Wie Hauptschüler ums Überleben kämpfen

  • Gewalt an Schulen - nur ein Einwanderer-Problem? Keineswegs. Deutschlands Hauptschulen verkommen zu Sammelbecken für Kinder aus Familien, die sich selbst aufgegeben haben. Eine Direktorin aus Ostdeutschland beschreibt, womit sie es jeden Tag zu tun hat.


    Hauptschulen wurden ursprünglich gegründet, um junge Menschen auf handwerkliche Berufe vorzubereiten und um ihnen Werte zu vermitteln, die helfen sollen, sich in die Gesellschaft zu integrieren. Doch nur ein geringer Prozentsatz von ihnen erhält heute überhaupt noch die Chance auf eine Ausbildung. Und: Nur noch wenige von ihnen werden Hauptschüler aufgrund ihrer intellektuellen Fähigkeiten. Es sind zwar häufig Kinder aus sogenannten bildungsfernen Elternhäusern. Aber sie weisen nicht unbedingt Leistungs-, sondern eher Verhaltensdefizite auf.


    Kinder, deren Eltern aus den verschiedensten Gründen außerhalb unserer Gesellschaft stehen, sind eben das - Außenseiter. Wir selektieren in der Hoffnung, die anderen zu schützen. Engagierte Eltern geben ihre Kinder gar nicht erst an eine Hauptschule. Ihnen ist bewusst, welche Gefahren damit verbunden sind. Die Hauptschule verkommt zum Sammelbecken für Problemfälle.


    Wie kann ein Lehrer seine gesellschaftlichen Wertvorstellungen auf Kinder übertragen, die außerhalb dieser Gesellschaft stehen? Auf Kinder, die in einer Welt leben, in der Eltern, Geschwister und Freunde ihre eigenen Überlebensstrategien entwickeln mussten? Welche Perspektiven soll man Kindern geben, die im Grunde keine haben?


    Ich habe 1989 eine für die DDR typische Polytechnische Oberschule übernommen, gelegen in einem Neubaugebiet, in dem damals vier solcher Schulen existierten. Die Schüler waren bunt zusammengewürfelt. Da gab es die Ehrgeizigen und die Faulen, die Intelligenten und die Leistungsschwachen. Es gab Schüler, die sich prügelten, aber eben auch die, die Gewalt verabscheuten. In den Elternversammlungen saß die Reinigungskraft neben dem Arzt.


    17 Jahre nach der Wende ist meine Schule die einzige, die im Stadtgebiet übrig geblieben ist. Aber ihr Gesicht hat sich verändert, so wie sich das gesamte Umfeld geändert hat. Wer es sich leisten kann, zog in attraktivere Wohngegenden, wer nicht, musste eben bleiben. Als die Dreigliedrigkeit bei uns eingeführt wurde, versprach man uns, dass künftig eine zielgerichtete Förderung möglich sein werde. Die Hauptschüler, die zu uns kamen, waren fast alle verhaltensauffällig - intellektuell wären sie durchaus in der Lage gewesen, bessere Leistungen zu erbringen.


    Heute liegt der Anteil der Kinder, die aus sozialschwachen Familien kommen, oft bei 80 Prozent. Die Eltern haben seit vielen Jahren keine Arbeit. Die Kinder sind die einzigen, die morgens aufstehen. Für sie ist es eine große Leistung, wenn sie verspätet, ohne Frühstück und unvorbereitet überhaupt in die Schule kommen.


    Wie dann der Tag abläuft, hängt davon ab, was sie in der Nacht erlebt haben: Wurde zu Hause getrunken, haben sich die Eltern gestritten oder gab es Prügeleien, dann sind sie unausgeschlafen, apathisch oder aggressiv. Gestern hat ein Schüler seiner Mitschülerin einen Stuhl an den Kopf geworfen, weil sie ihn ausgelacht hatte: Er hatte statt seiner Schultasche nur einen Beutel bei sich. Es stellte sich heraus, dass in der Nacht zuvor das Jugendamt ihn und seine vier Geschwister aus der Familie geholt und in ein Heim gebracht hatte.


    Für viele dieser Kinder geht es einfach nur noch darum zu überleben. Die Wertvorstellungen, die wir ihnen zu vermitteln versuchen, helfen wenig dabei. In ihrer Welt heißt es: "Schlag zu, wenn du nicht geschlagen werden willst"; "Klau dir, was du haben willst, sonst bekommst du es nicht." Wer da nicht mitzieht, ist ein Ausgestoßener, wird erpresst, geschlagen, gemobbt. Die Gruppe hat ihre eigenen Regeln.


