Eklat bei Vize-Wahl: Mehrheit lässt Bisky durchfallen

  • Berlin (dpa) - Überschattet von einem Eklat bei der Wahl des Parlamentspräsidiums hat der 16. Deutsche Bundestag am Dienstag seine Arbeit aufgenommen. Linkspartei-Chef Lothar Bisky verfehlte in drei Wahlgängen die notwendige Mehrheit für das Amt des Bundestags-Vizepräsidenten.


    Die Fraktion hält an Bisky fest. In einem vierten Wahlgang an einem anderen Tag soll versucht werden, Bisky doch noch zu wählen.


    Der CDU-Politiker Norbert Lammert war zuvor mit großer Mehrheit zum Parlamentschef gewählt worden. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und die Minister erhielten vier Wochen nach der Bundestagswahl von Bundespräsident Horst Köhler ihre Entlassungsurkunden, sollen die Geschäfte aber bis zum Antritt einer neuen Regierung fortführen. Die Sachfragen in den Verhandlungen für eine große Koalition sollen in 16 Arbeitsgruppen mit insgesamt bis zu 190 Politikern vorbereitet werden.


    Bisky verfehlte in den ersten zwei Wahlgängen die absolute und im dritten Wahlgang sogar die einfache Mehrheit. Auf ihn entfielen nur 248 Ja-Stimmen. 258 Abgeordnete stimmten mit Nein, 31 enthielten sich. Von 544 abgegebenen Stimmen waren 537 gültig. Die Linkspartei-Fraktion kam anschließend zu einer Sondersitzung zusammen. Fraktionsmitglieder zeigten sich nach der Abstimmung geschockt: "Wir hatten von den anderen Fraktionen deutliche Signale, dass die Vorschläge akzeptiert werden", sagte Fraktionsvize Gesine Lötzsch dem Nachrichtensender n-tv.


    Der 56-jährige Lammert löste den bisherigen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse (SPD) ab. Er bekam - bezogen auf die Gesamtzahl der 614 Mandate - mit 91,9 Prozent Zustimmung das zweitbeste Ergebnis eines Parlamentspräsidenten seit 1949. Lammert stehen sechs Stellvertreter zur Seite, zwei mehr als in der vergangenen Legislaturperiode. Im ersten Durchgang gewählt wurden neben Thierse Gerda Hasselfeldt (CSU), Susanne Kastner (SPD), Hermann Otto Solms (FDP) und Katrin Göring-Eckardt (Grüne).


    Lammert bekleidet protokollarisch das zweithöchste Staatsamt. Nach seinen Worten ist das Parlament nicht Vollzugsorgan der Bundesregierung, sondern sein Auftraggeber. "Hier schlägt das Herz der Demokratie, oder es schlägt nicht", sagte Lammert. Die Sitzung war von Alterspräsident Otto Schily (73) eröffnet worden. Der Bundestag kam zum verfassungsmäßig letztmöglichen Zeitpunkt zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Laut Grundgesetz muss das Parlament spätestens am 30. Tag nach der Wahl zusammentreten.


    Der neue Bundeskanzler wurde bisher immer in der zweiten oder dritten Sitzung eines neuen Bundestags gewählt. Nach dem Willen von Union und SPD sollen die Koalitionsgespräche bis zum 12. November abgeschlossen sein. An den Verhandlungen werden auf Fachebene nach dpa-Informationen auf beiden Seiten insgesamt bis zu 190 Politiker beteiligt sein. Von diesem Mittwoch an werden die 16 Arbeitsgruppen zusammenkommen.


    Von Union und SPD sollen je sechs Politiker pro Arbeitsgruppe entsandt werden. Die Gremien sind spiegelbildlich zu den geplanten 14 Kabinettsressorts eingerichtet. Allerdings ist der Bereich Außen und Entwicklung in einer Arbeitsgruppe zusammengefasst. Zusätzlich seien zu den Themen Aufbau Ost, Föderalismus und Kultur weitere Verhandlungskreise vereinbart worden.


