Ein diskreter Begleiter: Der Mann im Mond

  • Bereits 1902 empfing dieser nicht ganz freiwillig erstmals Besuch von der Erde


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    "Der Mann im Mond, der hat es schwer, denn man verschont ihn heut nicht mehr." In nachgerade seherischer Qualität sang der US-Amerikaner Gus Backus schon 1961 vom Ende des Friedens auf dem Erdtrabanten angesichts des menschlichen Wettlaufs zum Mond in Zeiten des Kalten Kriegs. Und zwar auf Deutsch, also mit herkunftsbedingt eierndem Zungenschlag. Zwar sollte es noch einige Jahre dauern, bis sich die Prognose des Schlagersängers vor 40 Jahren endgültig bewahrheitete, der Mann im Mond beschäftigte die Menschheit aber schon lange.


    Bereits 1902 empfing dieser nicht ganz freiwillig erstmals Besuch von der Erde. In dem bei Werken von Jules Verne und H. G. Wells Anleihen nehmenden Science-Fiction-Klassiker Voyage Dans La Lune des französischen Filmpioniers Georges Méliès landet eine aus einer irdischen Kanone abgeschossene Mondrakete im rechten Auge des Mondmannes: Aua!


    Damit erklärt sich die Vorstellung des Mannes im Mond auf Erdenbürgerseite deutlich. Kein eventuell tatsächlich auf dem Mond lebender Mann war damit gemeint, sondern die von den Menschen auf die Mondoberfläche, auf das Mondgesicht projizierte Fantasie. Je nach Kultur meinten die Menschen im Mond die verschiedensten Abbilder zu erkennen. Die Erde selbst spiegle sich in ihm, hieß es in der Antike, Geister Verstorbener wollte die Menschheit in der blassen Scheibe ebenso entdecken wie diverses Getier. Die Möglichkeiten für derlei Fantasien bietet der Mond wegen seiner aus Gebirgen, Steinwüsten und Kratern bestehenden Oberfläche sowie einer menschlichen Fähigkeit namens Pareidolie. So werden die Versuche des Gehirns genannt, zufällige Oberflächenmuster mit Erinnerungen abzugleichen, also daraus bekannte Bilder zu destillieren. Beispiele dafür gibt es sonder Zahl. Sei es die Interpretation von Wolkenformen oder das Entdecken von (Kinder-)Gesichtern auf menschlichen Kniescheiben.


    Der Mann im Mond ist jedenfalls ein gutmütiger, vertrauter Zeuge irdischen Daseins. Diskret wohnt er Liebenden bei, die sich in seinem Lichte näher kommen, oder spendet dieses Kindern im Dunkel der Nacht. Erscheint er im Profil, also in Sichelform, wird er gern mit Schlafmütze abgebildet. Das suggeriert Zufriedenheit. Und treu begleitet er auch jene auf ihrem Weg, die dabei zu Sturz kommen. Etwa den Sänger Nick Cave, der seiner einst an einem autobiografischen Tiefpunkt ansichtig wurde, im Rinnsal der Straße. (Karl Fluch/DER STANDARD, Printausgabe, 20. 7. 2009)


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