Autos unter Strom

  • Lange waren Elektrofahrzeuge nur versponnenen Idealisten eine Herzensangelegenheit. Das hat sich geändert. Steigende Ölpreise und Klimaschutzauflagen zwingen die Autobranche zum Umdenken. Jetzt ist ein Wettlauf um praxistaugliche E-Mobile entbrannt. Schon 2010 sollen die ersten Serienwagen rollen


    Schiffbrüchig sitzt der Ingenieur Cyrus Smith mit seinen Leidensgenossen fern der Heimat auf einer Insel. Plötzlich fragt ihn ein Seemann, was eines Tages als Brennstoff für Dampfschiffe und Eisenbahnen dienen werde, wenn die Vorräte an Kohle ausgebeutet sind. "Ich denke, Wasser", antwortet Smith und ergänzt angesichts der erstaunten Gesichter: "Ja, allerdings das in seine Elementarbestandteile zerlegte Wasser, zerlegt durch Elektrizität, die bis dahin zur mächtigen und leicht verwendbaren Kraft erwachsen wird."


    Die Szene stammt aus Jules Vernes 1874 veröffentlichtem Roman "Die geheimnisvolle Insel". Vernes Ausblick ist zwar bisher eine Zukunftsvision geblieben: Kohle wird noch gefördert, und bewegt wird die Welt hauptsächlich vom Öl. Allerdings wird der schwarze Stoff immer teurer. Zudem ist den Menschen die Gefahr bewusst geworden, die vom klimaschädlichen Kohlendioxidausstoß der Verbrennungsmotoren ausgeht. Und deshalb vollzieht sich bei den Antriebstechnologien eine Zeitenwende.


    Der letzte Schrei in der Autobranche ist der Elektromotor. Lange war er ein Stiefkind der Industrie, ignoriert, verdrängt. Die Batterien waren zu schwer, die Reichweite der Fahrzeuge zu gering, die Entwicklung kam nur langsam voran. Vornehmlich kleine Firmen wie Think und Fisker aus Norwegen oder Tesla aus Kalifornien beschäftigten sich mit der Technologie. Die großen Autohersteller konzentrierten sich vor allem darauf, Benzin- und Dieselmotoren zu verbessern.


    Das hat sich geändert. "Die Zukunft gehört dem Elektroauto - mit Strom aus der Steckdose", sagt der VW-Vorstandsvorsitzende Martin Winterkorn. Sein Wort hat Gewicht, er ist der Chef des größten europäischen Autoherstellers. Konkurrent Daimler lässt zurzeit in London Autos der Tochtermarke Smart in einem Pilotprojekt vollelektrisch fahren. Zudem planen die Stuttgarter, 2010 einen Elektro-Mercedes und einen Elektro-Smart als Serienmodelle auf den Markt zu bringen. Auch der größte US-Autokonzern General Motors setzt auf Stromantrieb. Schon bis 2010 soll das Elektroauto Chevrolet "Volt" als Serienfahrzeug auf den Markt kommen. Das Auto wird ein sogenannter "serieller Hybrid": Es fährt permanent mit dem Elektromotor, der Verbrennungsmotor lädt nur die Batterie auf. In den USA hat sich bereits eine Art Fanbewegung namens "Volt Nation" entwickelt. Sie wartet ähnlich sehnsüchtig auf das innovative Auto wie Apple-Anhänger auf ein neues iPod-Modell.


    Ausgelöst wurde das Umdenken auch durch eine neue Technologie: die Lithium-Ionen-Akkus. Sie sind leistungsstärker und leichter als die bisherigen Nickel-Cadmium-Batterien und kommen bereits in Laptops und Musikspielern zum Einsatz. Doch das Reichweitenproblem bleibt vorerst aktuell. Eine VW-Testflotte auf Golf-Basis hat bei reinem Elektroantrieb einen Aktionsradius von 50 Kilometer. Experten zufolge muss ein Auto mit einer Batterieladung mehrere Hundert Kilometer fahren können, um eine echte Alternative zu Benzinfahrzeugen zu sein. Deshalb werden vorerst noch Verbrennungsmotoren benötigt, die die Batterien aufladen. Eine Lösung könnten auch Wechselakkus sein. So will der ehemalige Entwicklungsvorstand des Softwarekonzerns SAP, Shai Agassi, in Ländern wie Israel und Dänemark 500 000 Steckdosen installieren, an denen Elektroautos aufgeladen werden können.


