Das Gauklerschiff Band 3

  • Das Gauklerschiff Band 3

    von Thomas Harbach

    Robert Kraft

    Im dritten von vier Sammelbänden fasst Herausgeber Dieter von Reeken die Lieferungen 78 bis 111 zusammen. Insgesamt 44 Illustrationen der Erstausgabe begleiten die einzelnen Kapitel.


    In den siebziger Lieferungen ändert Robert Kraft ohne die Not die bisherige Struktur seines umfangreichen Kolportageromans. Bis dahin wurden Rückblenden ausschließlich verbal von den Protagonisten, stellvertretend für den Leser, vermittelt. Die Erzählperspektive konzentrierte sich auf den Waffenmeister an Bord des Gauklerschiffs, der als älterer Mann diese wunderbare Reise und weniger Irrfahrt der Argonauten „aufschreibt“.


    Zweimal wechselt Robert Kraft in den angesprochenen 70er-Lieferungen die Perspektive. In beiden Fällen werden neue Protagonisten eingeführt. In beiden Abschnitten fließt der neue Handlungsabschnitt - die Lieferung abschließend - in den laufenden Plot ein.


    Die Lieferung 78 beginnt in Mitteldeutschland und endet in Brasilien. Artur Hennig kommt angeblich aus den USA zurück. Vor Jahren hat er seine Heimat verlassen, in welcher sein Vater einen der reichsten Höfe betrieben hat. Eine buchstäbliche Pechsträhne hat seine Existenz beendet. Sein Sohn diente erst in der niederländischen Fremdenlegion, anschließend suchte er sein Glück in den Vereinigten Staaten. Nur den Wehrdienst leistete er nicht ab. So wird er kaum in der Heimat zwangsverpflichtet und muss zwei Jahre statt einem Jahr dienen. Im Dienst eines bis dahin redlichen Offiziers entpuppt sich Artur Hennig abschließend als perfider Manipulator. Seine Intention wird nicht deutlich herausgearbeitet. Die wahre Identität Hennigs ist nicht nur für seine Mitmenschen, sondern auch für die Leser eine echte Überraschung. Kaum hat Robert Kraft sein Publikum verblüfft, geht es auch schon als Übergang zur nächsten Lieferung nach Brasilien, wo die Mannschaft des Gauklerschiffs den brasilianischen Präsidenten und seinen Stab entführt hat, um ihn vor dem bevorstehenden Militärputsch zu retten.


    Die “Argos” ist im Amazonas-Dschungel verschwunden. Die Putschisten suchen das Schiff und seine wertvolle Fracht verzweifelt. Da greifen sie schließlich auf ein Medium zurück. Medien sind bei Robert Kraft immer junge, impliziert noch jungfräuliche Frauen – Loke Klingor bildet hier die einzige Ausnahme -, die ihre Fähigkeiten eher ambivalent einsetzt. Wie später in „Das zweite Gesicht“ sind die Seancen immer von langen, eher einsilbigen Dialogen begleitet. Die Antworten sind kryptisch und der heutige Leser hat eher das unbestimmte Gefühl, als wenn Robert Kraft unter dem Termindruck der regelmäßigen Lieferungen - wie Karl May - Seiten geschunden hat. Der Handlungsarm um den Putsch und die Inthronisierung der regulären, aber auch nicht demokratischen Regierung wird genauso plötzlich abgeschlossen wie Robert Kraft diesen Neben Handlungsschauplatz eröffnet hat. Die Hellseherei oder besser “das zweite Gesicht” werden vom Autor sehr ambivalent behandelt. Lange Passagen voller kurzer Dialoge, in denen dem Leser suggeriert wird, dass es diese Medien gibt. Anschließend relativiert der Ich- Erzähler aus einer gewissen zeitlichen Distanz alle Phänomene. Diese Vorgehensweise findet sich - wie schon angesprochen - auch in “Das zweite Gesicht oder die Verfolgung rund um die Erde”. Hier etabliert Robert Kraft aber abschließend einen gegenteiligen Ansatz. Lange Zeit wurde die Hellseherei geerdet und als Scharlatanerie dargestellt. Nur das kleine Mädchen scheint wirklich über die Fähigkeiten zu verfügen. Diese sind allerdings hinsichtlich eines Blicks in die Zukunft nur sehr eingeschränkt nutzbar. Auch diese Idee wiederholt sich in den nächsten Abschnitten. So können die Argonauten von Merlin, einem ambivalent beschriebenen Wesen, bei Gefahren geschützt werden, aber in ihr zukünftiges Schicksal will diese undurchsichtige, vielleicht auf dem Zauberer der britischen Sagen aufgebaute Figur nicht eingreifen. Dass Gefahren und Schicksale nicht selten eng beieinander stehen, ignoriert Robert Kraft. Später wird Robert Kraft diese These noch mit der Tochter des Zauberers ergänzen, die sich ausführlich wie kryptisch mit dem Ich- Erzähler unterhält. Ihr Auftreten eröffnet einen relevanten Blick zurück, damit die Handlung irgendwann wieder voranschreitet. Sie ist die erste “Person” / “Erscheinung” von einer ganzen Phalanx von aus den vorangegangenen Lieferungen vertrauten Neben Protagonisten. Dieser Rückgriff auf bekannte Figuren unterstreicht die Komplexität, mit der Robert Kraft einige, aber leider nicht alle seiner Kolportageromane entwickelt hat.


