Ältere Frauen regier'n den Grand Prix
Es war die Überraschung des Abends: Nicht etwa die hoch favorisierte Girlgroup Monrose, sondern der Swing-Sänger Roger Cicero gewann den Grand Prix Vorentscheid. Ein klarer Sieg der Mütter über ihre Töchter.
Roger Cicero hatte schon vorab erkannt, wie er hier zum Erfolg kommen kann: "Liebe Mütter, versteckt die Handys eurer Kleinen", forderte er die vor den Fernsehern sitzenden Frauen auf - und dürfte damit seine Zielgruppe korrekt angesprochen haben. Die Alterspyramide kippt; wer Wahlen gewinnen will, muss auf Ältere setzen. Und so hatte am Ende des Vorentscheids nicht etwa die Casting-Show-erprobte Girlgroup Monrose die Nase vorn, die über eine mobilisierbare und Handy-affine Anhängerschaft verfügt, sondern ein Künstler, dessen musikalische Vorbilder weit in der Vergangenheit liegen.
Bei seinem Überraschungscoup half Cicero auch das Konzept der Show: Die ganze Sendung durchwehte der leicht moderige Hauch von 50 Jahren Grand-Prix-Geschichte. Alle möglichen noch lebenden Schlager-Ikonen wurden herbeigekarrt: So durften die "skandinavischen Ikonen" Wencke Myhre, Siw Malmkvist und Gitte Haenning - mit Gehstöcken ausgestattet - noch einmal ein Medley ihrer alten Hits singen. Derweil saß Paola auf dem roten Sofa und erzählte aus den Guten alten Tagen, als der Wettbewerb noch Grand Prix Eurovision de la Chanson hieß. Und als Krönung durften die Kessler-Zwillinge am Schluss den goldenen Umschlag bringen, in dem sich der Name des Siegers verbarg.
Das alles ist harter Tobak für Fans junger, frischer Popmusik, die nur das Hier und Jetzt kennt und die Gegenwart feiert. Die bleischwere Geschichtsstunde signalisierte den Kindern: Wenn ihr Monrose wählt, werden sie auch Teil der Historie und landen eines Tages in so einer Show. Gut möglich, dass viele willige Monrose-Unterstützer es einfach nicht mehr am Fernseher gehalten hat - verdenken kann man es ihnen nicht.
Nationale Untertöne
Die "Expertenrunde" bestehend aus Georg Uecker, Andrea Kiewel, Paola und Susanne "Moppel-Ich" Fröhlich tat ihr übriges, um die Abschaltreize zu erhöhen. Auf einem roten Plüschsofa sitzend rissen sie müde Witze, beleidigten den Vorjahressieger Lordi ("Der singende Friedhof der Kuscheltiere", "Ich dachte immer, es gibt nur gut aussehende Menschen in Finnland") und steigerten sich schließlich in unerträgliche nationale Ressentiments hinein: Die Finnen, sagte Moderator Thomas Hermanns, hätten ihren Spaß gehabt. "Jetzt ist Schluss, jetzt sind wir dran", gab er den Grundton der musikalischen Mobilmachung vor. Mit dem ursprünglichen Eurovisionsgedanken hatte das freilich nichts mehr zu tun - aber wenn wir schon Papst, Weltmeister und Oscar sind, muss es wohl auch für den Grand Prix einen klaren Marschbefehl geben.
So leistete die Show ganze Arbeit, junge Zuschauer von den Fernsehgeräten zu vertreiben. Ältere Semester kamen hingegen auf ihre Kosten: Am Schluss demonstrierte der frühere Frauenschwarm Johnny Logan noch einmal, wie man in Würde altert.
Und so mussten am Ende die Mütter ihren Kindern gar nicht mehr die Handys wegnehmen - die saßen schon längst nicht mehr vor dem Fernseher. Wer die Untoten aus 50 Jahren Grand Prix heil überstanden hatte, war hingegen reif für den gut abgehangenen Swing von Roger Cicero: Unter den 900.000 Anrufern erhielt sein Song "Frauen regier'n die Welt" die absolute Mehrheit.
Quelle: Stern