Völlig überraschend haben Fahnder gegen Tausende deutsche eDonkey-Nutzer losgeschlagen. Die Aktion fügt sich ein in die IFPI-Kampagne gegen Raubkopien. In Köln sprach SPIEGEL ONLINE mit IFPI-Chef John Kennedy über die harte Hand gegen potentielle Kunden und die Wut der Branche über Russlands Regierung.
SPIEGEL ONLINE: Die meisten Aktionen gegen die P2P-Szene in den letzten Monaten richteten sich gegen die Betreiber von Servern. Jetzt scheinen sie wieder die Nutzer ins Visier genommen zu haben. Ist das ein Strategiewechsel?
Kennedy: Wir tun einfach alles, was uns möglich ist, auf jede denkbare Weise, um diesem Problem Herr zu werden. Manchmal trifft es große Ziele, manchmal eher kleine. Oft wollen wir einfach unsere Botschaft an den Mann bringen: Sieh her, es lohnt sich nicht. Ergreife die Gelegenheit und höre einfach auf damit, bevor es dich erwischt!
SPIEGEL ONLINE: Das mag aus ihrer Sicht Notwehr sein, aber es ist Notwehr gegen ihre eigenen potentiellen Kunden. Fahndungsaktionen wie die gegen eDonkey-Nutzer mögen viele Menschen abschrecken, sie machen aber auch viele wütend. Ein massives Imageproblem...
Kennedy: Wir wissen, dass solche Aktionen nicht bei jedem positiv ankommen. Es ist aber auch längst nicht mehr so, dass wir die Reaktion, auf die sie hier anspielen, noch sehr häufig erleben. Sehr oft hören wir stattdessen: Wir verstehen, dass ihr das tun müsst. Manchmal sagen Leute, dass sie sich fragen, warum wir nicht viel früher damit angefangen haben. So langsam begreifen die Leute da draußen, verlieren ihr Mitleid mit den Raubkopierern.
SPIEGEL ONLINE: Es gibt sogar viele Künstler, die ihre Kampagnen nicht unbedingt gut finden.
Kennedy: Das stimmt. Als wir damit begonnen haben, die P2P-Szene zu verfolgen, wurden so einige Künstler nervös. Sie dachten, das sei nicht gerade eine coole Sache und waren auch nicht sicher, ob es richtig wäre. Aber als sie dann sahen, wie ihnen und ihren Freunden der Lebensunterhalt regelrecht entzogen wurde, sahen sie ein, dass es keine Alternative gab. Wir warten auf den Tag, wo all das nicht mehr nötig ist. Die Internet-Serviceprovider könnten viel dazu beitragen, wenn sie sich nur dazu entschließen könnten. Wir sind nicht scharf darauf, Leute zu verklagen. Wenn die Menschen lernen und ihr Verhalten änderten, das wäre phantastisch. Aber ich fürchte, wir werden diese Kampagne noch eine ganze Weile fortführen müssen.
SPIEGEL ONLINE: Ihre Branche hat in den letzten Jahren fraglos eine massive Krise erlebt. Aber hat ihr Problem nicht schon mit der CD begonnen? Die ist doch die eigentliche "Masterkopie", die sie selbst in Umlauf brachten.
Kennedy: Klar. Aber trotzdem war die CD sehr gut für die Musikindustrie, daran gibt es nichts zu deuten. Ein massives Problem entstand für uns erst mit den Tauschbörsen des Internet. Wir waren eine der ersten Branchen, denen das Internet Probleme bescherte, wir nahmen als eine der ersten den Kampf auf und wir schufen legale Alternativen, die sich binnen weniger Jahre von Null zu einem Milliardengeschäft entwickelten. Zum Ende des Jahrzehnts hoffen wir, 25 Prozent unseres Umsatzes online zu machen. Aber um das möglich zu machen, ist es notwendig, dass wir illegales Downloading bekämpfen und zu legalen Alternativen ermutigen.
SPIEGEL ONLINE: Trotzdem: Der Boom, den ihnen die CD in den Neunzigern brachte, als viele Kunden ihre alten Vinylscheiben noch mal in Silber kauften, hat den Markt doch künstlich aufgeblasen. War die Krise, die Ende der Neunziger einsetzte, da nicht programmiert? Kaufen die Leute nicht auch weniger, weil sie satt sind?
Kennedy: Es gibt keinen Zweifel daran, dass die Industrie daraus, dass sich die Kunden ältere Scheiben noch einmal kauften, einen großen Vorteil zog. Gut möglich, dass wir heute über andere Probleme reden würden, wenn Musik im Internet nicht kostenlos verteilt würde. Niemand behauptet, dass dies das einzige Problem wäre, mit dem sich die Branche auseinandersetzen muss. Aber das ändert nichts an den Tatsachen: Wir können beobachten, dass Musik kostenlos verteilt wird, und das die Leute das auch nutzen. Man braucht keinen Nobelpreis, um zu verstehen, dass das ein massives Problem für die Umsätze der Musikindustrie bedeutet.