    Obwohl wir in unserer Schule viele Hilfsexperten organisiert haben, wir Antiaggressionstraining, Kurse zur Konfliktbewältigung, Lernwerkstätten usw. anbieten, ist ein allgemeiner Werteverfall unverkennbar. In den unteren Klassen können wir oft nicht mehr mit Scheren und Zirkeln arbeiten, da die Verletzungsgefahr zu hoch ist. Wutanfälle und Attacken gegen Mitschüler und auch Lehrer erfolgten oft aus dem Nichts: "Der hat mich angemacht!" "Mir war eben so!"... Viele Schüler nehmen bereits Medikamente.


    Je weiter wir nach unten schauen, desto häufiger finden wir Kinder mit ernsthaften psychischen Störungen, die durch einfache pädagogische Maßnahmen nicht in den Griff zubekommen sind. Lehrer, Sozialarbeiter, Schulpsychologen kommen an ihre Grenzen. Hilferufe werden ignoriert. Die Schulräte sind ratlos, die Bildungspolitiker klagen über Haushaltslöcher. Nach dem Pisa-Schock hat man Bildungsstandards entwickelt, Institute für Qualitätssicherungen gegründet und Schulen mit Evaluation gedroht. Es sind dies Maßnahmen, die viel Geld kosten. Sie schaden sicher nicht, versprechen aber, wenn überhaupt, nur langfristig Erfolge.


    Letztlich wird der Ball an die Schule zurück gespielt. Die, heißt es dann, habe versagt: "Faule Säcke!" Aber auch wenn sich Lehrer künftig noch mehr engagieren, Projekte anleiten, Fortbildungskurse besuchen: Sie werden das Problem nicht lösen können. Es stellt sich die Frage, ob ein System, das gesellschaftlich derart überholt ist, überhaupt noch zu reparieren ist.


    Natürlich kann man einen Schulleiter auswechseln, die Polizei am Eingang postieren oder noch einen Sozialarbeiter einstellen. Ob wir damit dauerhaft Erfolg haben, wage ich zu bezweifeln.


    Noch sind wir bei uns ein Stück von den Berliner Verhältnissen entfernt. Aber wir sind auf dem Weg dorthin.


    Wir hatten das Schulmassaker von Erfurt. Keiner der Verantwortlichen kann sagen, wir hätten nichts gewusst. Die Integrationsproblematik ist dabei mit Sicherheit nur sekundäre Ursache für die derzeitige Eskalation, die sich am Beispiel Rütli-Schule zeigt. Primär ist es ein Problem sozialer Schichtung: Die sogenannten bildungsfernen Elternhäuser haben ihre Kinder - genau wie sich selbst - schon längst aufgegeben.


    Es reicht nicht, mit Harz IV für die Befriedigung der existentiellen Bedürfnisse zu sorgen.


    Der Mensch lebt nicht von Brot allein.


    Die Autorin leitet eine Regionalschule in Ostdeutschland. Um ihre Schule zu schützen, möchte sie ihren Namen nicht nennen. Er ist der Redaktion bekannt.


    quelle: dpa

    Unterwegs sein


    das ist es doch
    per pedes per Rad
    per Bahn per Flugzeug
    per Kopf in ferne Zonen
    zu finden was unauffindbar
    jenseits der Grenzen
    deiner selbst

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  • Das Problem ist, dass die Schüler oftmals kein Vorbilb haben... die lehrer die sie unterrichten sind (in ihren augen) gutverdienende Snops.


    Ich habe ein bericht gesehen in dem sich Bushido an die Schüler einer Gawalt-Schule gewendet hat. Die Kids würden eher auf ein Idol ohnr Verstand, aber mit "Herz" hören, als auf leute (mit professioneller Ausbidung) die ihnen helfen wollen.


    Es gibt meiner Meinung nach Zwei schwachstellen.
    [list=1]
    [*]Das Elternhaus
    [*]Die Erziehung in den Grundschulklassen
    [/list=1]


    zu 1. Anstatt zu versuchen die Kinder zu erziehen sollte sich an die Eltern gewannt werden. Trotz Harz IV muss das Sozialverhalten nicht verkümmer. Meine Mutter war selbst Arbeitslosengeld Emfängerin, trotzdem hat sie mir beigebracht was Recht und Unrecht ist.
    Ok, ich habe ein Rechtschreibdfiziet wie man erkannen kann, aber das war mein Faulheit.


    zu 2. Grundschullehrer sollten auf die Kinder eingehen... Dafür brauchen wir kleinere klassen!!!!! Verhaltensstötungen kann man fürh veststellen, jedoch nicht, wenn man 30 bis 40 kinder aufeinmal betreuen muss... außer man würde min. 2 lehrer einsetzen die als Team aggieren

    "Ich eile! Gibt es Jungfrauen zu retten oder Drachen zu erschlagen?"