    Der nächste große Abschnitt - im Hintergrund ist weiterhin die Suche nach dem Versteck des Filibuster Schatzes präsent - führt einen Teil der Argonauten von ihrem nächsten Ziel Petersburg über die eisigen Weiten des Jenisees nach “Texas” und wieder zurück nach Sibirien bzw. in ein abgeschieden gelegenes Tal irgendwo auf der Erde. In welcher Form diese Reise wirklich stattgefunden hat, erschließt sich dem Leser nicht gänzlich.


    Auf der einen Seite folgt Robert Kraft auf den Spuren Jack Londons. Ausführliche Naturbeschreibungen, die Schlittenfahrt und die Begegnungen mit seltenen Tierarten wie dem Wisent, dem Kulan und dem Tarpan. Die Argonauten sehen in ihnen vor allem Nahrungsmittel, aber auch Attraktionen für den Zirkus. Nach dieser Prämisse handeln sie auch. Die Beschreibungen sind detailliert, fast weitschweifend. Auch wenn die Argonauten sehr viele Meilen zurücklegen, kommt keine wirkliche Spannung auf. Am Ende der Reise werden sie wieder von der Argos aufgenommen, die inzwischen eine eisfreie Route gewählt hat.


    Auf der anderen Seite ist sich Robert Kraft nicht zu schade, eine Art metaphysische Ebene einzubauen. Wie kurz erwähnt, begegnen sie auf dieser Reise in einem gigantischen, aus Eishöhlen bestehenden Labyrinth Merlin. Heiße Quellen sorgen für eine angenehme Atmosphäre tief unter der mit Permafrost überzogenen Oberfläche. Diese bislang von Robert Kraft eher als Skizze angelegte Figur bringt den Argonauten eine krude Religionslehre mit dem Ich als Zentrum nahe. Dabei impliziert er, dass die Reise auch im Geist stattfinden kann und die Ergebnisse genauso befriedigend sein können. Ausdruck dieser seltsamen Religion scheint auch eine hoch auf den Felsen gebaute Burg zu sein, an deren Eingang auf deutsch folgendes steht. Gewinn- Enttäuschung; Entsagung -Gewinn.


    In der Eishöhle begegnen sie nicht nur dem schon angesprochenen Merlin, sondern können durch eine Öffnung im Fels quasi zeitlos nach Texas wechseln. Diese Dimensionstore können eine Illusion sein.Der Geist als Schlüssel zum zeitlosen Reisen oder als Tür ins eigene Unterbewusstsein. Auch eine technische Erfindung kann nicht ausgeschlossen werden. In der Burg finden die Argonauten später dreidimensionale “Fernseher”, mit denen sie nicht nur wunderschöne Frauen beobachten können, sondern anscheinend auch historische Ereignisse verfolgen. Diese Idee hat Robert Kraft mehrmals in seinem umfangreichen Werk genutzt. In “Atalanta” gab es schon eine gigantische unirdische Anlage mit diesen Monitoren. In Lateinamerika stießen die Argonauten auf einem ähnlichen Komplex in einen Felsen auf einer der Küste vorgelagerten Insel gebaut. Die Protagonisten erinnern sich weniger an diese erste Begegnung als die Leser. Paul Alfred Müller muss von dieser Idee derart fasziniert worden sein, dass er sie sowohl in der “Sun Koh” Serie wie auch den “Jan Mayen” Romanen nur wenig verfremdet ebenfalls nutzte. Auch wenn der Autor viele übernatürliche Phänomene und Geistererscheinungen zu rationalisieren sucht, ist er auch von ihnen als Autor besessen. Der Tanz der Knochen nimmt einen breiten Rahmen ein.

