Warum der Bremer Steampunk-Zirkel erstmals auf der Osterwiese auftritt

  • Sanne Müller und Roland Endler kleiden sich in ihrer Freizeit extravagant. Denn sie gehören dem Bremer Steampunk-Zirkel an. Anhänger dieser Subkultur treten erstmals auf der Osterwiese auf.

    04.04.2024, 05:00 Uhr


    Warum der Bremer Steampunk-Zirkel erstmals auf der Osterwiese auftritt

    Von Lisa Duncan


    Sanne Müller und Roland Endler im Steampunk-Outfit. Hauptmerkmal sind die fantasievollen Brillen am Hut - genannt Goggles.

    Foto: Christina Kuhaupt


    Sanne Müller liebt ausgefallene Outfits. Diese entwirft die 58-Jährige selbst für ihr Hobby. Als Anhängerin des Steampunk unternimmt sie in ihrer Fantasie Zeitreisen in Zukunft und Vergangenheit. Der Kleidungsstil ist wie bei Jules Verne an das viktorianische Zeitalter angelehnt. Wie beim Punk gehört aber auch das Verrückte, leicht Abseitige zum Konzept. Das Erkennungszeichen des Steampunk: sogenannte Goggles, alte Schweißerbrillen, die, mit bunten Lampen oder Glasaugen verziert, an Zylindern oder Hals befestigt werden.


    Sanne Müller gehört dem Bremer Steampunk-Zirkel an. Deren Mitglieder gestalten mit Kreativität und Eigenarbeit nicht nur Kleidung, sondern auch Fahrzeuge bis hin zur Wohnungseinrichtung in diesem Stil. Bei Müller dient etwa ein alter Koffer an der Wand ihres Nähzimmers zur Aufbewahrung von Garnen und anderem Zubehör. Und ihr Liegerad hat sie zum Steam-Bike umfunktioniert. Ihr Alter Ego Santana Livingstone führt als Schwester des schottischen Missionars und Afrikaforschers David Livingstone ein Zeitreisetagebuch. Auch Zeitreise-Pässe gehören zur Ausstattung: „Auf unseren Treffen mit anderen Gruppen sammeln wir auch Marken und geben selbst welche raus“, sagt ihr Mitstreiter Roland Endler. „Es ist einfach ein großer Spaß.“


    SPAZIERGANG ÜBER DIE OSTERWIESE

    Die Bremer Steampunker haben Spaß daran, sich gemeinsam auf Events zu zeigen – ob auf der Landesgartenschau in Bad Iburg, bei einer besonderen Führung durch das Überseemuseum oder auf dem Vintage Markt im Weserpark. „Wir machen meist nichts Besonderes, vielleicht ein Picknick und die Leute können sich das anschauen“, so Sanne Müller. Zum ersten Mal flanieren sie diesen Donnerstag als sogenannter Walking Act gemeinsam über die Osterwiese.


    Die Parade war am Donnerstag der Hingucker auf der Osterwiese.

    Foto: Karsten Klama


    Roland Endler alias Rhys MacGearloose ist einer der Gründungsmitglieder des Bremer Zirkels, der im Oktober 2023 zehnjähriges Bestehen feierte. Der Name von Endlers zweitem Ich ist dem berühmten Erfinder aus den Micky-Maus-Comics Gyro Gearloose nachempfunden – der englische Name von Daniel Düsentrieb. Dass der 53-Jährige diesen Charakter wählte, hat viel mit ihm selbst zu tun. „Als Hobbyschrauber bastele ich gerne an Fahrzeugen herum“, erzählt er. Zuletzt habe er ein Auto aus dem Jahr 1899, einen Einsitzer, umgebaut. Fahrtüchtig sei es schon und müsse nur noch lackiert werden. Auch ein Erwachsenendreirad habe er sich für sein Hobby als Steampunker zum „Brezel-Dreirad“ umgebaut.



    Als Endler vor mehr als zehn Jahren bei der Internet-Recherche auf Steampunk aufmerksam wurde, dachte er: „Das kann ich auch.“ Mit sechs Mitgliedern gründeten sie daraufhin den Bremer Zirkel. „Mir gefällt der Stil mit Messing, Kupfer und Holz. Da kann man richtig was Schönes draus machen“, so Endler. Zum Beispiel habe er einen Leuchtglobus zur „schwebenden Röhre“ umgebaut und sogar eine ganze Wohnwand in diesem Stil gestaltet.


