„Drei ???“, „TKKG“, „Fünf Freunde“, „Hui Buh“ – das goldene Zeitalter der Hörspiele

  • Legendäre Klassiker

    „Drei ???“, „TKKG“, „Fünf Freunde“, „Hui Buh“ – das goldene Zeitalter der Hörspiele

    Von Martin Klemrath

    Hörspiele: Vom Radio wurden sie erfunden, auf Schallplatten und Kassetten wurden sie Verkaufsschlager. Quelle: Martin Klemrath

    Am 12. Oktober 1979 erschien „Der Super-Papagei“ – einer von vielen Hörspiel-Klassikern jener Zeit, die vor allem die Jugend begeisterten. Entstanden war das Genre in den 1920ern durch das Radio. Ein Hörspiel versetzte Zuhörer sogar in Panik.

    Die Sonne geht wieder früher unter, die Abende werden immer länger, und dies ist für viele eine willkommene Gelegenheit, die alte Hörspielsammlung hervorzuholen. Oder nach Neuware Ausschau zu halten. Und so ist es vielleicht kein Zufall, dass einige Klassiker des rund 100 Jahre alten Genres ausgerechnet im Oktober erschienen sind.

    Darunter ist ein Werk eines damals erst 23 Jahre alten Autors, Schauspielers und Regisseurs, der am Vorabend von Halloween 1938 ein denkwürdiges Kapitel Hörspiel-Historie schrieb: Orson Welles. Drei Jahre, bevor er mit „Citizen Kane“ einen der bedeutendsten Beiträge zur Filmgeschichte ablieferte, schickte er anlässlich des alljährlich zum Ende des Oktobers in den USA zelebrierten Gruselfestes eine Inszenierung in den Äther, die seither als berühmtestes Hörspiel der Rundfunkgeschichte gilt.

    Die Radiohörer an Amerikas Ostküste erlebten ein akustisches Spektakel, das sehr realistisch gestaltet war – vielleicht zu realistisch: Auf dem Sender CBS unterbrach ein Sprecher nach dem Wetterbericht um 20 Uhr das Programm für eine „Sondernachricht“. Ein Professor aus Chicago habe eine Entdeckung gemacht: Offenbar hätten sich auf dem Planeten Mars einige Explosionen ereignet. Nun nähere sich ein Objekt der Erde, mit hoher Geschwindigkeit. Dann folgte zunächst Musik, und die verdutzten Zuhörer warteten gespannt auf das nächste Update zum Geschehen.

    Bald darauf wurden Blitze und Himmelserscheinungen vermeldet; dann hieß es, eine 30 Meter breite Scheibe sei in Grover’s Mill, New Jersey, gelandet. Eine Invasion von Außerirdischen sei in vollem Gange, die mit Hitzestrahlen und anderen überlegenen Waffen angriffen und gegen die selbst schwere Artillerie der US-Truppen nichts ausrichten könne. Vom Dach eines Hochhauses schilderte ein Reporter in Manhattan dramatische Szenen: Bürger würden in den Straßen vor riesigen Kriegsmaschinen der Marsianer und deren Giftgas-Waffen fliehen. Dann hustete der Reporter und verstummte.

    Viele Hörer ahnten nicht, dass sie keine realen Nachrichten verfolgten, sondern einer Adaption von H.G. Wells’ Roman „Krieg der Welten“ lauschten. Sie nahmen das Geschehen für bare Münze und riefen in Panik bei dem Radiosender an, in dessen Telefonzentrale nun alle Lichter angingen und Hektik ausbrach. Auch bei der Polizei liefen die Leitungen heiß, die Beamte zu CBS in New York schickte. Bei dem Sender trafen bald auch diverse Reporter ein, und in den folgenden Tagen erschienen etliche Berichte über die „Massenpanik“, die Welles mit seinem Radio-Drama ausgelöst hatte.

