"Ich träume von einem großen Garten"

  • INTERVIEW: Helge Timmerberg, Reiseschriftsteller und Reporter, reiste in 80 Tagen um die Welt

    Bad Salzuflen. Für sein neues Buch reiste der Journalist und Schriftsteller Helge Timmerberg "In 80 Tagen um die Welt". Er traf in einer Bar in Tokio Samurai, lernte Mexico City lieben, Kuba hassen und erlebte eine Nacht in Bangkok mit Hegel, Crack und Pediküre. Seine literarischen Reiseberichte sind subjektiv, originell, stilistisch brillant, witzig und melancholisch. Sie machen süchtig. Anke Groenewold sprach mit dem 56-Jährigen in Bad Salzuflen,wo Timmerbergs Mutter lebt.


    Sie schreiben, dass dies Ihre letzte Reise war. Ernsthaft?
    TIMMERBERG: Ach, das habe ich in "Shiva Moon" auch schon geschrieben. Ich war jetzt schon wieder zweimal in der Sahara und in Belgrad. Reisen innerhalb von Europa nehme ich gar nicht mehr als Reisen wahr. Oder wenn nach Marokko fahre mit Freunden, mit denen ich ein Haus in Marrakesch habe. Das ist Pendeln zwischen den Wohnsitzen.


    Wo wohnen Sie?
    TIMMERBERG: In St. Gallen in der Schweiz. In Berlin ist meine Freundin, Marrakesch und Wien. Dort habe ich ein kleines Schreibstübl.


    Was schwebt Ihnen noch als Traumreise vor?
    TIMMERBERG: Ich würde gern mit dem Fahrrad um die Welt. Aber das dauert zwei Jahre und muss erst mal finanziert werden. Ich bin ja kein Hippie mehr, ich habe da einen Haufen Kosten. Ich bin mal vier Monate durch Südindien gefahren. Das war eine der schönsten Reisen meines Lebens.


    Planen Sie Ihre Reisen, oder fahren Sie los und lassen die Dinge auf sich zukommen?
    TIMMERBERG: Letzteres. Wie beim Playboy, das war ideal. Ich hab nur gesagt "Indien", und die haben gesagt: Okay, mach irgendwas. Ich habe oft erlebt, dass du Pläne hast, aber die Reise oder das Leben ganz anders zuschlägst, und wenn du dich an deine Pläne klammerst, dann ist das blöd. Ich lasse es gern auf mich zukommen. Das hat Vor- und Nachteile: Einerseits erlebt man mehr Überraschungen. Andererseits habe ich – das kommt ja auch im Buch vor – eine Schwäche, Entscheidungen zu treffen. Dann bleibe ich einfach sitzen. Manchmal zu lange.


    Jules Vernes Phileas Fogg war nie in Bangkok.
    TIMMERBERG: Nee. Ich habe gedacht: Der Jules Vernes ist komplett gesponnen. Warum soll ich einen gesponnenen Text 100 pro nachreisen? Das ist doch Blödsinn. Die Welt hat sich verändert. Zu Vernes Zeit war Singapur die zentrale Verkehrs- und Businessscheibe von Südostasien. Heute ist das Bangkok.


    Sie können gar nicht ohne Reisen. Leben ist für Sie Bewegung, oder?
    TIMMERBERG: Ja, das ist so drin. Aber ich träume eigentlich von einem großen Garten mit Apfelbäumen, einem Hund, davon, dass meine drei Kinder Kinder kriegen und ich ein Profi-Opa bin. Ich habe jetzt tagelang hier in Bad Salzuflen am Wald gewohnt und und das hat mir gefallen. Der Mensch besteht ja nur aus Knöpfchendrücken, und das war das Knöpfchen Kindheit, Heimat. Aber ich kenne das: Egal, wo ich bin, es dauert maximal zwei Monate, und dann . . . .


    . . . müssen Sie wieder los. Es gibt Menschen, die nie das Bedürfnis verspüren zu reisen.
    TIMMERMANN: Zwischendurch habe ich solche Leute manchmal beneidet. Hinter dem vielen Reisen steht Abenteuerlust, aber auch immer eine Unruhe. Aber es ist positiv, wenn du eine Möglichkeit findest, damit umzugehen – und Geld zu verdienen. Vielleicht reise ich, bis die Krücken brechen.


    Können Sie Urlaub machen wie andere Leute?
    TIMMERBERG: Nee, das geht nicht. So Traum-Locations wie Koh Samui in Thailand halte ich drei Tage aus, dann drehe ich durch. Es sei denn, ich habe ein gutes Buch, dann ist mir alles egal. Ich musste mal für die Bunte nach Russland. Da hatte ich das Buch "Palast der Winde" dabei. Von Russland habe nichts mitgekriegt. Urlaub ist für mich, zu Hause zu sein.


    In Hongkong stellen Sie fest, dass Sie 15 Jahre zuvor in exakt demselben Restaurant am selben Tisch gesessen haben, dasselbe bestellt und zur gleichen Zeitung gegriffen haben.
    TIMMERBERG: Ja, das ist erschreckend. Das ist wieder Knöpfchendrückerei. Der Name des Hotels, Shangri-La, gefiel mir. Der hatte mir 15 Jahre vorher auch gefallen, aber das hatte ich vergessen. Und dann lief das ganze Programm ab. Ich war richtig geschockt. Aber es ist ja schön, wenn es einem auffällt. Es ist der erste Schritt, das zu durchbrechen.


    Reisen ist Zauber, aber auch Ernüchterung.
    TIMMERBERG: Man erlebt immer eine Mischung aus den Realitäten und den Träumen, mit denen man diese Realitäten bewirft. Das ist ist so lustig, wenn man mit den Träumen spricht. Zum Beispiel einem Beduinen mit blauem Schal und Kamel. Du bist voll auf "Lawrence von Arabien", aber der interessiert sich nur für Fußball, und sein größter Traum ist es, in Casablanca einen Job zu haben.


    Berlin, die Endstation Ihrer Reise, hat Sie glücklich gemacht. Warum?
    TIMMERBERG: Ich sah plötzlich, wie sich Deutschland verändert hat, wie tolerant und witzig es geworden ist. Als ich in den 60er Jahren losfuhr, war es die reine Kulturflucht. 40 Jahre später hat sich das alles so gedreht. Das Straßenleben, worauf ich immer sehr stehe, ist in Berlin überraschend gut. Besser als in Bombay und Tokio sowieso. Am Nollendorfplatz, wo meine Freundin wohnt, sind alle Nationen. Und alles auf dem toleranten Untergrund. Es muss natürlich Sommer sein (lacht). Im Winter kommst du wahrscheinlich auf andere Gedanken. Sonne und Licht spielen eine extrem große Rolle fürs Gemüt. Das ist die Hälfte der Miete fürs Zufriedensein.


    http://www.nw-news.de/nw/news/kultur/?cnt=2428887