  • Auf ihrer Reise entlang des ewigen Eises stoßen die Argonauten nicht nur auf Merlin in den Eishöhlen als die angesprochene Burg, sondern die gut erhaltenen Reste einer untergegangenen Zivilisation. Sie finden eine Zirkusarena mit mehr als einhundertfünfzigtausend Plätzen. Sie finden gut erhaltene Rüstungen und Waffen, die aus einem historisch exotischen Zweig des Bronze Zeitalters stammen könnten. Sie finden Wandzeichnungen von graphischen Jagden. Sie finden auch Reste von Kleidung, nur keine Menschen. Diese Begegnung mit der Historie nutzt Robert Kraft zu einer Reihe von Exkursionen in die Bereiche der Pferdezucht, der Dressur von Zirkustieren und schließlich auch der Flora/ Fauna. Sein Wissen präsentiert der Autor zwar kompakt, unterbricht aber auch immer wieder den in diesen Lieferungen nicht unbedingt temporeichen Fluss der Handlung. Auf der wissenschaftlichen Ebene wirken seine Thesen hinsichtlich eines diagonalen Magnetismus, beweglicher Lichtmalerei oder der Nutzung telegraphischer Signale zu einer besonderen Art der Fernsteuerung ohne Gegenempfänger, allerdings teilweise auch aus der Luft gegriffen. Robert Kraft ist aber ein natürlicher Erzähler, der im Gegensatz zu Jules Verne wissenschaftlich Unwahrscheinliches trotzdem derart mit bekannten Fakten umgibt und dann extrapoliert, dass ein Leser ihm einfach nur glauben muss. Viel mehr vermischt er die Mythen- und Abenteuergeschichten eines Sir Henry Rider Haggards mit den technischen Spielereien Jules Vernes und entwickelt daraus eine für ihn so markante Erzählstruktur, die zwischen Aufklärung/ Belehrung, technischen Wundern, Deutschtum und schließlich Mysterien in einem manchmal humorvollen, dann aber auch dunklen Ton sich hin und her bewegt. Das wird vor allem im letzten Abschnitt der hier zusammengefassten Lieferungen sehr deutlich.


    Wie schon angedeutet, bleibt der Plot in den Hunderter Lieferungen plötzlich stehen und Robert Kraft besinnt sich auf die ursprüngliche Idee des Gauklerschiffs… Der Autor ist kein Sozialkritiker, aber unabhängig von einigen rassistischen Exzessen setzt er sich gerne mit der Stellung der Frau in der Gesellschaft auseinander. So tritt die Begum mit ihren Amazonen wieder auf. Sie ist auch in dieser seltsamen Landschaft unterhalb der Burg anscheinend gefangen. Kapitän Satin zieht plötzlich im Hintergrund als Gegenspieler zu Merlin einige Fäden. Robert Kraft stellt die Idee des Harems auf den Kopf. So ist Harry Sandow- eine Figur aus den Fünfziger Lieferungen - Gefangener eines weiblichen Sultan. Wie alle anderen Männer wird er ordentlich gemästet, denn die Frauen mögen an ihren Sklaven Griffiges. Ganz im Gegensatz zu den gelangweilten Männern. Robert Kraft spricht es nicht an, aber die Männer in den Harems werden eher wie Eunuchen gehalten, dienen aber nicht der Fortpflanzung. Dazu braucht es echte Männer. Und so will die Begum den ebenfalls in früheren Lieferungen angedeuteten, aber nicht vollzogenen Wettkampf zwischen ihren Amazonen und den Argonauten ausfechten. Der jeweilige Sieger der Duelle darf sich einen Sklaven auf Lebenszeit aussuchen.


    Robert Kraft hat ein sichtliches Vergnügen, die Egos der Argonauten zu erschüttern. Egal in welcher Disziplin sie gegen ihre weiblichen Gegner antreten, sie verlieren und werden zu Sklaven. Tauziehen, Wettschwimmen, Turnen, Ringkämpfe. Nur beim Jonglieren mit den schweren Eisenkugeln gibt es einen einzigen Sieg. Der reicht aber nicht aus, um die stark geschrumpfte Mannschaft der Argos mit den Sklaven in spe wieder aufzufüllen. Selbst der Zwerg Attila mit seinem Bogen muss sich geschlagen geben. Allerdings akzeptiert er die Regeln nicht und brüskiert die Begum.


    Voller pointer Dialoge und mit der wachsenden Verzweiflung des Ich- Erzählers, dem Männer und Ideen ausgehen, hat Robert Kraft an dieser Demontage der von ihm selbst inthronisierten Argonauten ein sichtliches Vergnügen. Eine zeitweilige Lösung - auch dank der immer noch an Bord befindlichen, aufgegriffenen Jugendlichen - beendet zumindest den Schwund an Männern, hilft aber nicht wirklich. Diesen kleinen Sieg hat der Ich- Erzähler mit seinem besonderen Training für die gelangweilte Mannschaft schon in den ersten Lieferungen vorbereitet.


