«Ich will die Geschichte von Sherlock Holmes mit Musik erzählen»

  • Komponist in Meiringen

    «Ich will die Geschichte von Sherlock Holmes mit Musik erzählen»


    Jonathan Mauvilly war von klein auf von Sherlock Holmes und den Reichenbachfällen fasziniert. Nun hat er dazu Musik für ein grosses Sinfonieorchester komponiert. Eine Begegnung in Meiringen.

    von Godi Huber


    Hier der Komponist Jonathan Mauvilly, da der Meisterdetektiv in Bronze gegossen: «Die Geschichten über Sherlock Holmes habe ich verschlungen.»

    Foto: Godi Huber


    Es regnet an diesem grauen Dezembertag in Meiringen. Einheimische und eine Schar asiatische Touristinnen und Touristen haben sich in die Häuser und Hotels verzogen. Er aber hätte dieses britische Wetter gemocht: Sherlock Holmes, Engländer, Romanfigur, scharfsinniger Detektiv und bekanntester Verbrecherjäger der Literaturgeschichte.


    Bei den tosenden Reichenbachfällen ob Meiringen soll er seinen Gegenspieler James Moriarty in einem grossen Kampf niedergerungen haben. Was den Ort auf ewig zum Hotspot von Sherlock-Holmes-Fans aus aller Welt macht.


    Eine verrückte Idee

    Auch Jonathan Mauvilly (36) trotzt dem tristen Wetter. Der Freiburger steht vor dem Sherlock-Holmes-Museum im Dorfzentrum von Meiringen und lacht: «Das ist für mich ein magischer Ort.» Die Magie ist für ihn so gross, dass sie ihn zu einer «etwas verrückten Idee» inspiriert hat, wie er selbst einräumt.


    Der Musikpädagoge komponierte ein Stück, dem er den Namen «Experience the Reichenbachfalls» gab. Die Komposition soll nicht in erster Linie von einer einzelnen Musikerin oder einem Musiker intoniert werden. Nein, ein grosses Symphonieorchester mit 60 professionellen Musikerinnen und Musikern, mit Streichinstrumenten, Bläsern, Harfen, Pauken und Trompeten soll es sein.


    Magischer Ort: Komponist Jonathan Mauvilly liess sich in Meiringen von Sherlock Holmes inspirieren.

    Foto: Godi Huber


    Von diesem Ziel ist Jonathan Mauvilly an diesem grauen Dezembertag noch 5000 Franken entfernt. Rund 13’000 Franken kostet es, «Experience the Reichenbachfalls» und ein weiteres Stück so einzuspielen, wie sich dies der Komponist vorstellt − mit einem grossen Orchester in der Kulturstadt Prag. An jenem Ort, wo auch die Filmstudios aus Hollywood einen grossen Teil ihrer sinfonischen Filmmusik produzieren lassen.


    Über Sponsoring und Crowdfunding, eine Art «Schwarmfinanzierung» im Internet, ist Mauvilly daran, das Geld aufzutreiben. «Mit Hip-Hop oder Rap wäre es vermutlich einfacher, aber ich bin sehr zuversichtlich, dass ich es schaffen werde.»


    Militärdienst in Meiringen

    Jonathan Mauvilly setzt sich in Meiringen neben Sherlock Holmes. Es ist eine lebensgrosse Bronzestatue des Detektivs, platziert auf dem «Conan Doyle Place». Wer genau hinschaut, findet auf der Statue 60 Rätselzeichen, die alle zu einem Holmes-Roman gehören. Sherlock Holmes habe ihn schon von Kindsbeinen an fasziniert, erzählt Mauvilly. «Die Geschichten über den Meisterdetektiv habe ich verschlungen.»


    Ebenso früh interessierte ihn die Musik. Es begann mit der Blockflöte, dann kam die Trompete in der Dorfmusikgesellschaft. Insbesondere die soziale Komponente des Musizierens, Orchester und Chöre, das grosse Ganze hätten ihn interessiert. Zum Abschluss der Matura präsentierte er eine Eigenkomposition für Blasorchester, bald dirigierte er seinen ersten Chor, begann Musicals zu schreiben und zu inszenieren.


    Jonathan Mauvilly und die Reichenbachfälle: «Ein sehr realer und intensiver Ort».

    Foto: Godi Huber


    Nach Meiringen verschlug es den Freiburger ausgerechnet im Militärdienst, den er als Durchdiener bei der Luftwaffe absolvierte. «Es war keine einfache Zeit, die Musik und das Lesen halfen mir darüber hinweg», erinnert sich Mauvilly.


    Und da sei ihm so richtig aufgegangen, wie wichtig dieser Ort für den Holmes-Schriftsteller Arthur Conan Doyle und sein Werk gewesen sein muss: «Unter Hunderten von möglichen Naturschauplätzen hatte er sich ausgerechnet die Reichenbachfälle im Haslital für das Drama ausgesucht.» Anders als die Baker Street 221b in London, Holmes Wohnhaus, seien die Wasserfälle auch ein «sehr realer und intensiver Ort».


    Kostprobe vom Computer

    So intensiv, dass sich Mauvilly daran erinnerte, als er nach neuen Motiven für sein musikalisches Schaffen Ausschau hielt. Inzwischen als Lehrer an einem Gymnasium und als Familienvater sesshaft geworden, sieht er im Komponieren eine gute Möglichkeit, die praktische Seite des Musizierens weiter auszuleben.


    Dabei gehe es ihm nicht darum, die Musik auf ein neues Niveau zu heben. Er wolle den Menschen mit seinen Mitteln und seinen Möglichkeiten etwas näherbringen, das berührt. «Bei ‹Experience the Reichenbachfalls› geht es mir darum, mit meiner Musik die Geschichte von Sherlock Holmes zu erzählen.»


    Doch wie hat man sich die Musik, die in Partituren fein säuberlich notiert ist und auf die grosse orchestrale Umsetzung wartet, genau vorzustellen? Der Komponist öffnet seinen Laptop und lässt als Kostprobe eine vom Computer generierte elektronische Version erklingen: Eher dunkle Töne sind es zum Auftakt, die immer heller und furioser werden.


    Am Abgrund: So stellt sich der Illustrator den Zweikampf zwischen Holmes und Moriarty vor.

    Foto: Godi Huber


    Sherlock Holmes, selbst ein versierter Geigenspieler und Pfeifenraucher, scheint mit ausdrucksstarken Klängen gemächlich zu den Wasserfällen hochzusteigen. Dr. John Watson, Holmes Assistent, inszeniert durch Streicher und Bläser, sorgt für aufhellende Zwischentöne. Professor James Moriarty, der Herr der Unterwelt und Holmes grosser Gegenspieler, bereitet sich mit dumpfen Tönen auf den alles entscheidenden Kampf vor.


    Das Gute und das Böse

    Die Leserinnen und Leser von «The Final Problem» wissen, dass Holmes und Moriarty schliesslich in den tosenden Wassern des Reichenbachfalles zu Tode stürzen. Doch der Schriftsteller Arthur Conan Doyle liess seinen Romanhelden im vorletzten Jahrhundert wieder auferstehen, weil die Leserschaft unbedingt danach verlangte und weil das Honorar lockte.


    Was tut der Komponist Jonathan Mauvilly in der Gegenwart? Er beendet sein Werk mit furiosen, hoffnungsvollen und hellen Klängen. «Weil das Gute immer über das Böse siegen wird.»


    Quelle: https://www.berneroberlaender.…ik-erzaehlen-921078772669