und unhörbare, stehende Schallwellen spürbar werden.


    Faszinierend ist auch die Idee von Sonntags jüngster Arbeit „sonArc::ema-RADIAL“, einer interaktiven Hochspannungsinstallation, die nicht nur die Luft zum Schwingen bringt, sondern den Besuchern erlaubt, sich durch den Mittelwellen-Äther zu bewegen und seinem Rauschen und seinen Signalen als Transformationen in Licht, Schall oder Ozon zu begegnen. Bedauerlich ist dabei freilich, dass das Wunderin- strument bis auf die vergangene Museumsnacht die meiste Zeit inaktiv bleiben muss, weil es der Anwesenheit des Künstslers bedarf, um es wirklich zu bespielen.


    Wirklich schade ist jedoch, dass durch Sonntags komplexen Kosmos mit seinen mannigfaltigen, teilweise sehr persönlichen oder extrem spezialisierten Bezügen ein physikalisch wenig Sattelfester ohne Vermittlung kaum hindurchfindet. Dabei gibt es in seinem Labor doch durchaus Spannendes zu entdecken.



    Bis 29. April im Württembergischen Kunstverein Stuttgart. Kostenlose Führungen finden sonntags um 15 Uhr statt.

    http://www.ez-online.de/lokal/…enster/Artikel1003350.cfm