Als Winnetou in der Westfalenhalle in die Pleite ritt

  • KARL-MAY-SPIELE

    Frank Knittermeier


    Kurz vor der Premiere in der Dortmunder Westfalenhalle: Pierre Brice ist 1982 mit dem Stück „Winnetou“ auf Tournee. Die Musik stammte von Ralph Siegel. Die Tournee wurde ein Misserfolg.

    Foto: Zill/Archiv KARL MAY & Co.


    Mit Winnetou und Old Shatterhand auf großer Karl-May-Tournee: Warum Pierre Brice und Co. kläglich scheiterten.


    Bad Segeberg. Pleiten, Pech und Pannen, gerichtliche Auseinandersetzungen, viel Kurioses – aber auch große Erfolge: Die Karl-May-Spiele mit Winnetou und Co. auf großer Tournee durch Deutschland. Zum Beispiel in der Berliner Waldbühne und in der Dortmunder Westfalenhalle. Pierre Brice hätte bei einer dieser Tourneen fast seinen guten Ruf verloren.


    Heute wäre es undenkbar, dass Alexander Klaws und das gesamte Karl-May-Ensemble auf Reisen gehen, um die Karl-May-Abenteuer in anderen großen Arenen zu spielen. Zumindest gibt es dafür keine aktuellen Pläne.


    Die Geschichte der Karl-May-Tourneen

    Auch 1984 hatte in Bad Segeberg niemand vor, das Ensemble auf Reisen zu schicken. Aber ein Konzertveranstalter aus Kiel witterte das große Geschäft: „Unter Geiern“ sollte überall in Deutschland gespielt werden, wo es große Freilichtarenen gab.


    Die Autoren Nicolas Finke und Reinhard Marheinecke haben die Geschichte der Karl-May-Tourneen in ihrem gerade erschienenen Buch „Karl May auf der Bühne, Band III“ näher beleuchtet.


    „Unter Geiern“ – Von Bad Segeberg aus durch ganz Deutschland

    Die Idee war eigentlich simpel: „Unter Geiern“ hatte den Karl-May-Spielen in Bad Segeberg 1984 erstmals seit Jahren wieder einen großen Erfolg beschert und damit vor der Pleite bewahrt. Klaus-Hagen Latwesen hatte das Stück geschrieben, inszeniert und gleichzeitig auch die Hauptrolle gespielt. Also auf Tournee damit!


    Die Segeberger Kalkberg GmbH wollte das zwar nicht, aber das Konzertmanagement Kiel witterte das große Geld.


    Kalkberg GmbH ging mit einstweiliger Verfügung gegen Konzertmanagement vor

    Klaus-Hagen Latwesen konnte mit seinem Stück nach Ablauf der Spielzeit am Segeberger Kalkberg machen, was er wollte – und genau das machte er auch. Den größten Teil des Segeberger Ensembles nahm er gleich mit auf Tournee durch Deutschland.


    Der Kieler Veranstalter indessen machte sich in Bad Segeberg, unbeliebt: Die Kalkberg GmbH ging mit einer einstweiligen Verfügung gegen das Konzertmanagement vor, weil angeblich die Segeberger Plakate abgekupfert waren und sich der Slogan darauf zu sehr auf die Segeberger Karl-May-Spiele bezog.


    Viele Segeberger Ensemble-Mitglieder gingen mit auf Tournee

    50.000 Euro hatten die Kieler Veranstalter der Kalkberg GmbH für die Nutzung des Segeberger Equipments geboten, aber wegen des Rechtsstreits wurden alle Zusagen zurückgezogen. Kostüme, Pferde und alles, was noch zu einer Aufführung gehört, blieben in Bad Segeberg. Es gab ausgiebige Schriftwechsel und Telefonate zwischen Kiel, Bad Segeberg, Bamberg, dem Sitz des Karl-May-Verlages und schließlich auch Elspe, wobei ein Kompromiss ausgehandelt wurde.


    Im Stuttgarter Reitstadion findet am 5. September 1984 schließlich die Premiere des Tourneestücks „Unter Geiern“ statt. Prominente Segeberger Darsteller sind dabei: Neben Klaus-Hagen Latwesen als Winnetou auch der spätere Intendant Jürgen Lederer als Old Shatterhand, Peter Hick, der 1993 die Störtebeker-Festspiele auf Rügen ins Leben rief, als Indianerhäuptling Schwerer Mokassin, Wilfried Zander, Sven Blum, Klaus Schichan Rol E. Schenker, Fred Braeutigam, Jochen Baumert. Alles langjährige Ensemble-Mitglieder am Kalkberg.