    Die hektische Betriebsamkeit der Autohersteller hat ihren Grund. Selten zuvor in ihrer rund 100-jährigen Geschichte stand die Branche so unter Druck. Politiker zwingen sie mit scharfen Regelungen zur Senkung der Kohlendioxid-Emissionen. Bis 2015 sollen in Europa nur noch 120 Gramm CO2 pro Kilometer aus dem Auspuff strömen - heute liegt der europäische Durchschnitt noch bei knapp 160 Gramm.


    Gleichzeitig steigt der Ölpreis und in der Folge der Spritpreis an der Tankstelle. Die Folge: Die Verbraucher zögern mit dem Kauf neuer Autos. Sie wollen Fahrzeuge, die nicht nur einen halben Liter auf 100 Kilometer weniger verbrauchen, sondern drei, vier oder noch mehr Liter. "Umweltverträglichkeit wird zukünftig zu einem Hygienefaktor bei der Kaufentscheidung, muss also zwingend erfüllt werden", sagt Christian Kleinhans, Partner und Automobilexperte bei der Beratungsgesellschaft Oliver Wyman.


    Der Druck zwingt die Autobranche auch zu völlig neuen Allianzen. Peugeot und Mitsubishi wollen gemeinsam Elektroautos entwickeln. Toyota kooperiert mit dem Elektrokonzern Panasonic, Nissan mit NEC, Volkswagen mit Sanyo. Der Autozulieferer Bosch will mit Samsung Batterien fertigen, Konkurrent Continental mit Enax.


    Doch es wird noch dauern, bis reine Elektroautos in großen Stückzahlen über die Straßen rollen. Denn Benzin- und Dieselmotoren werden weiter verbessert, die Autos werden aus weniger Hubraum mehr Leistung erzielen. Gleichzeitig wird sich die Hybridtechnologie weiter durchsetzen. "Das Rennen in den nächsten zehn Jahren geht klar in Richtung kleine Benziner, kombiniert mit Hybrid", sagt Ferdinand Dudenhöffer vom Center Automotive Research. "Noch vor dem Jahr 2020 werden wir keine Fahrzeuge mehr als Neuwagen sehen, die ausschließlich mit Verbrennungsmotor unterwegs sind."


    Nicht alle Hersteller sind auf die automobile Zukunft vorbereitet. Auf einem guten Wege sind die deutschen Autokonzerne, nachdem sie das Thema "alternative Antriebe" entdeckt haben. "Insbesondere der Volkswagen-Audi-Porsche-Konzern hat gleichzeitig technologische Kompetenz und kritische Marktgröße, um längerfristig die Japaner herauszufordern", sagt Stefan Bratzel vom Center of Automotive in Bergisch Gladbach. Toyota gilt als führend im Bereich der Hybridtechnologie, seit das Unternehmen 1997 mit dem Prius das erste Hybridserienfahrzeug verkaufte.


    BMW und Daimler besitzen dagegen zwar eine hohe technologische Kompetenz, allerdings sind sie mehr als andere auf Kooperationen angewiesen. Ihnen fehlt im Vergleich etwa zu Nissan, Toyota, VW oder GM die strategische Größe, die hohen Forschungsinvestitionen lohnen sich erst ab einer bestimmten Verkaufszahl. Dennoch haben die deutschen Marken insgesamt gute Chancen. "Sie verfügen über die Kunden, die sich Umwelt leisten können und immer mehr leisten wollen", sagt Götz Klink, Partner und Automobilexperte bei der Beratungsgesellschaft AT Kearney.


    Als "Angreifer aus der zweiten Reihe" gelten die französisch-japanische Allianz Renault-Nissan sowie Honda. Die Japaner wollen 2012 einen Hybrid für 12 000 Dollar auf den Markt bringen. Als Verlierer stehen Ford und Chrysler da. Andere, kleinere Hersteller können sich die Investitionen kaum leisten. Studien von Oliver Wyman zufolge belaufen sich die Ausgaben für Forschung und Entwicklung in den Bereichen Antrieb, Energiemanagement, Abgasnachbehandlung oder Kraftstoffe in den nächsten zehn Jahren auf 240 Milliarden Euro.


    Während die Zahl der Hybridfahrzeuge steigt und das Elektroauto marktreif wird, ist das wasserstoffbetriebene Brennstoffzellen-Mobil noch nicht übers Versuchsstadium hinaus. Frühestens Ende des nächsten Jahrzehnts wird es serienreif für den Massenmarkt sein, vielleicht auch erst 2030. Doch dass die Brennstoffzelle kommen wird, steht außer Frage. "Das Wasser ist die Kohle der Zukunft", sagt Smith im Roman. Und darin stimmen die heutigen Wissenschaftler dem Visionär Jules Verne zu.


    http://www.welt.de/wams_print/…35/Autos_unter_Strom.html