Reise um die Erde in 80 Tagen (HörbuchHamburg / Rufus Beck)

  • Eine Rezi aus der FAZ:


    "Wetten wir auf den Chronometer?"


    FAZ


    06/04/2002
    Die Erde ein Spielball: Rufus Beck liest Jules Verne


    Der Beginn der Globalisierung läßt sich genau datieren: Es ist Samstag, der 21. Dezember 1872, als Phileas Fogg, Gentleman, den Londoner Reform Club nach längerer Abwesenheit Schlag acht Uhr fünfundvierzig abends betrat. Erfunden wurde die Globalisierung genau achtzig Tage zuvor bei einer Partie Whist im nämlichen Etablissement. Mit der Nachricht von der Eröffnung der Strecke zwischen Rothal und Allahabad durch die „Great-Indian peninsular Railway“ war jene Wette auf die Durchführbarkeit einer pünktlichen Umkreisung des Erdballs möglich geworden, die Mr. Fogg beinah sogar souverän gewann.
    Mit realistischem Sinn hatte Jules Verne, als er seine phantastischen Abenteuerromane schrieb, die Erde als Kugel, als ein Ding für sich vor Augen. So wurde in seinen Büchern der Erdball im Ballon überflogen, man bohrte sich in seinen Kern vor und stieß sich von ihm Richtung Mond ab. Und man umrundete den Planeten, auf dem von nun an alles mit allem zusammenhing. Mit Dampfschiff und Eisenbahn legen Fogg und sein Diener Passepartout den Großteil ihrer Akkordreise von London über Suez, Indien, China, Japan, Nordamerika nach London zurück. Nicht die geringe Zahl der benötigten Tage, sondern daß sich auf sie wetten ließ, bildete die eigentliche Sensation. Jetzt mußten nur noch die Uhren synchronisiert werden, ein Motiv, das Verne nicht nur für die berühmte Schlußpointe, sondern mit zahlreichen nicht übereinstimmenden Chronometern von Beginn der Geschichte an ausspielt. Alle Abenteuer, die es zu bestehen galt, konnten da nur Zwischenspiele sein. Detektiv Fix wiederum, der den Gentleman Fogg für einen Gentlemandieb hält und hinter, neben, mit ihm um den Erdball eilt, muß erfahren, daß die Individuen jetzt schneller sind als die Polizei. Der englische Haftbefehl, auf den er wartet, reist den Weltumquerern stets hinterher.
    Wie es sich für einen prächtigen Schundroman gehört, entfaltet Jules Verne Erzähltechnik nur die zwei, drei Attribute, mit denen er Phileas Fogg weniger charakterisiert als anpreist: Eiskalt und von mathematischer Genauigkeit ist dieser Hernn. Daß das kultivierte Gerüst ein warmes Herz stützt, überrascht den Hörer dabei sowenig wie die Inderin Frau Aouda, die Mr. Fogg unter seine Fittiche nimmt, erst um die halbe Welt und schließlich in den sichereren Hafen der Ehe führt. Jules Verne erzählt all dies im wissenden Tonfall des Ohrensesselreisenden, der seine Zuhörerschaft wahrhaft Erstaunliches zu Gehör bringt, und in diesem Duktus trägt Rufus Beck die Geschichte vor. Seine ausgeprägte Begabung, den unterschiedlichen Charakteren eine eigene, sofort wiedererkennbare Stimme zu verleihen, die wesentlich zur Beliebtheit seiner Harry-Potter-Lesungen beitrug, fände hier wenige Anknüpfungspunkte, hätte sich Verne nicht beherzt allen nationalen Klischees in die Arme geworfen. Und so gibt Beck den stoischen Reisenden mit jener „aktiven Ruhe“, jener unermüdlichen Gelassenheit, an welcher der französische Welterfolgsautor die historische Errungenschaft bewundert, daß man Engländer sein kann. Foggs Diener Passepartout hingegen agiert und räsoniert und plaudert mit dem Freimut des guten französischen Herzens die kleine Reisegruppe mehrfach fast um Kopf und Kragen, er hat es dem Vorleser hörbar angetan, dessen Stimme sich mitunter den markanten Charakteren geradezu entgegenstreckt. Dann wechselt er schon im Erzählen den Tonfall, wenn die nächste wörtliche Rede lockt.
    Beck liest die wohlklingende Übersetzung von Erich Fivian aus dem Jahre 1966 nicht ungekürzt. Den Streichungen zum Opfer fielen Exkurse und Beschreibungen, in denen der Autor Buntes und Interessantes über die durchreisten Gegenden zum besten gab. Die „Fleischfetzen“, die nach einem gerade noch abgewehrten Überfall von Sioux-Indianern an den Rädern der Eisenbahn kleben, bleiben blutrünstigen Hörbuchkids jedoch gottlob ebenso erhalten wie der Tadel von Eingeborenensitten, die den strengen Maßstäben des Reform Club nicht genügen. Weniger schön ist, daß auf der CD-Hülle mit keinem Wort auf die Kürzung hingewiesen wird.
    Nicht, daß die Streichung das Tempo der Erzählung wirklich erhöhte. Sie kürzt nur deren Wegstrecke. Die rasante Reise um die Welt ist angenehm unrasant erzählt. Das liegt an der märchenhaften Selbstverständlichkeit, mit der auch die größten Fährnisse bestanden und die schon verpaßten Anschlüsse doch noch eingeholt werden. Wenn die Welt tatsächlich rund ist, führen ohnehin alle Wege wieder in die bequemen Sessel des Reform Club. Was zu beweisen war – das ist nicht nur die Grundeinstellung des phlegmatisch-souveränen Abenteurers Fogg, sonder auch die Erzählhaltung des Autors. Wer sich den Ingenieur im Herzen bewahrt hat, wird das verstehen. So schwebt die Geschichte von ihrem Erzählton her auf der Stelle, während sich unter ihr der Globus dreht.


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