Offenbach-Operette „Doktor Ox“ feiert in Münster Premiere

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    Offenbach-Operette „Doktor Ox“ feiert in Münster Premiere

    Ein Fest für alle Sinne

    Münster

    Jacques Offenbach erweist sich in seiner Operette „Doktor Ox“ als ein Meister der Beobachtung der ihn umgebenden Gesellschaft. Regisseurin Anna Weber erschafft in ihrer Inszenierung mit Sina Manthey und Hanna Rode eine wunderbare Fantasiewelt. Von Thomas Hilgemeier

    Im Rausch der Droge „Ox-Ygen“ feiern die Bürger von Quiquendonne ein wildes Fest. Foto: Pipprich

    Bürger im Schlafmodus

    Quiquendonne? Das ist eine belgische Kleinstadt, die eigentlich nicht existiert. Und doch steht sie exemplarisch für so viele im ausgehenden 19. Jahrhundert: Saturierte Bürger leben dort und befleißigen sich einer extremen Langsamkeit – nur nicht aufregen und alles ohne Emotionen ganz gemächlich angehen. Das schont die Nerven, ist aber auf Dauer den Geschäften äußerst abträglich: Ohne Fleiß eben doch kein Preis. Und hier kommt Doktor Ox ins Spiel. Er soll die trägen Menschen mittels seiner Wunderdroge „Ox-Ygen“(nichts anderes als Sauerstoff) wieder auf Trab bringen. Doch das Experiment läuft aus dem Ruder. Denn statt zu arbeiten, feiert man, was das Zeug hält, verprasst sein Geld in Gasthäusern und beim käuflichen Sex, steht am Ende verarmt statt wohlhabender da.

    Wunderbare Fantasiewelt

    Jacques Offenbach erweist sich in seiner Operette „Doktor Ox“ wieder als ein Meister der Beobachtung der ihn umgebenden Gesellschaft und nimmt sie – immer gepaart mit Wohlwollen – aufs Korn. Außerdem reichert er die Handlung um eine Liebesgeschichte an, in der Ox die einst von ihm verschmähte Prascovia nach einigen Wirren zum Happy-End in die Arme schließen kann.

    Regisseurin Anna Weber entschließt sich im Theater Münster dazu, gesellschaftliche Implikationen weitgehend unbeachtet zu lassen. Stattdessen erschafft sie gemeinsam mit Sina Manthey und Hanna Rode eine wunderbare Fantasiewelt. Das Ganze scheint in einer überdimensionalen Gummizelle zu spielen. Eine grau-verschlafene Bürgerwelt wird effektvoll kontrastiert mit grellen neonfarbenen Kostümen einer Sci-Fi-Umgebung des Doktor Ox. Ein gelungener Tribut an die literarische Vorlage, einer utopischen Kurzgeschichte von Jules Verne.

    Anja Weber behält auch in den Massenszenen große Übersicht auf der Bühne, lässt niemanden außer Acht. Und so gibt es in jedem Moment etwas zu sehen. Das macht den Abend zu einem großen Vergnügen für die Augen!

    Wildes Getümmel

    Leider geht im wilden Getümmel Offenbachs herrliche Musik ein wenig unter. Das liegt aber auch daran, dass das Stück viele gesprochene Dialoge enthält. Die hätte man, ohne der Handlung zu schaden, ein wenig „eindampfen“ und so der Produktion mehr Stringenz verleihen können.

    Die Ausführenden jedenfalls tun alles, um Offenbach Gehör zu verschaffen: Allen voran der Opernchor Anton Tremmels, der kraftvoll singend, mit toller Bühnenpräsenz und spürbar großem Vergnügen an der Sache das Fundament für das Gelingen legt. Auch die kleineren Rollen werden mit ausstrahlender Freude gesungen.

    Stimmlich überzeugend

    Luise von Stein spielt die raffinierte und quicklebendige Zofe Lotsche. Ludwig Obst glänzt als Ox' Gehilfe Ygen mit ebenmäßigem, markantem Tenor. Auch Garrie Davislim weiß in der Titelrolle durchsetzungsfähig zu überzeugen, erst egoistisch, dann rettungslos verliebt. Überragend Judith Gennrich als Prascovia. Liebe, Hass, Rachegelüste und Ohnmacht legt sie absolut überzeugend mit großer Ausstrahlung und umwerfender Komik in ihre Stimme.