    Sven Plate (Das Tapfere Schneiderlein)


    Sind wir nicht alle ein wenig [GLOW=limegreen]INSIDE[/GLOW] ?

    Ich grüße alle die gegrüßt werden wollen


    Euer Popelx

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  • Zitat

    Original von Tatzelwurm
    Stimmt leider.
    Die Hauptschule ist die letzte Regelschule die Schüler nehmen muss, also landet alles was wo anders keine Chance hat dort. Die Lehrer haben (scheinbar zum größten Teil) bereits aufgegeben und warten täglich nur noch auf den Feierabend.


    nicht ganz. meine frau arbeitet an einer sonderschule für schwererziehbare.
    täglich blutige schlägereien, drogen, die polizei als dauergast,
    sowie einweisungen von schülern in die psychiatrie sind dort an der
    tagesordnung. quasi die verbrecher von morgen.
    schönen dank. meine frau muss ab sommer noch 2 jahre durchhalten,
    dann kann sie wieder auf eine grundschule und das machen, was sie
    gelernt hat, nämlich grundschullehrerin und nicht dompteur im irrenhaus.

    Unterwegs sein


    das ist es doch
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    per Kopf in ferne Zonen
    zu finden was unauffindbar
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    deiner selbst

  • Zitat

    Original von johnny_cyberpunk
    nicht ganz. meine frau arbeitet an einer sonderschule für schwererziehbare.
    täglich blutige schlägereien, drogen, die polizei als dauergast,
    sowie einweisungen von schülern in die psychiatrie sind dort an der
    tagesordnung. quasi die verbrecher von morgen.


    Jepp, die kenn ich auch live (ist nicht weit von hier weg) und vom meinem Kollegen die Frau ist Sonderschullehrerin und genau dort tätig .... auf lebenszeit.
    Deine Frau kann wirklich froh sein dort wieder weg zu kommen.
    Aber doch, ich kenn das hier aus eigener Erfahrung. Für die Sonderschule gibt es extra Aufnahmeverfahren, dort wird man erst nach Prüfung "eingewiesen". Die Hauptschule schluckt aber alles was noch schulpflichtig ist und nirgens anders unter kommt.


    Ich kenne aber genau 2 Hauptschulen die eine bestätig das oben gesagte und die andere wiederlegt alles. Die "positive" Hauptschule hat allerdings auch den Vorteil "auf dem Dorf" zu sein und nicht mitten in einer Stadt.

  • Zitat

    Original von Tatzelwurm
    Ich kenne aber genau 2 Hauptschulen die eine bestätig das oben gesagte und die andere wiederlegt alles. Die "positive" Hauptschule hat allerdings auch den Vorteil "auf dem Dorf" zu sein und nicht mitten in einer Stadt.


    Ich wohne in einer Stadt mit ca. 70000 einwohnern und war selbst auch auf einer Hauptschule... auf meiner gab es fast garkeine gewallt. Doch auf der nächstliegenden werden auf dem Schulhof drogen und waffen verkauf.
    Wie kann es jetzt sein, dass 3Km so einen unterschied machen?


    Meine kleine Schwester geht auf eine Sonderschule, diese schule liegt so ziemlich zwischen den Schulen und dort ist es bis auf das normale schulhofgezanke auch ruhig.


    @johnny: Hoffe für deine Frau, dass sie wieder an eine Grundschule kommt... vieleicht ist sie ja eine der Lehrerin, die dafür sorgt, dass aus Kindern, keine Gangster werden

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    Euer Popelx

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  • Es ist meist das Umfeld, das Einzugsgebiet, welches die Qualität der Schule ausmacht. Wenn das oben angesprochene Mischungsverhältnis aus dem Ruder läuft, dann ist es oft zu spät. Wieviel Leistungsverweigerer / - schwache / Gewaltbereite kann eine Schule verkraften? Wenn das Verhältnis kippt, dann ist es zu spät. Wenn Eltern merken, dass das Umfeld nicht mehr stimmt, wenn Leistungswillige keine Chance mehr haben, dann werden die Kinder (wenn möglich) woanders hingeschickt. ich kenne Fälle, wo dies ein Umzugsgrund war. Was bleibt? Schulen die nicht mehr beherrschbar sind, weil die weinigen "Vernünftigen" keine Chance mehr haben.


    Letzte Woche las ich in der Zeitung, dass der Bundestag im Vorjahr den Export eines israelischen U-Bootes mit 360 Millionen Euro "gesponsert" hatte. Wäre es nicht besser in Schul- und Sozialarbeit investiert worden?



    :angryfire: