Stanislaw Lem ist tot

  • Lem:
    Hintersinniger Phantast gestorben

    (Die Presse) 28.03.2006

    Der polnische Autor Stanislaw Lem starb am Montag im Alter von 84 Jahren in einer Klinik in Krakau.

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    "Es genügt unsere eigene Welt, und schon ersticken wir an ihr." Science-Fiction-Großmeister Stanislaw Lem ist tot. | (c) EPA


    Man darf nicht unbedingt voraus setzen, dass die Menschen die kosmisch vernünftigste Gattung sind", sagte Stanislaw Lem vor zehn Jahren in einem Interview mit der "Presse" und führte altersweise eine andere Tugend an, die für die menschliche Spezies sprechen sollte: die Güte. "Also, sei du zu mir, so wie ich zu dir bin!", forderte Lem.



    Die sokratische Bescheidenheit wirkt besonders sympathisch, wenn man bedenkt, dass dieser Sohn eines jüdischen Arztes aus Lemberg mit einem Intelligenzquotienten von 180 das gescheiteste Kind in ganz Südpolen gewesen sein soll. Er nutzte seine Fähigkeiten, um Arzt zu werden, doch durch die Begegnung mit dem Wissenschaftstheoretiker Mieczyslaw Choynokowski, der ihn in das Studium der Physik, Biologie, Kosmologie und Philosophie einführte, erweiterte Lem seine Interessen. Bereits in den fünfziger Jahren wurde er freier Schriftsteller.



    Das Kosmische beschäftigte ihn von Anfang an. Sein erster Science-Fiction-Roman, "Der Mensch vom Mars", erschien 1946 in einer billigen Heftreihe. Das eigentliche Literatur-Debüt, "Hospital der Verklärung", verhinderte die polnische Zensur. Doch Lem wurde international rasch berühmt.



    Im Alter hat er sich abgewandt von diesem Genre, in dem er allenfalls Jules Verne als Ebenbürtigen hatte, weil auch er dabei große Betonung auf "Science" hatte. Seine Blicke in die Zukunft waren keine Hirngespinste, er sah früh Gentechnik und Nanotechnologie kommen, er sah auch früh - auf der Ebene der Erkenntnistheorie -, dass die naive Utopie des Schaffens von künstlicher Intelligenz zum Scheitern verurteilt war, weil sie die Einbettung des Denkens in die Welt des Körpers vernachlässigte: "Um einen intelligenten Roboter zu bauen, braucht man einen Körper, der ebenso mit der Erfahrungswelt wächst wie der menschliche Körper."



    Er sah auch früh Fehlentwicklungen, beschrieb im Jahr 1954 so etwas wie das Internet, das bald "von fürchterlichen Mengen an Unsinn und Lügen verschmutzt würde", so dass es nur noch von besonderen Experten durchschaubar wäre, "Experten für Ariadnologie und Labyrinthik". Als solchen sah er sich auch selbst, schuf unentwegt Spielräume, in denen er seine Fantasie ausagieren konnte, oft errichtet auf scheinbar orthodoxer physikalischer Basis, auf der Neutrinophysik in "Die Stimme des Herrn" etwa, wo die Forscher versuchen, aus einem Strahl Neutrinos die Botschaft einer fernen Zivilisation zu lesen. Sie scheitern.



    Oft lässt Lem die hochfliegenden technischen Phantastereien an banaler Alltäglichkeit scheitern, Pilot Pirx bekommt Zahnweh, ein Computerexperte kann die Simulationen nicht fortführen, weil er die Stromrechnung nicht bezahlen kann. Das sind nur die kleinen Tücken, die großen lagen in der frei werdenden Technik selbst, am dunkelsten geschildert im "Kongress der Waschmaschinen", wo es darum geht, dass alle Teilnehmer eines Kongresses, der sich mit der Übernahme der Macht durch Maschinen beschäftigt, sich als Maschinen entlarven: Waschmaschinen in Menschengestalt.



    Dabei findet sich bei Lem inmitten der Maschinenparks immer wieder der alte Mensch. "Wir brauchen Spiegel", sagt Dr. Snaut scheinbar paradox in "Solaris", dem Roman über einen Planeten, der um zwei Sonnen kreist, "eine rote und eine blaue": "Mit anderen Welten wissen wir nichts anzufangen. Es genügt unsere eigene, und schon ersticken wir an ihr."



    Unter den unzähligen Begriffen, die er, immer am Rande der Wissenschaftsparodie, geprägt hat, als wäre er der Schlagwortlieferant für eine der Raserei verfallene Ars Electronica, ist die "Phantomologie", die er ganz nüchtern als "fiktive Technologie" definierte, aber zugleich forderte: "Die Phantomologie stellt - obwohl sie nicht zur Erkenntnis der Welt beiträgt - dennoch eine totale, wenn auch vorläufig imaginierte Änderung der Erkenntnistheorie dar."



    Dieser diente freilich auch ein anderes Leitmotiv des Lem-Werks: die Psychemie, etwa im aberwitzig verschachtelten "Futurologischen Kongress", wo der irrationale Teil der menschlichen Psyche durch Psychemikalien unter Kontrolle gehalten wird.



    Lem wurde für seine Weltliteratur vielfach ausgezeichnet, auch in Österreich, wo er den Großen österreichischen Staatspreis und den Kafka-Literaturpreis erhielt. Wien war er stark verbunden, ab 1983 lebte er mit seiner Frau Barbara Lésniak und seinem Sohn Tomasz hier, kehrte jedoch 1988 nach Krakau zurück. Dort ist er am Montag nach längerer Krankheit gestorben. jl, norb, tk


    http://www.diepresse.com/Artik…nel=k&ressort=k&id=548330

  • ... vielleicht noch ein Nachtrag: LEM war bekennder JULES VERNE-FAN. Wobei es Interviews von ihm gibt, in dem er dies ausdrücklich auf sein Gesamtwerk bezog, nicht nur auf Vernes SciFi-Bezüge.


    Wieder ist eine Legende von uns gegangen ... mit seinen Büchern wuchs ich auch auf. Schon vor über 30 Jahren lernte ich bei ihm das Wort KLONEN. Jetzt hat es uns eingeholt....