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"Für eine bessere Welt" von Roland Schimmelpfennig
Die HR-Produktion wurde am Sonntag von der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste als Hörspiel des Jahres 2004 ausgezeichnet.
Begründung der Jury: "Für eine bessere Welt spiegelt in Inhalt und Umsetzung die Zapping-Haltung und Oberflächlichkeit der Medienwelt und liefert eine zuweilen erschreckend aktuelle Projektionsfläche für zahlreiche Assoziationen, Interpretationen und Reaktionen".
hoerdat liefert folgende Infos
ZitatAlles anzeigenAutor(en): Roland Schimmelpfennig (BRD 1967)
Produktion: HR 2004 stereo 88 Min. - Originalhörspiel, dt.
Regie: Leonhard Koppelmann
Sprache: Deutsch
Preise /
Auszeichnungen: Hörspiel des Monats, Hörspiel des Jahres (ARD)
Inhaltsangabe: In diesem chorischen Epos über die mythische Präsenz des Krieges haben die kämpfenden Frauen und Männer eine normale, eine profane Geschichte als Barkeeper oder Fotomodell. Doch irgendwann scheint diese ausgelöscht. Schimmert wie ein fernes, dumpfes Licht über den Alltag, den Krieg. Warum er geführt wird, ist schon lange nicht mehr relevant. Verlorene Ziele in Afrika. Soldaten, vergessen im Dschungel. Die Unwirklichkeit wuchert, der Glaube an das Übersinnliche schlingt sich in die Ratio. Das Archaische gedeiht in der soldatischen Isolation, so dass fehlgeleitete Schottenröcke die Basis einer neuen Identität bilden können oder Sex mit der Vorgesetzten den feindlichen Todesschuss ankündigt. Dinge geschehen, die nicht mehr erklärbar sind. Das Grauen ergreift Besitz, die Angst ist nur noch schwer zu betäuben. Und irgendwann ist sich jeder der nächste. Wenn das Wasser knapp wird, bekommt der Kampf wieder einen Sinn. Da braucht es keinen Feind, da reicht der Freund in der anderen Truppe. Der Krieg als Konstante bleibt bestehen."
Hörspiel des Monats August - Begründung der Jury der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste:
"Roland Schimmelpfennig, prominenter Vertreter des neuen Autoren-Theaters, erzählt in seinem 'epischen Stimmenspiel' (hr) 'Für eine bessere Welt' von allgegenwärtigen Kriegen. Eine Gruppe Frauen und Männer kämpft irgendwo und irgendwann gegen Feinde, Freunde, Phantome - und mit sich selbst. Der Sinn geht den Akteuren in Schimmelpfennigs - zunächst fürs Theater bestimmter - 'Textfläche' ebenso abhanden wie die Individualität und die Realität.
Regisseur Leonhard Koppelmann realisiert Schimmelpfennigs dialogarme und handlungsarme Textfläche mit einer Riege junger, emotionslos sprechender Schauspieler und enormem akustischem Aufwand. Er versetzt die berichtenden Helden in akustische Welten, die durch Musik, Geräusche und dokumentarische Originaltöne ungemein plastisch gestaltet sind, und montiert die einzelnen kurzen Szenen nichtlinear. Abrupte Wechsel zwischen Krieg und Frieden, Gegenwart und Vergangenheit, Realität und Mythos, Ernst und Komik, Hightech und Archaik kennzeichnen das Hörspiel - und doch entwickelt sich aus den kunstvoll aneinandergeschnittenen Bruchstücken eine immer wieder überraschende, offene Geschichte. Mal erinnert das Hörspiel an (Anti-)-Kriegsfilme wie 'Apocalypse Now', mal ans Zappen durch TV-Programme voll mit Kriegsreportagen, Soaps, Werbung, Porno und Fantasy Trash. Und mal wirkt es wie eine Verlängerung antiker Konstellationen in die Gegenwart. Koppelmann gelingt ein sehr modernes, extrem dynamisches Ohren-Kino.
