Fantasy-Autor Wolfgang Hohlbein: "Mythologie inspiriert mich"

  • Fantasy boomt. Und Wolfgang Hohlbein ist mit Millionenauflagen wohl der erfolgreichste Schriftsteller Deutschlands. Der Meister der Fantastik wird jetzt siebzig




    Interview

    Wolfgang Liemberger Sophie Reyer

    15. August 2023, 12:00


    Meister Hohlbein könnte eine Figur aus seinen eigenen fantastischen Romanen sein.

    http://www.hohlbein.de


    Das Genre boomt, und ein Ende ist nicht abzusehen. Spin-offs von George R. R. Martins Game of Thrones und J. R. R. Tolkiens Lord of the Rings sind nur die Spitze des Eisbergs. Kaum jemand jedoch hat die Welt der deutschen Fantastik der Gegenwart dermaßen stark mitgeprägt wie Wolfgang Hohlbein. Geboren 1953 in Weimar, gilt der mit seiner Großfamilie heute in Neuss lebende Autor als der Wegbereiter neuer deutscher Fantastik und Fantasy, deren Tore er für den deutschsprachigen Raum in allen Facetten für eine breite Leserschaft neu "aufgemacht" hat. Damit hat er eine Welle ins Rollen gebracht, die bis heute ungebrochen anhält.


    "Der erfolgreichste Schriftsteller Deutschlands" (Deutschlandfunk) ist mit über 200 Romanen und einer Gesamtauflage von 50 Millionen Büchern der auflagenstärkste und meistgelesene deutsche Autor der Gegenwart, der zudem zahlreiche Auszeichnungen vom Deutschen Fantastikpreis bis zum internationalen Literaturpreis Nyx erhalten hat. Hohlbeins Romanwelten decken alle fantastischen Genres ab: die Nibelungensage in Hagen von Tronje – derzeit bei Constantin als Kinoverfilmung in Produktion –, Dark Fantasy, übersinnliche Abenteuer, Historie, Mystery-Thriller, Horror à la Lovecraft und Science-Fiction.


    Seine im österreichischen Ueberreuter-Verlag erschienenen, teils mit seiner Frau Heike erdachten märchenhaften Jugendromane wie Märchenmond wurden zur Erfolgsmarke deutschsprachiger Fantasyliteratur. Hohlbeins Werke wurden für zahlreiche Hörbücher, als Familienmusicals oder als Rockoper (Blutnacht) sowie als Verfilmung adaptiert. Aktuell startet die aufwendig produzierte Amazon-Prime-Serie Der Greif nach Hohlbeins gleichnamigem Bestseller international durch. Die Autorin Sophie Reyer und der Filmemacher Wolfgang Liemberger trafen Wolfgang Hohlbein anlässlich seines 70. Geburtstags Mitte August zum Gespräch.


    STANDARD: Wolfgang Hohlbein, Ihr außergewöhnlich vielseitiges künstlerisches Werk ist erfüllt von Fantasie, die Jung und Alt gleichsam fasziniert. Was inspiriert, was beeinflusst Sie?


    Hohlbein: Es gibt nicht die Quelle der Inspiration. Sicher hat mich beeinflusst, dass ich als Kind und Jugendlicher selbst viel gelesen habe. Mit Karl May habe ich den ersten Umgang mit Texten gelernt. Dann kamen Perry Rhodan, Jules Verne und H. P. Lovecraft, später Stephen King sowie George R. R. Martin. Meine besten Ideen kommen aber, glaube ich, aus der Wirklichkeit. In meinen Geschichten möchte ich den Leser an die Hand nehmen und aus der Realität in eine andere Welt entführen.


    STANDARD: Wann können Sie am besten arbeiten?


    Hohlbein: Ich arbeite am liebsten oder fast ausschließlich nachts. Das hat keine tiefenpsychologischen oder mythischen Gründe, sondern war einfach eine praktische Geschichte. Anfangs hatten meine Frau Heike und ich eine relativ kleine Wohnung, aber schon zwei Kinder. Nachts war die einzige Zeit, wo ich in Ruhe zu Hause arbeiten konnte. Als junger Möchtegern-Autor hatte ich zudem einen Job als Nachtwächter angenommen, da konnte ich in Ruhe schreiben.


    STANDARD: Sie bedienen in Ihren Romanwelten alle Bereiche der Fantastik. Wie geht das, zwischen den verschiedenen Genres zu wechseln?


    Hohlbein: Ich finde, alles, was fantastisch ist, gehört irgendwie zusammen. Ich habe mir immer schon einen Spaß daraus gemacht, verschiedene Gattungen auch zu mixen. Zum Beispiel in meiner Romanreihe Enwor, die sowohl Fantasy als auch Science-Fiction bedient, oder den Vampirmythos mit Historie verbunden wie in Die Chronik der Unsterblichen .


    STANDARD: Es ist jetzt vierzig Jahre her, dass Sie "Märchenmond" geschrieben haben. Wie ist Ihr großer Durchbruch entstanden?