    Heute geht man zwar davon aus, dass das Ausmaß der Angelegenheit in der Presse übertrieben dargestellt wurde und weit weniger Zuhörer verängstigt waren als später geschildert. Aber dennoch ist die Episode ein beeindruckendes Beispiel dafür, welch große Wirkung ein Hörspiel entfalten kann – mit begrenzten Mitteln. Im Gegensatz zu Film und Theater kann das Publikum das Geschehen nicht sehen, nur hören, was das Genre zunächst weniger attraktiv erscheinen lässt. Aber der vermeintliche Makel macht tatsächlich den besonderen Reiz von Hörspielen aus: Die Fantasie wird angeregt; und was man nicht sieht, kann sich in der Vorstellung viel intensiver anfühlen als manches, was man optisch vorgesetzt bekommt.

    Erst populär im Rundfunk – dann legendär auf Kassetten

    Zum Zeitpunkt von Welles’ Coup, der ihn landesweit bekannt machte, war das Genre Hörspiel noch vergleichsweise jung, aber bereits sehr populär. Seine Entstehung verdankte es einer technischen Neuerung: dem drahtlosen Rundfunk. Dessen Grundlagen schufen Ende des 19. Jahrhunderts, nachdem Heinrich Hertz 1886 die elektromagnetischen Wellen entdeckt hatte, Forscher wie Nikola Tesla und Guglielmo Marconi. Der erste kommerzielle Radiosender ging 1920 in Pittsburgh (US-Bundesstaat Pennsylvania) in Betrieb. In Berlin sendete nach einigen Feldversuchen ab 1923 der erste offizielle deutsche Radiosender. Die folgenden Jahre brachten den weltweiten Durchbruch des Radios als erstem elektronischen Massenmedium. Neben Nachrichten, Sport- und Musikübertragungen fanden nun Hörspiele ein breites Publikum.

    Als weltweit erstes „Radio-Drama“ gilt die Adaption des Theaterstücks „The Wolf“, die der kleine Rundfunksender WGY im US-Bundesstaat New York am 3. August 1922 ausstrahlte. Statt einer bloßen Lesung wurden hierbei neben der Sprache auch (mit allerlei trickreich eingesetzten Hilfsmitteln erzeugte) Geräusche sowie Musik eingesetzt. Das kam beim Publikum derartig gut an, dass den Sender mehr als 2000 begeisterte Zuschriften erreichten. Die Hörer wollten mehr davon, und umgehend legte WGY mit neuen Produktionen nach. Das fand bald auf der ganzen Welt Nachahmer. Bis in die 1930er- und 1940er-Jahre erlebte das Genre eine erste Blütezeit. Doch im Laufe der 1950er begann das Interesse in den USA abzuebben, denn das neue Medium Fernsehen begann, dem Radio den Rang abzulaufen.

    In Deutschland setzte hingegen in der Nachkriegszeit ein wahrer Hörspiel-Boom mit hunderten Produktionen pro Jahr ein. Dazu trugen die damaligen, anfangs kargen Verhältnisse bei. Viele Kinos und Theater waren zerstört, aber Radios noch in großer Zahl vorhanden. Das Fernsehen schaffte hierzulande nach bescheidenen Anfängen in den 1950ern im darauffolgenden Jahrzehnt den Sprung zum Massenmedium, 1975 erreichte die Fernsehdichte in der Bundesrepublik 93 Prozent.

    Dass Hörspielfans mittleren Alters heute dennoch die 1970er- und 80er-Jahre als ein goldenes Zeitalter des Genres in wohliger Erinnerung haben, hängt abermals mit dem Durchbruch einer technischen Innovation zusammen: der Audiokassette. Sie verhalf dem Genre damals vor allem bei Kindern und Jugendlichen zu großer Popularität. Bei dem Tonträger, auch Kompaktkassette oder Musikkassette genannt, befand sich ein Magnetband in einem Plastikgehäuse. Dieses war nur wenig größer als ein Handteller und damit viel praktischer als die bisherigen, eher klobigen Tonband-Spulen oder die 30,5 Zentimeter Durchmesser großen Langspiel-Schallplatten aus Vinyl, die in den 1950ern die alten Schellackplatten verdrängt hatten.

