Cher Monsieur Jules Verne

  • Text: solefald


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    Cher Monsieur Jules Verne,


    was hast du uns nur für Geschichten erzählt?
    Seit 30 Jahren war kein Mensch mehr auf dem Mond, tief unter dem Meeresspiegel versteckt sich nur unser Giftmüll und wird höchstens vom Schwarm aus einem sehr, sehr, sehr schlechten Buch heimgesucht.
    Und ich verstecke mich am Ende der Welt, oder am Arsch derselben.


    Lieber Jules Verne, davon hast du nix geschrieben, über den Arsch der Welt. Man steckt zum Glück nicht in demselben, bewahre, aber man ist nahe dran. Fast 20.000 Meilen unter dem Meer. Aber waagrecht gesehen.


    Tja mein hochverehrter Monsieur Verne, hab ich mich also ganz schön verarschen lassen. Hm irgendwie schon, jetzt nach knapp 5 Monaten da unten. Ich verdiene hier gutes Geld, aber Geld ist nicht alles, verdirbt den Charakter und was weiß ich.
    Aber ich muss sagen die Arbeit macht Spaß, ich hab meine Ruhe, bis jetzt zumindest, dafür mehr Verantwortung als bisher und meine eigene Nautilus. Oder Ihr Äquivalent in Form meiner Wohnung.
    Die Kollegen kennen zwar höchstens Nemo von Nightwish und keinen Kapitän mit demselben Namen, aber das macht eigentlich nix.


    Ich glaube an die Mondlandung, die Reise zum Mittelpunkt der Erde und an das Dorf in den Lüften.
    Der Mittelpunkt der Erde, also München ist weit weg, aber ich brauche keine 80 Tage bis dahin und das Dorf naja das ist hier irgendwo, bzw. hier gibt’s nur Dörfer.
    Oder Kleinstädte die eigentlich nur zu große Dörfer sind.


    Zumindest ist mein Balkon sehr zugig, also sind das wohl die Lüfte. Das kannte ich von meiner geliebten Großstadt nicht. Da hatte ich auch keinen Balkon, dafür eine WG. Als Ausgleich dazu wird man im Supermarkt und jedem Tante-Emma-Laden freundlich gegrüßt, ich gewöhne mir hier einen seltsamen Wortschatz an. Obwohl ich kein Bayer bin geschweige den diesen Dialekt beherrsche und je will.
    Zumindest dieses Servus geht einem zu schnell über die Lippen hier.
    Seltsam.


    Der Kurier des Zaren und der Pfarrer haben noch nicht vorbei geschaut, was mich aber nicht wundern würde wenn zumindest der Zweite seine Aufwartung machen würde.
    „Willkommen in unserem schönen Städtchen, da Leben wo andere Urlaub machen, es würde mich freuen Sie am Sonntag in unserer Gemeinde willkommen zu heißen...wollen Sie nicht mal die Epistel lesen, ein junger Mann wie Sie, voll im Leben und im Glauben...“
    Nettes Angebot, aber ich warte lieber auf den Kurier.


    Ich überlege, mein verehrter Jules Verne, nach diesem Brief, auch einen Brief an David Reimer schreiben, aber der ist leider auch schon verstorben.
    Vielleicht hätte er mich verstanden. Nicht zu sein der man glaubt zu sein, das war ich früher etwas mehr.
    Heute bin ich naja hier, aber ich weiß nicht ob das hier das ist was ich will und mir hilft herauszufinden wer ich bin oder was ich will und wo. Zwei Jahre Ferien vielleicht.


    Was hat dieser Exkurs mit dir, Monsieur Verne, dem Vater der Science-Fcition zu tun?
    Ich weiß nicht. Aber über die Verlorenheit der Nachwehen der verlorenen Jugend,dem ersten Job nach dem Studium und Kleinstädten am Ende von Bayern/Welt/Rest.
    Darüber habe ich leider nicht viel gefunden in deinen Schriften und Büchern.


    Ich verfluche dich, elendiges Kaff am Ende der Welt und mich dass ich mich gefressen hab lassen weil ich nie weiß was ich will oder hier soll wie so oft...Aber es kommt bald der Sommer.


    Nous vous prions de croire, Monsieur, à
    l’assurance de nos sentiments dévoués.


    Ein treuer Leser
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