    Die Steampunk-Parade auf der Osterwiese.

    Foto: Karsten Klama


    Szenenwechsel und Rückblende ins Leben von Sanne Müller, die schon als Teenager bis spätabends Kleidungsstücke für ihre Zwecke abänderte. Angefangen hatte alles, weil sie aufgrund eines inzwischen operierten Lipödems, das zu krankhafter Fettbildung führt, zu voluminöse Oberschenkel für die meisten Hosen hatte, die es im Handel gab. „Also habe ich mir selber Bundfaltenhosen genäht, die passten gut zu meiner Oberschenkelform“, erzählt sie. Mit Mitte 20 habe sie sich das Nähen mit der Nähmaschine selbst beigebracht. In einer Zeit, als es weder Internet noch Youtube-Tutorials gab.


    Erste Kostüme habe sie für Motto-Geburtstagsfeiern des Sohnes entworfen. Dabei arbeitet sie ohne Schnittmuster, nur nach Augenmaß: „Wenn ich ein Kleidungsstück angucke, sehe ich, wie es geschnitten ist“, sagt Müller. Selbst genähte Kleidung sei günstig und halte länger und sie lasse sich nach Belieben gestalten. Und wenn sie in ihrem kleinen Atelier im Dachboden des Hauses näht und dabei Hörbucher hört, entspannt die Bildungsreferentin für den Verein Pflegekinder in Bremen (PiB) komplett. Für ihre Alltagskleidung, die farbenfroh, aber schlicht im Schnitt ist, verarbeitet Sanne Müller ausschließlich Baumwolle mit Elasthan, aus Gründen der Nachhaltigkeit gerne recycelte Stoffe.


    ÜBERROCK AUS MÖBELSTOFF

    Anders als ein aus vielen Einzelteilen bestehendes Steampunk-Kostüm. Dessen detailreich gestalteter Überrock in changierendem Bordeauxrot bis Lila ist aus Möbelstoff hergestellt, das mache ihn besonders robust. Für ein anderes Steampunk-Outfit hat sie sich aus einem alten Herrenledermantel eine Korsage genäht. „Als ich den über Ebay-Kleinanzeigen gefunden hatte und abholen wollte, sagte der Mann zu mir: ‚Der passt Ihnen aber nicht‘. Wenn ich dem gesagt hätte, dass ich seinen Mantel zerschneiden will...“


    Nicht alle Steampunker tragen selbstgeschneiderte Kleidung. „Viele kaufen Kostüme und hübschen sie selbst etwas auf“, so Müller. „Mir gefällt, dass ich mich beim Steampunk meinen kreativen Leidenschaften Nähen, Schreiben und Erzählen widmen kann. Und zwar nicht nur für mich, sondern auch für andere“, sagt sie. Das Hobby bringe sie dazu, anders durch die Welt zu gehen. Als ihr Sohn davon erzählte, dass es in seiner Firma in Elmshorn einen Paternoster gebe, der als Lastenaufzug für Zementsäcke verwendet werde, habe dies sofort ihre Fantasie beflügelt. Wäre das nicht eine ideale Zeitmaschine?


    Zur Sache

    Präsentation am Donnerstag


    Am Donnerstag präsentieren sich einige Mitglieder des Bremer Steampunk-Zirkels erstmals dem Publikum der Osterwiese. Dabei bewegen sie sich im Fahrwasser der niederländischen Schauspielgruppe "Abacus Theater", die zu dem Bremer Volksfest auf der Bürgerweide eingekauft wurde. Der Unterschied: "Sie machen ihren Job, für uns ist es ein Hobby", sagt Sanne Müller. Um 16 Uhr treffen sich einige Anhänger des Bremer Zirkels am Hintereingang des Hauptbahnhofs, um gemeinsam zur Osterwiese zu laufen. Sie sind als Walking Act dort von allen Volksfest-Besuchern, gerne auch Kindern, ansprechbar.


    Quelle: https://www.weser-kurier.de/br…t-doc7uta8e54ljp18x3ux82l