Schäuble will "Quasi-Verteidigungsfall"

  • Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble hat Pläne der Bundesregierung bekräftigt, wonach künftig ein Abschuss entführter Passagierflugzeuge ermöglicht werden soll. Gegenüber der "Süddeutschen Zeitung" sagte Schäuble, in seinem Ministerium sei eine Vorlage für eine Grundgesetzänderung erarbeitet worden, um einen terroristischen Angriff in seiner Qualität dem Verteidigungsfall gleichzustellen, so Schäuble. So solle in Artikel 87a eingefügt werden, dass die Streitkräfte auch "zur unmittelbaren Abwehr eines sonstigen Angriffs auf die Grundlagen des Gemeinwesens" eingesetzt werden dürfen. Bislang sieht das Grundgesetz den Einsatz der Bundeswehr im Innern mit militärischen Mitteln nur im Verteidigungsfall vor.


    Schäuble: Bei Abschuss gilt Kriegsrecht


    Im Quasi-Verteidigungsfall gelten nach Schäubles Ansicht die Regeln des Kriegsvölkerrechts - vor allem die Regeln des Genfer Abkommens über den Schutz der Opfer bewaffneter Konflikte. Demnach seien nur Angriffe verboten, "die in keinem Verhältnis zu erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteilen stehen", heißt es in der "Süddeutschen Zeitung". Das Verhältnismäßigkeitsprinzip bleibe Schäuble zufolge gewahrt, wenn eine größere Katastrophe dadurch abgewendet werden könne, dass unschuldige Flugpassagiere getötet würden.


    Karlsruhe verbietet Abwägung von Leben gegen Leben


    Die Bundesregierung arbeitet seit den Anschlägen vom 11. September 2001 an einem Luftsicherheitsgesetz, das den Abschuss von Passagierflugzeugen in Deutschland erlaubt. Das Bundesverfassungsgericht hatte eine erste Fassung des Gesetzes im Februar als verfassungswidrig abgelehnt. Es sei unzulässig, das Leben von Menschen am Boden gegen das der Passagiere an Bord einer entführten Maschine abzuwägen, so die Karlsruher Richter.


    Diskussion um Bundeswehreinsatz im Innern


    Trotzdem hielt die Bundesregierung an ihren Plänen fest. So wird im "Weißbuch zur Sicherheit Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr", das am 25. Oktober vorgestellt worden war, eine Grundgesetzänderung zum Einsatz militärischer Mittel im Innern klar befürwortet. "Eine vorausschauende und verantwortliche staatliche Sicherheitspolitik" müsse auch die Abwehr terroristischer Angriffe in Deutschland in Betrachtungen einbeziehen, heißt es in dem Weißbuch. Anfang September hatte der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Verteidigung, Christian Schmidt, bereits erklärt, er halte eine Anpassung des Grundgesetz-Artikels 87a zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren für "unverzichtbar".


    Unmittelbar vor Weihnachten war bekannt geworden, dass das Innenministerium an einem Gesetzentwurf arbeitet, der ein Einschreiten der Luftwaffe bis hin zum Abschuss eines Passagierflugzeuges erlaubt, wenn ein "elementarer Angriff auf Gemeinschaftsgüter" festgestellt werde. Diese Pläne waren bei der SPD und den Grünen auf Ablehnung gestoßen.


    Stand: 02.01.2007 01:53 Uhr
    Quelle: [URL=http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,,OID6257092_,00.html]tagesschau.de[/URL]

  • Zitat

    Original von Skywise
    Find' ich gut. Bei den Tausenden von Maschinen, die alljährlich durch Entführer auf deutsche Städte gelenkt werden ... :naja:


    Gruß
    Skywise


    Einen Fast-Präzedenzfall gab's ja 2003 in Frankfurt, was ja auch der Auslöser für das vom Bundesverfassungsgerichts einkassierten Gesetzesvorhaben war.
    Allerdings saß der Typ damals ja allein im Flugzeug.


