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Entdecker waren auch Ideenspender für Karl May
Stand:21.01.2025, 11:35 Uhr
Von: Dagmar Klein
Das Foto zeigt Karl May mit den Filmdarstellern von Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi im Hintergrund (seine Alter Egos). Rechts der Blick ins Karl-May-Museum in Radebeul. REPRO: DKL © Dagmar Klein
Gießen (dkl). Die Gießener Geographische Gesellschaft hatte eingeladen zu einem Vortrag des Karl-May-Experten Malte Ristau aus Berlin. Prof. Andreas Dittmann begrüßte die Gästeschar im Hörsaal des Zeughauses und wies darauf hin, dass Ristau bereits zum zweiten Mal in Gießen referierte. Der Sozialwissenschaftler war als Amtsleiter in zwei Bundesregierungen für Arbeit, Familie und Soziales zuständig.
Sein Vortrag mit dem Titel »Bekannte deutsche Entdecker - Wegbegleiter des Kolonialismus und Ideenspender für Karl May« wurde ein Parforceritt durch die Geschichte der deutschen Entdeckungsreisenden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, mit Fokus auf Afrika.
Was bewegte junge Männer in für Europäer unbekannte Regionen zu ziehen und dabei ihr Leben zu riskieren. War es Abenteuerlust? Wissensdrang? Die Hoffnung auf späteren Ruhm? Viele wurden überfallen, ausgeraubt, verletzt, und das mehrfach. Manchmal sogar getötet, wie im Fall von Adolf Schlagintweit, der für einen Spion gehalten wurde. Damit ist einer von drei Brüdern genannt, die die Himalaya-Region als erste Europäer erkundeten, drei Jahre lang.
Wissensdrang oder Abenteuerlust?
Der jüngste der drei, Robert Schlagintweit, wurde 1864 der erste Professor für Geografie der Universität Gießen. Mit dieser Ernennung war der Großherzog von Hessen etwas früher dran als die anderen Länder des Deutschen Reichs. Denn erst nach der Reichseinigung war es angesagt, Geografie-Professuren an den Universitäten einzurichten. Fast parallel zur Forderung, dass nun auch das Deutsche Reich Kolonien haben müsse, wie die anderen Großmächte.
Der Wettbewerb und der daraus resultierende Prestige- gewinn war für Regierungen ein zentraler Faktor bei der Unterstützung von Erkundungen der sogenannten weißen Flecken auf der Landkarte. Gerechnet hätten sich die Kolonien für Staaten eher nicht, sie waren ein Kostenfaktor, so der Referent. Gewonnen haben die Wissenschaftler, wenn sie durch ihre Publikationen Ruhm erlangten und manche auch Professuren erhielten. Vor allem aber die Kaufleute, die reich wurden durch den Handel mit Kolonialwaren, vor allem in norddeutschen Hansestädten.
Und dann waren da noch die Kirchen, die die Missionierung vorantrieben. Ein großes Interessenkonglomerat also, das von sehr unterschiedlichen Menschen vorangetrieben wurde.
Und in der Heimat verschlangen die Menschen die Exkursionsberichte der Entdecker geradezu, die in Petermanns geografischen Mitteilungen wissenschaftlich, in der Gartenlaube fürs allgemeine Publikum mit Abbildungen abgedruckt wurden. Verlage druckten dicke Bücher mit Berichten von Forschungsreisenden, von denen einige so spannend erzählt waren, dass sie Romane in den Schatten stellten. Sie waren die Popstars der damaligen Zeit, ihre Worte hatten Gewicht.
Schlagintweits Schatz im Silbersee
Und einer, der in dieser Zeit lebte und von den Expeditionen absolut fasziniert war, war Karl May. Er muss wirklich alles gelesen haben, was die Entdecker publizierten, so Malte Ristau. Und er hat daraus seine vielen Abenteuergeschichten gemacht, in denen Wissenschaftler und Abenteurer die Welt eroberten; erinnert sei an Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi, aber es gab auch einen Professor Vitzliputzli, einen Stubenhocker, über den man sich gern lustig machte. Von Robert Schlagintweits 1870 erschienenem Buch über die Pacific-Eisenbahn ließ sich May etwa zu einer Szene für den »Schatz im Silbersee« inspirieren. »Das ist fast eins zu eins übernommen«, sagt der Karl-May-Experte. Auch bei Berichten von anderen Forschungspublikationen sei das zu beobachten.
Auf diesem Weg haben die Deutschen einige Regionen der Welt kennengelernt, Nordafrika und den Sudan sowie die türkisch-arabische Region. Es war Landeskunde pur, die Generationen bis in die 1990er Jahre fasziniert hat, die ihre Neugier und ihren Wissensdurst weckten. Heutige Ausgaben erscheinen natürlich in kommentierter Form, der Wortgebrauch der Kolonialzeit muss erklärt (kontextualisiert) werden. Übrigens, die einzige Reise nach Afrika, die Karl May unternahm, war 1899 nach Ägypten. Da war die Zeit der Neuerforschungen längst vorbei, er reiste mit dem Baedecker-Ägypten-Reiseführer.
Quelle: https://www.giessener-allgemeine.de/giessen/entdec…y-93530397.html