    Alles spielt sich in der kleinen geographischen Blase dieses von Merlin behüteten Tals ab, in dem er allmächtige Zauberer/Magier/Scharlatan Merlin besondere Regeln aufgestellt hat. So dürfen die Amazonen bestimmte Teile des Tals nicht betreten. In ihrem Refugium haben sie eine Art Kult basierend auf den indischen Tradition aufgebaut. In Merlins “Reich” finden sich mit vielen Wasserburgen und Verbindungstunneln eher Hinweise auf eine Art geographisch versetztes Mittelalter.


    Nach den eher spielerischen Wettstreiten mit der Versklavung der “Argos” Crew inklusive der Gäste an Bord wird der Ton der Geschichte deutlich dunkler. Mit einem Trick gelingt den Argonauten der Gegenschlag, basierend auf einer waghalsigen Aktion des Ich- Erzählers. In mehrfacher Form muss die Rache fast den Klischees der Abenteuergeschichte folgend auf den Fuß kommen. Die Geschichte gipfelt in einer Seeschlacht, in welcher Robert Kraft wieder unbekannte Wunder Stoffe mit historischen Taktiken mischt. Die Argos und ihre Argonauten kommen in arge Bedrängnis, da das ursprünglich britische Kriegsschiff für diese Art von Kampf nicht ausgerüstet ist. Auch hier weiß sich Robert Kraft nicht zum ersten, aber vor allem auch nicht zum letzten Mal nur zu helfen, indem eine überirdische Macht eingreift und den Argonauten den Weg weist. Es ist der Auftakt zu einer blutigen Auseinandersetzung, in welcher die Amazonen stellvertretend für die Weiberwelt als hinterhältig, verschroben und schließlich auch brutal beschrieben werden.


    Diese wechselnden Stimmungen können in der Konzentration der Lieferungen auf die Sammelbände ermüdend sein. Der Leser hat das unbestimmte Gefühl, als ob Robert Kraft sich der Ausrichtung seiner Geschichte vor allem in den im abgeschieden gelegenen Tal spielenden Szenen nicht wirklich bewusst gewesen ist. Grundlegende Handlungszüge wie die Idee fahrender Seeleute und die Suche nach dem Filibuster Schatz geraten in den Hintergrund. Aus einem geschlechtsspezifischen Kräftemessen wird eine brutale, blutige Auseinandersetzung, in deren Verlauf die Argonauten auch an einen heimtückischen Mord denken. Dieser Stimmungsumschwung wird begleitet von plötzlich effektiver Nutzung unbekannter Materialien in den Kämpfen. Dabei treffen Pfeil/ Bogen auf Bronze/ Stahl.


    Mit mehr als zweihundertfünfzig Seiten - den Gesamtroman betrachtend - ist dieser Handlungsabschnitt der längste und vielleicht auch spannendste. Mit nur wenigen Veränderungen wäre er aus dem Gesamtkonstrukt heraustrennbar. Erstaunlich ist, welche Komplexität bis in die Hunderter Lieferungen Robert Kraft in einem fürs einfache Volk geschriebenen Fortsetzungsroman entwickelt. Kein Vergleich zu den spannenden, aber auch mechanisch gestrickten fünf Kolportage Romanen Karl Mays. Kein Vergleich zu den nicht selten einfachen Romanzen oder brutalen Mordgeschichten, die zu hunderten von den Hausierern unter das Volk gestreut worden sind. “Das Gauklerschiff oder die Irrfahrt der Argonauten” ist spätestens mit den hier gesammelten Lieferungen im Bereich der mystisch utopischen Abenteuerliteratur angekommen und stellt eine sehr spannende, wenn auch stellenweise langatmige sowie leider in einzelnen Kapiteln auch ein wenig auf die Pointe hin konstruierte moderne Odyssee dar. Und Homers Phantasie übertrifft Robert Kraft bei Weitem.


    Das Gauklerschiff : Die Irrfahrten der Argonauten : Band 3: Neuausgabe in neuer Rechtschreibung des erstmals 1912 in 60 Li...


    Robert Kraft

    Das Gauklerschiff

    Die Irrfahrten der Argonauten

    Neuausgabe in neuer deutscher Rechtschreibung (Hardcover) des erstmals 1912 in 60 Lieferungen zu je 64 Seiten (= 3.840 Seiten) erschienenen illustrierten Lieferungsromans in 4 Bänden


    Band 3 (Kapitel 78–111), 571 S., 44 Illustrationen - 35,00 € — ISBN 978-3-945807-72-9

    http://www.dieter-von-reeken.de


    Quelle: http://www.robots-and-dragons.…7386-gauklerschiff-band-3