Kiesers "Weil da war etwas im Wasser"

  • Kiesers "Weil da war etwas im Wasser" morgen bei den O-Tönen

    16. Aug. 2023 ·


    Ein Tintenfisch als Erzähler? Genauer gesagt sind es seine zehn Arme, die erzählen. Geht's noch? Das geht sogar ganz großartig, denn so verstiegen Luca Kieser seinen Roman "Weil da war etwas im Wasser" beginnt, so überzeugend gelingt es ihm im Verlauf des gewagt konstruierten Buches verschiedene Geschichten zu erzählen und Empathie zu wecken für die Natur als Ganzes und den Riesenkalmar im Speziellen. Morgen gibt's die Buchpremiere bei den O-Tönen im Wiener Museumsquartier.



    "Nature Writing" ist ein boomendes Literatur-Genre, aber was sich der 1992 in Tübingen geborene und in Wien lebende ehemalige Philosophie- und Sprachkunststudent Luca Kieser ausgedacht hat, hat man noch nie gelesen. Der Riesenkalmar (lat.: Architeuthis dux) zählt mit seiner Länge von bis zu über zehn Metern zu jenen Meerestieren, die Angst und Schrecken verbreiten können und Stoff für manche aus Seemannsgarn gestrickten Geschichten bieten. Tatsächlich stößt man gleich anfangs auf den Roman "Der weiße Hai", denkt bei der Lektüre passagenweise an "Moby Dick" und seinen Kampf mit Kapitän Ahab und begegnet in der Folge auch Jules Verne persönlich.


    Das Ganze passiert natürlich nicht zufällig. Im Zuge der Arbeit an seinem Romandebüt hat Kieser gemeinsam mit der Schriftstellerin Jana Volkmann einen Lesekreis ins Leben gerufen, der sich mit Texten über Tiere beschäftigt, erfährt man auf seiner Homepage. "Gleichzeitig nahm er ein Studium der Ethik an der Universität Wien auf, in welchem er sich zunehmend auf Natur- und Tierethik spezialisiert." Nachdem ihn lange vor allem das literarische Porträtieren beschäftigt habe, stehe für ihn nun die Frage im Zentrum, "ob und wenn ja wie sich über Wesen wie Tiere, Pflanzen, Landschaften oder Wetter sprechen lässt". "Weil da war etwas im Wasser" darf wohl als Versuch einer Antwort auf diese Frage gelten. Es ist eine überzeugende Antwort geworden.


    Im Binnenland Österreich üben Meerestiere offenbar große Faszination auf hier lebende Autorinnen und Autoren aus. Michael Stavarić hat erfolgreiche Kinderbücher über Quallen und Kraken vorgelegt, Marie Gamillscheg im Vorjahr die Meerwalnuss, lat. Mnemiopsis leidyi, in den Mittelpunkt ihres Romans "Aufruhr der Meerestiere" gestellt. Dort forscht die junge Meeresbiologin Luise über dieses "Monster der Anpassung", das sich als Nutznießer des Klimawandels massenhaft verbreitet.


    Bei Luca Kieser ist es zunächst die junge Praktikantin Sanja, die auf einem Frosttrawler arbeitet, der per Schleppnetz massenhaft Krill fängt, die Bekanntschaft mit einem Riesenkalmar macht. Dieser gerät ins Netz und bringt die ganze Maschinerie zum Stocken. Sie soll sich um das gefangene Tier kümmern, baut eine unerklärlich starke Beziehung zu ihm auf und lässt buchstäblich nicht los, als der Container mit "Ariel", wie sie ihn getauft hat, per Hubschrauber auf ein anderes Schiff transportiert wird. Der Krake revanchiert sich: Rechtzeitig, ehe ihre Finger den Halt verlieren, hat er sich per Saugnapf fest mit ihr verbunden ...


    Man kommt im Verlauf des sprunghaft die Perspektive wechselnden Buches auch mit der Geheimagentin Damar in Berührung, mit unerschrockenen Kapitänen, mit endlosen Tiefseekabeln, mit dem Puls des Lebens und der Daten, der Kontinente ebenso verbindet wie Menschen und Tiere. Man gelangt dabei in tiefe wie in seichte Gewässer und verliert dabei schon mal die Orientierung - aber schließlich hat jeder der Arme (von denen zwei zu Tentakeln ausgebildet sind) etwas zu erzählen, der "müde Arm" ebenso wie der "eingebildete Arm", der "süße Arm" oder der "bisschen-schüchterne". Und sie erzählen so gut, dass man feststellt, dass einem das Leben der Kraken wohl noch nie so anschaulich erzählt und so nahe gebracht wurde wie hier.


