Madrid (dpa) - Bei der bislang schwersten Serie von Terroranschlägen in Spanien sind am Donnerstag drei Tage vor der Parlamentswahl weit mehr als 100 Menschen getötet worden. Die Stadtverwaltung bezifferte die Zahl der Toten auf mindestens 131.
Rund 400 Menschen wurden nach Angaben der Notdienste verletzt, als in der Hauptstadt Madrid in drei Zügen mehrere Bomben explodierten. Die Regierung machte die baskische Untergrundorganisation ETA für die Attentate verantwortlich und sprach von einem «Massaker».
Der Chef der verbotenen ETA-nahen Baskenpartei Batasuna (Einheit), Arnaldo Otegi, wies dies zurück. Vielmehr stünden vermutlich islamistische Terroristen hinter den Attentaten. Er sprach von einer «Operation des arabischen Widerstands». Dafür spreche auch, dass es keine vorherige telefonische Warnung gegeben habe, wie es sonst bei der ETA immer der Fall gewesen sei.
Ministerpräsident José María Aznar berief ein Krisenkabinett ein. Der Wahlkampf wurde ausgesetzt, eine dreitägige Trauer angeordnet.
Die Sprengsätze detonierten im morgendlichen Berufsverkehr im Abstand weniger Minuten zwischen 7.35 und 7.55 Uhr im Inneren der Züge. Die Züge befanden sich bereits in ihrem Zielbahnhof oder kurz davor. Die Bomben waren in Reisetaschen versteckt. Das Ausmaß der Anschläge war auch deshalb so verheerend, weil es keine Warnung gegeben hatte.
In der Stadt brach Panik aus, vor den Bahnhöfen spielten sich dramatische Szenen ab. Verletzte rannten blutüberströmt durch die Gegend, Leichen wurden notdürftig mit Zeitungen zugedeckt. Zahlreiche Reisende wurden in den Waggons eingeklemmt. Viele Opfer wurden mit Bussen in die Krankenhäuser gebracht.
Die Polizei machte mit kontrollierten Explosionen mehrere verdächtige Gegenstände unschädlich. Der U-Bahn-Verkehr und der Bahnverkehr wurden sicherheitshalber eingestellt, was zu einem Verkehrschaos führte.
Betroffen von den Explosionen waren der Bahnhof Atocha - die wichtigste Station im Zentrum der spanischen Hauptstadt - sowie die Stationen Pozo del Tío Raimundo und Santa Eugenia. Diese beiden kleineren Stationen liegen in Arbeitervierteln im Südosten der Stadt an der Strecke Madrid-Alcalá-de-Henares.
Die Bombenleger verfolgten offenbar das Ziel, den Nahverkehr in Madrid in der Hauptverkehrszeit zum Zusammenbruch zu bringen. Die Bevölkerung wurde aufgerufen, Ruhe zu bewahren und Blut zu spenden.
Die Anschläge ereigneten sich drei Tage vor der Parlamentswahl am Sonntag, bei der konservative Ministerpräsident José María Aznar (51) nicht wieder antritt. Als klarer Favorit geht der frühere Vizeregierungschef Mariano Rajoy ins Rennen. Sein Rivale ist der 43- jährige Chef der Sozialisten (PSOE), José Luis Rodríguez Zapatero. Die politischen Parteien sagten alle Wahlkampfveranstaltungen ab.
Politiker in ganz Europa verurteilten das verheerende Blutbad scharf. Der EU-Ratspräsident, der irische Regierungschef Bertie Ahern, sprach von einem «Anschlag auf die Demokratie». Der Präsident des EU-Parlaments, Pat Cox, nannte die Anschläge eine «Kriegserklärung an die Demokratie». Zur Eröffnung der Plenarsitzung in Straßburg rief er die Spanier dazu auf, bei der Parlamentswahl am Sonntag eine Antwort zu geben und zu zeigen, dass die spanische Demokratie den Willen hat, den Terrorismus zu besiegen.
Der Bundestag reagierte mit «Entsetzen und Abscheu» auf die Bombenanschläge. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) drückte im Namen der Abgeordneten Betroffenheit und Mitgefühl mit dem spanischen Volk und dem Parlament aus. Bundesaußenminister Joschka Fischer (Grüne) sprach den Opfern und allen Bürgern Spaniens in einem Kondolenzschreiben an seine spanische Amtskollegin Ana Palacio «unsere aufrichtige Anteilnahme, unser Mitgefühl und unsere Solidarität» aus. «Diese verabscheuungswürdigen Terrorakte, die so viele Opfer gefordert haben, erfüllen uns mit tiefer Trauer und Empörung», schrieb Fischer.
Bei Terroranschlägen der ETA kamen in den vergangenen 30 Jahren über 800 Männer, Frauen und Kinder ums Leben. Das bislang blutigste Attentat der baskischen Untergrundorganisation war ein Anschlag auf ein Kaufhaus in Barcelona im Juni 1987 mit 21 Toten und 30 Verletzten. Die ETA (Euskadi Ta Askatasuna - Baskenland und Freiheit) wurde 1958 in Spanien gegründet. Sie betrachtet sich selbst als eine links stehende Befreiungsorganisation. Von der Europäischen Union und anderen internationalen Organisationen wurde sie offiziell als terroristische Vereinigung eingestuft.