Gegrillte Nasen für Jules Verne

  • Nantes Prachtvolle Villen, Art Déco und Savoir-vivre an der Loire
    Gegrillte Nasen für Jules Verne
    In der Hafenstadt, in der einst die Herzöge der Bretagne residierten, ist der alte Glanz hier und da noch sichtbar.
    Von Stefanie Bisping


    Ein wenig unscheinbar wirkt die kleine, in ein langes Gewand gehüllte Anne. Sie steht vor der Zugbrücke, die zum Schloss der Herzöge der Bretagne führt. Mancher, der das neue Stadtmuseum darin besucht, eilt an ihr vorbei, ohne sie zu bemerken. Kathedrale und Altstadt im Rücken, blickt sie halb zum Château, das ihr Vater, Francois II., ab 1466 ausgebaut hat. Herzogin der Bretagne mit elf, Königin von Frankreich mit 14, zwei Ehen, sechs Kinder, und das alles in knapp 37 Jahren - den feinen Zügen ihres Denkmals sieht man die Strapazen dieses Lebens nicht an.


    Francois erlebte nicht mehr, dass seine einzige Tochter nacheinander zwei Könige von Frankreich heiratete, seinerzeit ein bedrohlicher Nachbar des selbstständigen Herzogtums. Offiziell fielen die Reiche erst 1532 durch die Heirat von Annes Tochter Claude zusammen. Doch den Anfang vom Ende machte eiegntlich bereits Anne.


    Manche Wunden heilen langsam, andere nie. Allerdings sollte es noch deutlich schlimmer kommen: Seit den 1950er-Jahren gehört die am Zusammenfluss von Loire, Erdre und Sèvre gelegene Stadt nicht einmal mehr zur Region Bretagne, sondern ist Verwaltungssitz des neu geschaffenen Pays-de-la-Loire. Was manchen überzeugten Bretonen zornig zur Sprühflasche greifen lässt, um die Ortsschilder umliegender Kommunen mit dem trotzigen Zusatz "en Bretagne" zu schmücken.


    Auch das Schloss hatte damals noch einiges vor sich. Die einstige Residenz französischer Könige diente mal als Gefängnis, mal als Kaserne. Nach siebenjährigen Restaurierungsarbeiten wurde es Anfang 2007 als topmodernes Museum der Stadtgeschichte mit rund 1800 Exponaten neu eröffnet. Die Bürger können auch wieder über die Burgmauern flanieren. Nur der Flussarm, der sich früher um das Schloss legte, ist Geschichte. Nachdem von 1926 bis 1942 der Unterlauf der Erdre und einige Loire-Arme aufgefüllt wurden, stellt sich die in Schiffsform angelegte Ile Feydeau nur noch vom Namen her als Insel gelten. Doch die mit Maskenköpfen geschmückten Reedervillen lassen noch erkennen, was sie im 18. Jahrhundert zum mondänsten Viertel der Stadt machte. Heute ist jedes Haus restauriert, in den Parterres befinden sich gepflegte Restaurants. Der Verein "Nantes La Bleu" träumt sogar davon, die Insel wieder zu einer solchen zu machen.


    Doch nicht jeder Wunsch geht in Erfüllung. Nantes ist dank Erdre, des Kanals St. Félix und der durch eine Insel zweigeteilten Loire trotzdem eine Stadt mit vielen Ufern, und vielerorts ist auch der alte Glanz der stolzen Haupt- und Hafenstadt wieder sichtbar. Zu schützen gibt es viel: von den ältesten Magnolien Frankreichs, die im 18. Jahrhundert aus Übersee mitgebracht wurden, bis zum Geburtshaus des Schriftstellers Jules Verne am Cours Olivier de Clisson. Als wichtigster Finanzplatz nach Paris und Lille kann Nantes es sich zudem leisten, auch den Alltag von heute mit den Attributen des schönen Lebens zu versehen.


    Das war nicht immer so. Die Schließung der Werften 1987 brachte schwere Zeiten. Die legendäre Brasserie "Cigale", in die seit 1895 Industriekapitäne junge Tänzerinnen aus der Oper gegenüber führten, fristete schon seit den 1960er Jahren ein trauriges Dasein als Schnellrestaurant. Heute ist nicht nur der Strukturwandel geschafft - die Airbus-Werke hier und in Saint-Nazaire an der Küste tragen ebenso zum Wachstum bei wie Lebensmittel- und Metallverarbeitung und die Universität - auch die "Cigale" erstrahlt wieder in alter Art-Déco-Pracht. Hier trifft man sich am Morgen zu Café crème und Croissants und am Abend zur Meeresfrüchteplatte - oder vertrödelt zwischendrin ein gutes Stündchen mit der Zeitungslektüre.


    In der Hafenstadt, in der einst die Herzöge der Bretagne residierten, ist der alte Glanz hier und da noch sichtbar.
    Alle Wege führen in Nantes zum Essen - auf den Markt im Stadtteil Talensac, wo es von Foie Gras über Meeresfrüchte bis zu Dutzenden von Käsesorten alles gibt, was der Franzose zum Überleben benötigt. In der "Confiserie Georges Gautier", einem prächtigen Ladenlokal, das Kronleuchter aus Murano erhellen, ging schon der junge Jules Verne, der 1828 in Nantes geboren wurde, mit seiner Mutter einkaufen: Mascaron Nantais, eine sündige Spezialität aus Schokolade mit Krokant zum Beispiel. Später eröffnete die Confiserie "Les Rigolettes Nantaises" an der Rue de Verdun. Ihre Spezialität, die "gegrillten Nasen" (nez grillés) aus Karamell, gesalzener Butter und Schokolade, sollen ihren Namen dem Vokabular der einstigen Sklavenhändler verdanken.


    Wie La Rochelle und Bordeaux profitierte Nantes ab dem frühen 18. Jahrhundert vom Menschenhandel. Im Handelsdreieck zwischen Europa Westafrika und der Karibik wurden Alkohol, Stoffe, Spiegel, Waffen und Glitzertand nach Afrika verschifft und dort gegen Sklaven getauscht, die man auf den Antillen verkaufte. Der Erlös - Indigo, Tropenholz, Vanille, Kaffee und eben Zucker - brachte daheim in Frankreich Riesengewinne.


    erschienen am 14. Juni 2008



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