    Kostüme und Balletttänzerinnen kamen aus Paris

    Die Kostüme stammen aus Paris, zahlreiche Balletttänzerinnen ebenfalls. Sie kommen vom Ballet Classique de Paris und werden in der „Stuttgarter Zeitung“ kritisch beurteilt: „... und dann kommen die zehn Mädchen aus dem Waggon! Also, wenn der Karl May das gewusst hätte. Zehn Mädchen! Vom Ballett, die womöglich Bein zeigen!“ Zu einer Vorstellung kommen 8000 Besucher, die anderen sind nicht so gut besucht – unter dem Strich bringt das Gastspiel vom 5. bis 9. September weniger Einnahmen als erwartet.


    Gute Kritiken gibt es anschließend in Northeim, wo das Ensemble vom 12. bis 16. September gastiert. Zu sieben Vorstellungen kommen 15.000 Besucher, aber 20.000 hätten es sein müssen, um die Kosten zu decken. In der örtlichen Zeitung werden die Ballettszenen als „Optische Höhepunkte“ gefeiert.


    Lustspiel mit Zirkuseinlagen in der Berliner Waldbühne

    Eine Nummer zu groß ist schließlich die Berliner Waldbühne mit 20.000 Sitzplätzen. Zur Premiere kommen 2000 Besucher, und das „Volksblatt Berlin“ schreibt: „... sie spendeten auch nur spärlichen Beifall.... Es war eher Lustspiel mit Zirkuseinlagen und Modern Dance...“ Vom 19. bis 23. September wird hier gespielt. Das Finale in München, eingeplant vom 26. bis 30. September, fällt aus, weil die Haupttribüne im Olympia-Reitstation nach einem Unwetter zerstört war.


    Nicolas Finke und Reinhard Marheinecke ziehen in ihrem Buch dieses Fazit: „So endete die Unter-Geiern-Tournee mit einem enttäuschenden bis ernüchterndem Ergebnis.“ Sie zitieren den Karl-May-Verleger, der von einem „Misserfolg“ sprach und dafür auch Gründe nennt: Die bereisten Bühnen hätten, anders als Bad Segeberg und Elspe, kein vergleichbares Karl-May-Image.


    Sechsstelliges Defizit, aber die Gagen werden gezahlt

    Regisseur und Hauptdarsteller Klaus-Hagen Latwesen und die anderen Beteiligten der Tournee machte das sechsstellige Defizit wenig aus: Sie hatten feste Honorarvereinbarungen, die offenbar auch eingehalten wurden. Latwesen hatte im Übrigen schon einige Jahre vorher bewiesen, dass er das Metier des Tourneetheaters beherrschte. Das von ihm und seinem Schauspielkollegen Rudolf H. Herget gegründete Tourneeunternehmen Mondon war von 1977 an mit mehreren Karl-May-Stücken, darunter auch einem Orient-Stück, erfolgreich auf Tournee gewesen.


    1982 hatte Pierre Brice mit einer Karl-May-Tournee eine glatte Bauchlandung hingelegt. Das Action- und Musicalschauspiel „Winnetou“ hätte nach dem Willen des Produzenten „das größte Ereignis seit dem Triumphzug von Buffalo Bill und seinen Indianern“ werden sollen, endete aber nach einem Gastspiel in der Dortmunder Westfalenhalle in einer wirtschaftlichen Katastrophe.


    Mit Musik von Ralph Siegel reitet Pierre Brice in die Pleite

    Die Musik stammte vom Erfolgsduo Ralph Siegel/Bernd Meinunger, Publikumsliebling Pierre Brice spielte Winnetou, aber das Drumherum war offenbar dilettantisch. Die Tournee endete in einer Pleite und musste abgebrochen werden. Der Stern von Pierre Brice ging dadurch nicht unter: In Elspe war er weiterhin ein gefeierter Winnetou, und in Bad Segeberg gelang ihm zwischen 1988 und 1991 eine Comeback, das seinen Status als Superstar in Deutschland festigte.


    Nicolas Finke/Reinhard Marheinecke: „Karl May auf der Bühne, Band III“. Karl-May-Verlag Bamberg/Radebeul, 400 Seiten mit 544 Abbildungen, 59 Euro. ISBN 978-3-7802-0145-4.


    Quelle: https://www.abendblatt.de/regi…e-in-die-Pleite-ritt.html