'Für eine bessere Welt' überzeugt durch Sprechhaltungen ohne Pathos, kurze, offene Textpassagen in suggestiver Reihung, eingängige Soundphrasen und eine bildfähige akustische Realisation. Es kombiniert akustisches Erzählen und sprachliche Knappheit auf neue Weise und ergänzt die gängigen Hörspielästhetiken um eine sehr anregende Variante."
Hörspiel des Jahres 2004 - Begründung der Jury der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste:
Allgegenwärtige Kriege sind das Thema in Schimmelpfennigs ursprünglich für das Theater verfaßten Vorlage. In martialischer Dschungelszenerie kämpft jeder gegen jeden, mancher gegen sich selbst, aber alle sind dabei, irgendwo im Nirgendwo. Der Sinn geht den Akteuren ebenso abhanden wie ihre Individualität. Dazwischen dringen - radikal verschnitten mit den Kriegssituationen - Szenen aus dem oberflächlichen Alltag einer Gegenwartsgesellschaft: Werbeshootings, eine Kampagne für - ausgerechnet - kalten Kaffee.
&8220; spiegelt in Inhalt und Umsetzung die Zapping-Haltung und Oberflächlichkeit der Medienwelt und liefert eine zuweilen erschreckend aktuelle Projektionsfläche für zahlreiche Assoziationen, Interpretationen und Reaktionen. Selbst ein Bild wie das aktuell um die Welt gehende Foto jenes dickbäuchigen Touristen, der am Strand vor den Trümmern und Leichensuchern nach der Tsunami-Katastrophe ungerührt sein Dosenbier trinkt, kann im Kopf des Hörers auftauchen - ohne freilich im Hörspiel tatsächlich Erwähnung zu finden. Aber auch Schimmelpfennig, prominenter Vertreter des neuen deutschsprachigen Autoren-Theaters, liefert ein Nebeneinander von eigentlich Unvereinbarem, zeigt beliebig an- und abschaltbare Emotion. Die Konfrontation dieser gegensätzlichen Welten schafft unvermutete Parallelen: Die Akteure funktionieren, das Leben muss weiter gehen. Wozu, bleibt irrelevant. Die Umsetzung dieser Thematik betreibt der Regisseur mit enormem akustischem Aufwand.
Als Sprecher besetzt er eine Riege junger Schauspieler, die weniger als Individuen hervortreten als vielmehr als gut funktionierendes Ensemble. Das agiert in einem dichten Gewebe aus gesprochenem Wort, Musik, Geräuschen und dokumentarischem Originalton. Absurd und wahnhaft, nicht-linear montiert.
Koppelmann liefert damit ein extrem dynamisches Ohrenkino in rasanter, auf das akustische Medium übersetzter Videoclip-Ästhetik. Ein mediales Dauerfeuer entsteht, wie es auch TV-Konsumenten erleben, die sich im Sekundentakt durch Kriegsreportagen, Werbung, Daily Soaps, Fantasy Trash und wieder zurück zappen, und das den assoziativen Möglichkeiten, die die Textvorlage eröffnet, vollkommen angemessen ist. Ein Hörspiel, das sowohl Unterhaltung als auch Statement ist – oder doch immerhin sein kann."
Mit: Junge: Lars Rudolph
Mann1: Martin Feifel
Mann 2: Matthias Haase
Mann 3: Andreas Grothgar
Mann 4: Ingo Hülsmann
Frau 1: Christiane Roßbach
Frau 2: Bettina Engelhardt
Frau 3: Nicole Boguth
Frau 4: Susana Fernandes-Genebra
Warum laufen solche Preisverleihungen eigentlich ohne jede Öffentlichkeit ab? Und bei den Jurybegründungen braucht man ja erstmal ein Lexikon - man kann ja kernige Schlagworte aneinanderreihen, ohne wirklich was zu sagen. Mir sagt die Begründung jedenfalls wenig bis gar nichts. Im Gegenteil: Die sinngemäß geschilderte zusamemnhanglose Aneinanderreihung von Hörszenen würde mich eher abschrecken, das hören zu wollen.