    Die Federführung in den entsprechenden Arbeitsgruppen haben beide Seiten ihren Ministerkandidaten übertragen. Der designierte Kanzleramtsminister Thomas de Maizière (CDU) kritisierte den Verlauf der Koalitionsverhandlungen. Es sei nicht nachahmenswert, dass erst über Namen und dann über Inhalte gesprochen worden sei, sagte der derzeitige sächsische Innenminister in Dresden.


    In der Union waren auch einen Tag nach Bekanntgabe der Ministerliste Misstöne zu vernehmen. Nordrhein-Westfalens CDU-Chef und Ministerpräsident Jürgen Rüttgers zeigte sich bitter enttäuscht. Hintergrund ist die Entscheidung, dass einem schwarz-roten Kabinett zwar drei SPD-Minister aus NRW angehören sollen, aber kein CDU-Posten ist für das bevölkerungsreichste Bundesland und den stärksten CDU- Landesverband reserviert wurde. "Die Personalentscheidungen sind eine Belastung der Zusammenarbeit", zitierten Teilnehmer Rüttgers aus einer Sitzung der Landtagsfraktion.


    In Bayern zeichnete sich unterdessen eine baldige Klärung für die Nachfolge von Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) ab, der als Wirtschafts- und Technologieminister nach Berlin wechseln will. Bereits an diesem Mittwoch kommen Stoiber und der CSU-Landtagsfraktionschef Joachim Herrmann mit den beiden Kandidaten Günther Beckstein und Erwin Huber zum Spitzengespräch zusammen. Die Landtags-CSU, die den Regierungschef wählt, dringt auf eine möglichst rasche Entscheidung. Ursprünglich wollte die CSU-Spitze das Ende der Koalitionsverhandlungen in Berlin abwarten.


    http://www.gmx.net/de/themen/n…160300014605321JZzYf.html

  • Solms stellt Kandidatur Biskys in Frage


    Nach der dreimaligen Ablehnung des Linkspartei-Chefs Lothar Bisky bei der Wahl zum Bundestagsvizepräsidenten hat Präsidiumsmitglied Hermann Otto Solms dessen erneute Kandidatur in Frage gestellt. Der FDP-Politiker forderte die Linkspartei auf, die Kandidatur Biskys zu überdenken. Er respektiere den Anspruch der Linkspartei auf einen der Stellvertreterposten, "aber der herausgehobene Repräsentant der PDS hat eben das Vertrauen der Abgeordneten nicht gewonnen und das muss die Linkspartei auch respektieren", sagte der FDP-Politiker im Deutschlandfunk. Wer ins Bundestagspräsidium gewählt werden wolle, müsse das persönliche Vertrauen der Mehrheit der Abgeordneten genießen. Offenkundig habe Bisky dieses Vertrauen nicht.


    Auch Solms' neue Kollegin im Bundestagspräsidium, Katrin Göring-Eckard, glaubt, dass die Gründe für Biskys Scheitern in dessen Person liegen. Die Abstimmung habe gezeigt, "dass es mit Bisky offensichtlich Schwierigkeiten gibt", sagte die Grünen-Politikerin im ARD-Morgenmagazin. Die PDS solle deshalb dieses Votum nicht als Abstrafung ihrer Fraktion hinstellen. Ob es sinnvoll sei, dass sich Bisky in vier Wochen noch einmal zur Wahl stellt, müsse man "jetzt zwischen den Fraktionen besprechen".

    Grüne: "Schlechter parlamentarischer Stil"


    Im Gegensatz zu ihrer Parteikollegin ergriffen die Grünen-Fraktionsvorsitzenden Renate Künast und Fritz Kuhn die Partei Biskys: "Die Fraktionsführungen von SPD und CDU/CSU hätten sich nicht nur um ihre eigenen Posten kümmern sollen, sondern für eine würdige Sitzung auch bei der Wahl der Vizepräsidenten sorgen müssen", sagten Künast und Kuhn. Gegen Bisky seien vor der Wahl keine Einwände artikuliert worden. "Ihn dann in der geheimen Abstimmung abzulehnen, ist schlechter parlamentarischer Stil."