  • Die Kassette wurde samt einem passenden Kassettenrecorder von Philips entwickelt und 1963 vorgestellt, blieb zunächst aber eher ein Nischenprodukt. 1968 bot die niederländische Firma ein erstes Kassetten-Autoradio an. Ab den 1970ern fand die Kassette dann breite Verwendung, als diverse japanische Hersteller eine Fülle von Recordern und Abspielgeräten auf den Markt brachten, die auch immer günstiger wurden. 1979 befeuerte Sony mit dem „Walkman“ im Jackentaschenformat den Siegeszug der Kassette zusätzlich.

    Schon zuvor hatten Hörspiel-Produzenten das Potenzial von Kindern und Jugendlichen als Zielgruppe erkannt. In den 1960er-Jahren erschienen einige Kinder-Hörspiele auf Schallplatten, die heute als Klassiker gelten. Darunter Märchen wie „Der Zwerg Nase“ und „Kalif Storch“ oder Adaptionen der seinerzeit sehr populären „Winnetou“-Kinofilme. Aber erst in den 1970ern, als Kassetten in Kinderzimmern und auf Schulhöfen omnipräsent wurden, erreichten die Auflagen neue Dimensionen.

    Eine Fülle legendärer Hörspiele kam auf den Markt, die zu Evergreens wurden. Zunächst wurden sie parallel auf Schallplatten und – oft zum günstigeren Preis – auf Kassetten vermarktet, später meist nur noch auf letzteren. Sehr erfolgreich wurde vor allem das Label Europa, bei dem ab 1973 Heikedine Körting die Verantwortung für die Hörspielproduktion übernahm. Körting avancierte zur unangefochtenen und vielfach ausgezeichneten Grande Dame der Branche, sie produzierte mehr als 2000 Hörspiele und führt bis in die Gegenwart in ihrem Tonstudio in Hamburg Regie.

    Schier endlos ist die Liste von Europa-Titeln der 1970er und 1980er, die bis heute treue Fans haben. 1969 ging „Hui Buh“ in Serie, bis 1983 lieh der Schauspieler Hans Clarin dem Schlossgespenst in 23 Folgen seine unverwechselbare Stimme. Weitere Hit-Serien waren „Die Hexe Schrumpeldei“, „Hanni und Nanni“, „Perry Rhodan“, „Fünf Freunde“, „Burg Schreckenstein“ und „TKKG“. Aber auch Europas Konkurrenten lieferten Klassiker ab, darunter das Label Kiosk mit „Benjamin Blümchen“ und „Bibi Blocksberg“ oder das Tonstudio Braun mit „Geisterjäger John Sinclair“. Einige der Serien wurden Jahrzehnte später wiederbelebt oder laufen ununterbrochen bis heute.

    Ein großer Meilenstein der Hörspiel-Historie war der 12. Oktober 1979. An jenem Tag erschien bei Europa „Die drei ??? und der Super-Papagei“. Es war der Auftakt einer Serie über drei jugendliche Nachwuchs-Detektive, die sich „Die drei Fragezeichen“ nennen. Justus, Peter und Bob werden dabei im (fiktiven) Rocky Beach in Kalifornien in diverse spannende Kriminalfälle verwickelt. Basierend auf gleichnamigen Jugendbüchern wurde die Serie mit mehr als 50 Millionen verkauften Tonträgern zur erfolgreichsten Hörspielproduktion der Welt. Sie wird noch immer fortgesetzt: 2019 erschien die 200. Folge, im September 2024 die 229, und kein Ende ist in Sicht.

    Dabei hatte es zwischenzeitlich nicht mehr danach ausgesehen, dass Hörspiele populär bleiben würden. Nach dem jahrzehntelangen Höhenflug ließ das Interesse am Genre in den frühen 1990ern deutlich nach. Dazu trugen vor allem Computer- und Videogames maßgeblich bei, die den Hörspielen bei den Jugendlichen den Rang als populäres Freizeitvergnügen abliefen. Doch dann erinnerten sich die nun erwachsenen, einstigen Kinder der 1970er und 1980er an den großen Spaß, den sie früher beim Hören gehabt hatten. Ab der Jahrtausendwende gab es eine regelrechte Hörspiel-Revival-Welle, die dem Genre neuen Auftrieb verlieh. Seit 2002 touren die Sprecher der „Drei ???“ Oliver Rohrbeck, Jens Wawrczeck und Andreas Fröhlich samt Geräuschemachern regelmäßig durch Deutschland und intonieren live auf der Bühne neue Abenteuer der Detektive, zuletzt in interaktiven „Mitmach-Hörspielen“.