    Vom 11. September her wissen wir, dass so ein Anschlag möglich ist, allerdings gibt es meiner Meinung nach dringendere Probleme in Deutschland als das die Bundesregierung aufgrund von theroretisch möglichen Gefahrenszenarien Gesetze mit Gewalt durchpeitschen sollte. Sieht mir eher nach Profilierungssucht von Schäuble aus. :rolleyes:

  • Klage gegen Schäuble-Pläne angedroht


    Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble muss mit einer Klage gegen sein Vorhaben rechnen, den Abschuss entführter Passagierflugzeuge durch eine Grundgesetzänderung doch noch zu ermöglichen. Der frühere FDP-Politiker Burkhard Hirsch wertete den Plan als "Aufkündigung der Verfassung". Gegenüber der "Frankfurter Rundschau" drohte Hirsch mit einer erneuten Klage vor dem Bundesverfassungsgericht. Wenn es dem Staat ermöglicht werden solle, bei einem terroristischen Angriff im Inland das Kriegsrecht auszurufen, "dann gehen wir nach Karlsruhe", sagte er. Hirsch hatte bereits erfolgreich gegen das rot-grüne Luftsicherheitsgesetz geklagt.


    Das Bundesverfassungsgericht hat eine entsprechende Passage im Luftsicherheitsgesetz am 15. Februar 2006 für verfassungswidrig erklärt, weil das Leben der entführten Passagiere nicht gegen das Leben möglicher Opfer außerhalb des Flugzeugs abgewogen werden dürfe. Schäuble will nun nach einem Zeitungsbericht einen "sonstigen Angriff auf die Grundlagen des Gemeinwesens" als eine Art Kriegsfall einführen, mit dem bei einem drohenden Terroranschlag das Kriegsvölkerrecht angewendet werden könnte.

    "Verwegene Idee"


    Auch in der SPD hielt die Kritik an Schäuble an. Die stellvertretende SPD-Chefin Ute Vogt sprach von einer "verwegenen Idee". Die SPD-Innenexpertin betonte, es sei "nicht möglich, das Grundgesetz so zu zerkneten, dass ein "Quasi-Verteidigungsfall" herauskommt". Sie sehe "keine Chance", dass die SPD-Bundestagsfraktion einem solchen Luftsicherheitsgesetz zustimme.


    "Urteil nicht durch die Hintertür umgehen"


    Ähnlich äußerte sich der Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag, der SPD-Politiker Sebastian Edathy. Man könne das Urteil des Bundesverfassungsgerichts "nicht besonders gut finden, aber man kann es nicht durch die Hintertür umgehen", sagte Edathy im Deutschlandfunk. Die Entführung eines Verkehrsflugzeuges bedrohe nicht die Existenz Deutschlands und sei damit etwas völlig anderes als ein Verteidigungsfall. Schäubles Vorhaben sei nicht mehrheitsfähig.


    Schäuble hatte der "Süddeutschen Zeitung" die in seinem Ministerium "auf Fachebene" erarbeiteten Pläne erläutert. Demnach sollen in einem "Quasi-Verteidigungsfall" die Regeln des Kriegsvölkerrechts gelten, etwa die Regeln des Genfer Abkommens zum Schutz der Opfer bewaffneter Konflikte. Dann sind nur Angriffe verboten, "die in keinem Verhältnis zu erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteilen stehen".


    Zitat

    Die Bundeswehr und ihre Aufgaben:
    In den Artikeln 87 bis 90 des Grundgesetzes ist festgelegt, welche Einrichtungen in der Verantwortung des Bundes stehen. So ist in Artikel 87a die Aufstellung von Streitkräften zur Verteidigung als Aufgabe des Bundes benannt. Außer zur Verteidigung sieht das Grundgesetz nur zwei Fälle vor, in denen die Bundeswehr eingesetzt werden darf: Zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes (Art. 87a Abs. 4) sowie zur Hilfe bei einer Naturkatastrophe oder bei einem besonders schweren Unglücksfall (Art. 35 Abs. 2). Die Regeln für den Verteidigungsfall (Angriff auf das Bundesgebiet mit Waffengewalt) sind in den Artikeln 115a bis 115l festgelegt.


    Schäuble zufolge bleibt das so genannte Verhältnismäßigkeitsprinzip gewahrt, wenn zur Vermeidung einer noch größeren Katastrophe der Abschuss eines entführten Flugzeugs, also die Tötung von Passagieren, gesetzlich erlaubt wird.


    Stand: 03.01.2007 08:29 Uhr
    Quelle: [URL=http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,1185,OID6256592_TYP6_THE_NAV_REF1_BAB,00.html]tagesschau.de[/URL]