    Novum in der Parlamentsgeschichte


    Bisky war bei der Abstimmung über die Vizepräsidenten des Bundestags gestern in drei Wahlgängen nicht gewählt worden. Im ersten Wahlgang stimmten nur 225 von 614 Abgeordneten für ihn. Im zweiten erhielt er 282 Stimmen. Im dritten Wahlgang erhielt er 248 von 537 gültigen Stimmen - aber 258 Parlamentarier stimmten gegen ihn. Der neue Bundestagspräsident Norbert Lammert verschob daraufhin den nächsten Wahlgang auf die folgende Sitzung des Bundestages. Dieser Vorgang ist ein Novum in der Parlamentsgeschichte.


    Indirekter Verweis auf Stasi-Kontakte


    Stimmen aus der CDU erklärten den breiten Widerstand mit Vorbehalten gegen die Person Biskys. Der CDU-Abgeordnete Michael Fuchs verwies indirekt auf Biskys Kontakte zur DDR-Staatssicherheit. "Viele Kolleginnen und Kollegen haben Probleme mit Herrn Bisky, weil der Verfassungsschutz sich mit ihm beschäftigt hat", sagte er im ZDF. Unionsfraktionsvize Wolfgang Bosbach sagte der "Berliner Zeitung": "Es ist völlig unbestritten, dass auch die PDS/Linkspartei einen Anspruch darauf hat, einen Vizepräsidenten zu stellen. Aber es gibt keinen Zwang, den jeweiligen Vorschlag der Fraktion auch zu akzeptieren."


    "Sie sollen ihn wählen, bis sie ihn gewählt haben"


    Die Linkspartei hat nun eine Sondersitzung des Ältestenrats des Bundestages beantragt. Das Gremium solle den Konflikt um die dreimalige Wahlniederlage lösen, sagte Sprecher Hendrik Thalheim. Seiner Ansicht nach ist Bisky nicht beschädigt: "Beschädigt sind die anderen, die Minderheiten ihr Recht auf diese Weise abgeschlagen haben."


    Linkspartei-Fraktionschef Oskar Lafontaine wertet die gescheiterte Bisky-Abstimmung im Bundestag als Frustreaktion gegen die neue linke Opposition. "Das ist nur die wabernde Wut der anderen gegen uns gewesen, die sich entladen hat", sagte Lafontaine der "Sächsischen Zeitung". Die Abstimmung sei "völlig irrational" und "für das Parlament unwürdig" gewesen. Natürlich halte man an Bisky fest, sagte Lafontaine. "Wir haben Zeit."


    Fraktionschef Gregor Gysi übt sich ebenfalls in Geduld: "Jetzt sollen sie ihn wählen, bis sie ihn gewählt haben". Auch der Abgeordnete und WASG-Vorstand Klaus Ernst sagte, Bisky solle so lange zur Wahl gestellt werden, "bis der eine oder andere sein Demokratieverständnis überprüft". Bisky selbst betonte: "Man kann mir tausend Fragen stellen. Aber man muss sie stellen. Vorher knicke ich nicht ein."


    Lammert: Abstimmung keine parlamentarische Katastrophe


    Der neue Parlamentspräsident Norbert Lammert rief alle Parteien zur Besonnenheit auf. Man müsse nicht gleich von einer parlamentarischen Katastrophe sprechen, sagte Lammert in den Tagesthemen. Er räumte ein, dass die Situation "für alle nicht ganz glücklich" sei, verwies aber darauf, dass die Fraktionen kein Delegationsrecht besäßen. Es gebe zwar eine Geschäftsordnung des Bundestages, wonach jeder Fraktion ein Sitz im Präsidium des Bundestags zustehe, jedes Präsidiumsmitglied brauche aber die Stimmen des Hauses.


    Man müsse nun zwischen diesen "nicht ganz miteinander deckungsgleichen Ansprüchen" eine Brücke zu bauen, meinte Lammert. Er hoffe, dass die "Denkpause" bis zur nächsten Parlamentssitzung zu einem solchen Brückenschlag führe. Zum Wahlverhalten der Abgeordneten gegenüber Bisky sagte Lammert, er könne wegen der geheimen Wahl kein Urteil über die Gründe der Ablehnung abgeben. Nach seinen Gesprächen habe er aber den Eindruck, es gebe keine organisierte Ablehnungsfront.



    Quelle: [URL=http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,1185,OID4844526,00.html]http://www.tagesschau.de[/URL]