SPIEGEL ONLINE: Ihnen wird allerdings auch vorgeworfen, dass ihre Branche die Preisvorteile, die der direkte Onlinevertrieb doch versprach, nicht genügend an die Kunden weitergegeben habe. Ist es wirklich genug, den illegalen Vertrieb zu bekämpfen? Muss die Industrie nicht auch runter von ihren Preisen?
Kennedy: Ich denke doch, die Online-Verkaufspreise sind phantastisch! Jetzt einmal ehrlich: 99 Cent! Was kostet sie eine Busfahrkarte, eine für den Zug, eine Tasse Kaffee, eine Dose Cola?
SPIEGEL ONLINE: Nicht, dass die großen Musikfirmen das wirklich gut fänden. Die sind gerade damit gescheitert, die Online-Preise nach oben zu treiben.
Kennedy: Ja, darüber kann man streiten. Alles, was ich sage, ist, dass ich es schwierig finde, wenn sich Leute über 99 Cent als Preis für etwas beschweren, das ich und die Person, die ein Musikstück kauft, für ein Stück Kunst halten. 99 Cent für etwas, das sie für immer behalten können. Das sie mit sich herumtragen können, das sie mitnehmen, wenn sie umziehen. Das sie auch nach zehn Jahren noch hervorholen und genießen können. Das einen emotionalen Wert für sie hat. Mir fallen nicht viele Dinge ein, die ich für 99 Cent kaufen kann, und die auch nach zehn Jahren noch einen Wert besitzen. Deshalb habe ich ein Problem damit, darüber zu diskutieren, dass 99 Cent zu viel sein sollen.
SPIEGEL ONLINE: Viel weniger verlangen ja die Kollegen von AllofMP3 in Russland, das ja laut IFPI ein nicht legal operierender Musikshop ist. Die kann man seit Tagen nicht erreichen: Sind die im Urlaub, oder hat das etwas mit Ihnen zu tun?
Kennedy: Vielleicht verstecken die sich ja. Das traurige ist, dass deren Risiko, in Russland an ihrem Tun behindert zu werden, nicht sehr groß ist. Wir sind da äußerst ungehalten über die Linie der russischen Regierung. Was die tun, ist schändlich. Die haben die Gesetze, um etwas gegen die Piraterie dort zu unternehmen, sie ziehen es aber vor, nichts zu tun. Für mich fügt sich das ein in das Bild eines Landes, in dem es keinerlei Respekt vor geistigem Eigentum gibt. Das schadet Russland, es schadet den russischen Musikern, es schadet der russischen Wirtschaft, aber mehr noch schadet es der internationalen Musikindustrie.
SPIEGEL ONLINE: Präsident Wladimir Putin kündigte kürzlich an, härter gegen Urheberrechtsverletzungen vorgehen zu wollen. Spüren Sie da schon was?
Kennedy: Falls Präsident Putin das nicht nur sagt, sondern auch meint, begrüßen wir das. Mein größtes Problem mit Russland ist aber, dass es da Politiker zu geben scheint, die es für ausreichend halten, Ankündigungen zu machen - und dann nichts weiter tun. In vielen Fällen sind solche Ankündigungen ganz klar nicht ehrlich gemeint.
SPIEGEL ONLINE: Symbolische Politik?
Kennedy: Ich fürchte sogar, dass denen das alles im Grunde egal ist. Die kündigen etwas an, wenn sie glauben, dass es ihnen in den WTO-Verhandlungen weiterhilft. Ich war viele Male in Moskau, um Verbesserungen herbeizuführen, habe die Diskussion darüber gesucht, wie wir miteinander arbeiten könnten. Aber die interessiert das einfach nicht.
SPIEGEL ONLINE: Werden wir noch mehr solche Überraschungen erleben wie den Schlag gegen eDonkey-Nutzer?
Kennedy: Wir wollen, dass das alles aufhört. Wir würden gern sehen, wie die Menschen ihre Musik legal beziehen. Wir würden gern von den Serviceprovidern hören, dass die ihre Rolle in dieser Sache anerkennen und sagen, dass sie zur Lösung beitragen wollen. Das ist doch ganz besonders wichtig für den deutschen Musikmarkt: Wenn hier keiner kauft, wird auch nicht in neue Musik, in Komponisten, Interpreten und Bands investiert. Für englische Musik wird es immer einen Markt geben. Wenn die deutschen Künstler ihren heimischen Markt verlieren...
SPIEGEL ONLINE: Diesmal ging der Schlag gegen eDonkey, aber die P2P-Plattform, über die wirklich alle reden, ist BitTorrent.
Kennedy: Wir verraten niemals, wen oder was unser nächster Schlag trifft. Wenn Sie wollen, können Sie sich vorstellen, dass dies BitTorrent sein könnte. Aber wir arbeiten mit vielen Kollegen in der Branche, mit verschiedenen Behörden in vielen Ländern. Wir suchen uns unterschiedliche Ziele, zu unterschiedlichen Zeiten. BiTorrent ist nicht immun.
quelle: dpa