    Für Nostalgiker bringt Europa neue Hörspiel-Folgen noch immer auf physischen Tonträgern heraus, wenn auch in kleinerer Auflage. Für den Großteil des Publikums hat das Streaming längst Schallplatten, Kassetten und auch CDs ersetzt. Von den „Drei ???“-Klassikern und anderen Serien sind im offiziellen Online-Angebot jedoch nur neu abgemischte Versionen verfügbar. Puristen greifen daher stets auf frühe Auflagen der Platten und Kassetten zurück.

    Denn neben den Sprechern und Geräuschemachern hat ganz entscheidend der Komponist Carsten Bohn zum unverwechselbaren Sound der ersten 39 Folgen von „Die drei ???“ beigetragen. Doch aufgrund eines Rechtsstreits über Bohns Tantiemen wurde seine Musik ab Folge 40 nicht mehr verwendet; auch bei Neuauflagen der Folgen 1 bis 39 wurden seine Melodien durch eine andere Musik ersetzt.

    Wer den klassischen Sound genießen will, muss daher auf frühe Auflagen dieser Hörspiele zurückgreifen (bei anderen Europa-Serien ebenso, für die Bohn wie bei den „???“ unter dem Pseudonym Bert Brac komponierte). Man erkennt sie an der Kassettenfarbe. Die Bohn-Musik der „???“-Folgen 1 bis 39 ist nur auf schwarzen Kassetten mit gelbem Label, auf hellgrauen Kassetten mit gelbem Label, auf einheitlich gelben Kassetten und auf Kassetten in hellem Grau bzw. Graublau enthalten. Die Neuauflagen der alten Folgen sind auf roten Kassetten mit schwarzem Aufdruck sowie schwarzen Kassetten mit weißem Aufdruck. Fans der alten Musik sollten diese neuen Auflagen meiden.

    Die alten physischen Medien haben den weiteren Vorteil, dass man beim Hören dann doch auch etwas zum Sehen in den Händen halten kann: nämlich die berühmten „Drei ???“-Cover, die von der 2009 verstorbenen Künstlerin Aiga Rasch gestaltet wurden. Seit Jahren werden ihre Originalzeichnungen dieser ikonischen Motive auch regelmäßig in Museen ausgestellt. Aktuell sind sie in Rheinland-Pfalz zu sehen: Vom 12. Oktober 2024 bis zum 26. Januar 2025 läuft die Ausstellung „Aiga Rasch und die geheimen Einblicke“ in der Stadtgalerie Mennonitenkirche in Neuwied.

    Wie technische Innovationen entstehen und das Leben der Menschen verändern, hat Martin Klemrath schon in diversen Artikeln bei WELTGeschichte nachgezeichnet. Beispielsweise ist er der Frage nachgegangen, warum die LP als „Album“ bezeichnet wird und Singles ein so großes Loch haben.

    Quelle: https://www.welt.de/geschichte/art…Hoerspiele.html

  • Als würdiger Abschluss der Goldenen Zwanziger lief am Silvesterabend 1929 um 19:30 in der Funkrevue die „Die Reise um die Erde“, Sender Hamburg (für alle Norag-Sender). „Funkisch bearbeitet von Hans Brennecke. Im Rahmen dieser Revue: Ankunft des historischen Benz-Autos in Hamburg (gegen 21 Uhr).“ Schluss der Sendung war wohl um 21:30.

    https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno-plus?aid=rwl&datum=1929&page=4189&size=45

    (Wie in einem anderen Thread schon erwähnt: Neu bei ANNO: Radiowelt.)

    Nautron respoc lorni virch.