    Der Perspektivenwechsel bringt die Leser schließlich auch in Kontakt mit "unserem jungen Autor". Keine Metaebene ohne Selbstreflexion! "Seit er angefangen hat, von seinem Kraken zu schreiben" müsse er sich "andauernd eingestehen, dass die Sprache nicht wirklich geeignet ist, das abzubilden, was in einem Tier vor sich geht", heißt es da. Das mag sein. Aber die Hilfskonstruktion, die Luca Kieser in seinem Roman stattdessen angeboten hat, funktioniert schon mal ganz hervorragend.


    Luca Kieser ist auch Lyriker. Sein erster Gedichtband soll Ende 2023 bei hochroth münchen erscheinen, ein Langgedicht ist für Frühjahr 2024 in der edition keiper angekündigt. Man darf gespannt sein. "Weil da war etwas im Wasser" ist jedenfalls nicht nur ein außergewöhnliches Buch, sondern auch ein Versprechen für die Zukunft.


    (S E R V I C E - Luca Kieser: "Weil da war etwas im Wasser", Picus Verlag, 320 Seiten, 26 Euro; Lesung bei den O-Tönen im Wiener Museumsquartier: Do., 17.8., 20 Uhr; http://www.lucakieser.de)


    Quelle: https://www.puls24.at/news/ent…n-bei-den-o-toenen/305293

  • Luca Kieser: Weil da war etwas im Wasser


    2021 gewann Luca Kieser mit „Chemie“ Wortlaut, den FM4 Kurzgeschichtenwettbewerb. Der philosophierende Tintenfisch bzw. seine acht Arme erzählen in „Weil da war etwas im Wasser“ von einem Forschungsschiff, einer Familiengeschichte und mehreren 30-Jährigen, die von der Tiefsee fasziniert sind.


    Von Zita Bereuter


    Luca Kieser war nie in der Antarktis oder auf einem größeren Schiff. „Die Fähren über den Bodensee. Solche Schiffe bin ich gefahren. Das waren wahrscheinlich die Größten“, sagt er. Er war auch keines der Kinder, die Tintenfische liebten: „Ich habe auch nie Calamari gern gegessen oder getaucht und die gesehen oder so, das ist tatsächlich erst in den letzten Jahren gekommen.“ Den genauen Zeitpunkt erwähnt er im Roman: „Und dann, an diesem 1. April 2020, dachte er zum ersten Mal an einen Kraken.“


    Ein Jahr später hat er schon so viel über Kraken geschrieben, dass er einen Text bei Wortlaut, dem FM4 Kurzgeschichtenwettbewerb einschickt. Nicht irgendeinen. Den Besten. Er gewinnt Wortlaut. In „Chemie“ lässt er einen Tintenfisch, der von einem Wal geschluckt wurde, über seine Verwandlungen nachdenken. Von Amber über Globuli ist alles möglich - bis hin zur großen Liebe – wenn die Chemie stimmt.

    Luca Kieser arbeitete an etwas Größerem und wusste, „auch diese Chemie-Geschichte wird ein Teil von dem Roman sein“.


    Der Wortlautgewinn war dennoch wichtig für den Roman. „Weil das war ganz schön motivierend. Ich habe sehr viel schneller zu Ende geschrieben, als ich gedacht hätte. Die erste Rohfassung des Manuskripts war dann schon so im Frühjahr 2022, also drei, vier Monate später, fertig.“


    Das Tier

    Im Mittelpunkt steht also ein Tintenfisch. Genauer: Ein Kalmar. Noch genauer: Eine Kalmarin. Deren acht Arme erzählen verschiedene Geschichten, die letztlich alle zusammenhängen. Es gibt den süßen, hehren, blendenden, bisschen schüchternen, müden, halben und den eingebildeten Arm. Sie alle haben sich während des Schreibens organisch entwickelt, erklärt Luka Kieser. Angeregt durch die Diskussion um kulturelle Aneignung und nicht zuletzt durch sein Ethik- und Philosophiestudium wollte Luca aus der Sicht eines Tieres erzählen. „Ich habe mir so ein Bewusstsein vorgestellt, das in einem Wir funktioniert. Und in diesem Wir gibt es verschiedene Anteile, eben das Süße, das Müde, das bisschen Schüchterne. Und die müssen sich zusammen einigen, wie sie ihre Geschichte ihres Kalmars oder der Kalmarin erzählen und können dann aber auch jeder und jede eine eigene Geschichte noch erzählen.“ Seitlich auf jeder Buchseite ist immer der aktuell erzählende Arm vermerkt.

    Immer wieder fordern die Arme auf, doch einige hundert Seiten nach vor- oder zurückzublättern. Das ist kein Grund, nervös zu werden, meint Luca Kieser. „Ich würde mir wünschen, dass man vielleicht am Ende vom Buch ein bisschen gelernt hat, dass man nichts falsch machen kann, sondern nur richtig machen kann. Und es ist ja auch nur eine Einladung.“ Ein verspielter Roman im besten Sinn.