    Hohlbein: Märchenmond ist zusammen mit meiner Frau Heike entstanden und war unser erster gemeinsamer Roman. Wir ergänzen uns hervorragend. Von ihr kommen meistens die Ideen, und ich darf dann eine Geschichte daraus machen und zu Papier bringen. Anlass war damals ein Nachwuchswettbewerb des Ueberreuter-Verlags in Wien. Selbst deutschsprachige Verlage haben gemerkt, mit Fantasy kann man tatsächlich Geld verdienen – und es gibt nicht nur englische oder amerikanische Schriftsteller, die in dem Stil schreiben können.


    STANDARD: Welchen Stellenwert hatte zu Ihren Anfängen das fantastische Genre hierzulande im Vergleich zu heute?


    Hohlbein: Das Wort "Fantasy" gab es eigentlich noch gar nicht, und wenn, dann wurde das mit spitzen Fingern angefasst. Aber wenn man genau hinschaut – lassen wir mal den neudeutschen Begriff "Fantasy" weg –, dann sind die großen und auch die ersten Werke der Weltgeschichte fantastische Erzählungen: das Gilgamesch-Epos, das Alte Testament, der Koran, auch die Odyssee und die Edda – es ist alles fantastisch! Die Mythologie inspiriert mich einfach. Man findet überall auf der Welt ähnliche Geschichten, die immer wieder anders neu erzählt werden, aber an den Erzählungen ändert sich nicht viel.


    STANDARD: Wie ist Ihr Zugang zum Schreiben? Worum geht es im kreativen Prozess?


    Hohlbein: Wenn man darauf wartet, kommt der kreative Prozess. Vielleicht. Auf die Gefahr hin, dass es arrogant klingt: Man kann es, oder man kann es nicht. Ich plane nicht wirklich viel. Ich bin jemand, der einfach beginnt und es gerne laufen lässt. Ich schreibe einfach. Und bin manchmal selbst überrascht, was dabei herauskommt.


    STANDARD: Sind Sie im Privaten eher ein Realist oder ein Fantast?


    Hohlbein: Privat bin ich sehr realistisch. Ich glaube, es gibt viele Dinge, die wir nicht verstehen und nicht kennen und vielleicht auch nicht verstehen sollten. Die Natur, die Wirklichkeit ist so vielfältig und bizarr und auch so schön, dass wir nie alles begreifen werden. Das ist auch richtig so.



    STANDARD: Ihre Helden sind meist starke Identifikationsfiguren. Was ist für Sie ein Held?


    Hohlbein: Das muss jeder für sich beantworten. Es gibt die verschiedenen Archetypen – Siegfried zum Beispiel. Für mich persönlich ist ein Held aber weniger der Marvel-Hero im blauen Strampelanzug, der unverwundbar ist, sondern ein Mensch wie du und ich, der in eine Situation geworfen wird, wo er nach Möglichkeit über seine Grenzen hinauswachsen oder Dinge tun muss, die er sich selbst gar nicht zutraut!


    STANDARD: Es ist große Kunst, so viele mitreißende Geschichten zu erzählen. Spiegeln die Themen, die sich durch Ihre Romane ziehen, Lebensphasen wider? Oder betreiben Sie beim Schreiben eher eine Art Eskapismus?


    Hohlbein: Natürlich ist es eine Art Weltflucht, was ich auch gar nicht als so schlimm empfinde, solange man den Anschluss wiederfindet. Meine Art, Geschichten zu erzählen, hat sich mit den Jahren geändert, und auch die Geschichten, die ich erzähle, haben das getan. Ich weiß nicht, ob ich reifer geworden bin, auf jeden Fall älter, man sieht manche Dinge anders. Ich hatte das Glück, einen Beruf ergriffen zu haben – ich war Industriekaufmann –, den ich gehasst habe. Und dann bin ich in andere Welten geflüchtet. Einen Beruf auszuüben, ohne der Nachwelt etwas zu hinterlassen, das wollte ich nicht. Für mich waren das Lesen und das Schreiben eine Therapie, weil ich zutiefst unglücklich war. Den Sprung ins kalte Wasser als junger Autor habe ich keine Sekunde bereut.


    STANDARD: Würden Sie im nächsten Leben nochmals Autor werden wollen?


    Hohlbein: Natürlich ist es leicht zu sagen, ich würde es genauso machen – hat ja funktioniert! Ich würde auf jeden Fall etwas Kreatives machen, vielleicht würde ich Filmemacher werden oder ein kreativer Bankräuber, auf jeden Fall etwas, was nicht ganz in der Norm ist. (Sophie Reyer, Wolfgang Liemberger, 15.8.2023)


    Wolfgang Hohlbein wurde 1953 in Weimar geboren. Gemeinsam mit seiner Frau Heike verfasste er 1982 den Fantasyroman "Märchenmond", der den Fantasy-Wettbewerb des Verlags Ueberreuter gewann. Das Buch verkaufte sich bisher weltweit 4,5 Millionen Mal und beflügelte seinen Aufstieg zum erfolgreichsten deutschsprachigen Fantasy-Autor. Hohlbein lebt mit seiner Familie in der Nähe von Düsseldorf. Alle Infos zu seinen fantastischen Welten unter http://www.hohlbein.de.


    Quelle: https://www.derstandard.de/sto…ythologie-inspiriert-mich