    Tintenfischarmecocoparisienne/Pixabay


    So begleitet man einerseits eine Crew auf einem Frosttrawler auf ihrem Weg in die Antarktis. Sie forschen und fischen Krill. Krill ist ein Teil des Planktons, der in großen Mengen gefangen wird und verarbeitet im Alltag häufig vorkommt.


    Die Familie

    Im zweiten Teil liegt der Fokus auf einer Familie, die über Generationen immer wieder auf unterschiedlichste Weise mit Tintenfischen in Kontakt gekommen ist. „Heute würde man eine Familie wie die Mackes neureich nennen und in der Hoffnung, dass man sie so nicht zu Gesicht bekommt, nach Sülz, in den siebten Bezirk, nach Schleusig, Schwabing oder in den Prenzlauer Berg abschieben. In der Zeit der Mackes aber war die Pflege der Privilegien für diejenigen, die nicht genügend Anstand besaßen, um DAS REICH zu verlassen, der beste Schutz gegen schmutzige Hände.“


    Die Männer

    Jules Verne mit einem Kalmar in einer Karikatur von 1884


    Die Tintenfischarme erzählen aber auch von verschiedenen Männern, die vom Leben im Meer fasziniert waren und dies in Literatur oder Film verarbeiteten. Vom Science-Fiction Autor Jules Verne (der u.a. „20.000 Meilen unter dem Meer“ geschrieben hat) über Peter Benchley (der Autor von „Der Weiße Hai“) bis zum Bühnenbildner Robert Mattey (er baute u.a. den Riesenkalmar in der Disneyverfilmung von „20.000 Meilen unter dem Meer“) bis zu einem gegenwärtigen Autor, der sehr viele Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten mit Luca Kieser hat.


    Diese Männer haben sich zwar alle in unterschiedlichen Zeiten und Jahrhunderten mit Meerestieren auseinandergesetzt, aber sie waren damals alle in etwa gleich alt: 30 Jahre. „Mich hat dieser Moment interessiert, auch bei mir selbst, dem letzten dieser Männer. Was das für ein Moment ist, wenn man künstlerisch tätig ist oder schreibt und dann etwa 30 ist.“


    Diese historischen Momente beschreibt Luca Kieser ebenso schlau und gekonnt wie verknappt und verdichtet. Die enorme Recherchearbeit, die dahinter stecken musste, sieht Luca Kieser als „Fleiß“. „Am anstrengendsten fand ich die Recherche zu mir selbst. Da denkt man ja eigentlich, da muss man gar nicht recherchieren, alles ist da. Aber gerade das macht es so tricky, weil man viel weiß, was Lesende nicht unbedingt wissen. Und man muss erst mal diesen Abstand gewinnen, den man bei allen anderen schon hat.“


    „Aber Unsicherheit ist ja schön, alles andere ist bloß Wahrheit.“ (aus „Weil da war etwas im Wasser“)


    „Weil da war etwas im Wasser“ von Luca Kieser ist bei Picus erschienen.


    Das Tagebuch

    Im letzten Teil liest man im Tagebuch einer jungen Frau, die auf dem Forschungsschiff ein Praktikum absolviert. „Tagebuch zu führen macht auf einem Schiff keinen Sinn. Für ein richtiges Tagebuch passiert einfach zu wenig und ein Traumtagebuch geht auch nicht, ich träume hier nämlich nicht.“ Folglich schreibt sie mehr über ihre Vergangenheit.


    Luca Kieser erzählt autofiktional und offen von einem jungen Mann, von seinem Schreiben, aber auch von den Problemen mit seinem Penis. Darüber zu schreiben sei eine schwierige Entscheidung gewesen, von der ihm auch einige Freundinnen und Freunde abgeraten hätten. Aber ebendiese meinten, nachdem sie es gelesen hätten:„Dass das doch ein gutes Statement ist, wie man vielleicht doch auch heute noch als junger Mann über seinen Penis schreiben kann.“


    „Weil da war etwas im Wasser“ ist ein großer Wurf. Eigenwillig und mutig in Form und Inhalt schwimmt Luca Kieser gegen den Strom und sticht aus dem Meer der Neuerscheinungen heraus. In diesen Roman einzutauchen – um noch eine letzte Wassermetapher zu verwenden – lohnt sich. Anfangs braucht man eventuell einen langen Atem, aber dann bleiben besondere Erinnerungen.


    Luca Kieser stellt das Buch bei den o-tönen am 17. August in MQ in Wien vor.


    Quelle: https://fm4.orf.at/stories/3035124/