    Thorsten Schmid-Kapfenburg legt mit dem Sinfonieorchester Münster die Brillanz der Offenbachschen Partitur frei, die Ironie, aber auch maßlose, spielerische Übertreibung beinhaltet. Ein Abend, der viele Sinne anspricht.

    Quelle: https://www.wn.de/muensterland/e…e-sinne-2970040

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    Doktor Ox

    Fantastische Operette in drei Akten
    Libretto von Arnold Mortier und Philippe Gille
    nach der Kurzgeschichte Une fantaisie du docteur Ox von Jules Verne (1872)
    Spielfassung von Anna Weber
    Musik von Jacques Offenbach (in der Bearbeitung von Werner Haentjes und Wolfgang Böhmer)

    in deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln in der Fassung von Andre Müller

    Aufführungsdauer: ca. 2 h 55' (eine Pause)

    Premiere im Großen Haus des Theaters Münster am 4. Mai 2024

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    Theater Münster

    (Homepage)

    Spaß im Theater

    Von Thomas Molke / Fotos: © Martina Pipprich

    Von Jacques Offenbach gibt es neben den bekannten Werken des Repertoires wie beispielsweise Les contes d'Hoffmann, Orphée aux enfers oder La belle Hélène zahlreiche Operetten, die größtenteils in den Archiven schlummern, da die satirisch-hintergründige Handlung doch sehr auf die Entstehungszeit bezogen ist und die daraus resultierende Komik sich heute nur bedingt erschließt. In Münster hat man nun ein Stück "ausgegraben", das am 26. Januar 1877 eine umjubelte Premiere im Théâtre des Variétés feierte, aber nach rund 40 Vorstellungen vom Spielplan genommen wurde und in Vergessenheit geriet: Doktor Ox. Eine revidierte Fassung kam in Köln rund 100 Jahre später am 19. September 1978 heraus. Eine Aufführung am Théâtre de L'Athénée in Paris 2003 wurde auf DVD herausgebracht. Ansonsten blieb das Werk sehr unbekannt. Das will Anna Weber in Münster nun ändern und hat eine deutsche Spielfassung erstellt, die als großer Theater-Spaß "Operette für alle!" bieten soll.

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    Selbst die Einnahme des Nachmittagstees verbreitet in Quiquendonne Hektik: von links: Herr van Tricasse (Christian Bo Salle), Niclause (Gregor Dalal), Lotsche (Luise von Stein), Frau van Tricasse (Barbara Bräckelmann) und Suzel (Katharina Sahmland).

    Die Handlung basiert auf der Kurzgeschichte Une fantaisie du docteur Ox von Jules Verne aus dem Jahr 1872. Sie spielt in dem beschaulichen Städtchen Quiquendonne, in dem alles in langsamem Tempo friedlich und ruhig abläuft. Hier plant der wohlhabende Doktor Ox gemeinsam mit seinem Assistenten Ygen ein Experiment. Wasserstoff und Sauerstoff (Oxygen) werden voneinander getrennt und auf unterschiedlichen Wegen in die Stadt gepumpt. Dadurch entsteht ein enormes Wachstum bei den Pflanzen, und die Menschen werden lebhafter aber auch wesentlich aggressiver, so dass sie gegen die Nachbarstadt in den Krieg ziehen wollen. Ein Unfall in Doktor Ox' Fabrik führt zu einer großen Explosion, bei der sich die Gase wieder vermischen und den ursprünglichen Zustand in der Stadt wieder herstellen. Offenbach reichert diese Geschichte um zwei Liebesgeschichten an. Suzel, die Tochter des Bürgermeisters van Tricasse, die eigentlich mit Franz verlobt ist, soll den Forscher Doktor Ox heiraten, wenn er die Stadt mit seinem Experiment zum Wohlstand führt. Das gefällt Prascovia, der ehemaligen Geliebten des Doktors, die ihm mit einer Musikbande heimlich in die Stadt gefolgt ist, überhaupt nicht, und so versucht sie, den Doktor wieder für sich zu gewinnen. Das Gas erweckt in Quiquendonne vor allem die Lust am hedonistischen Konsum und der freien Liebe, führt aber nicht dazu, dass die Wirtschaft belebt wird, was das eigentliche Ziel des Bürgermeisters war. So rebellieren die hohen Herren der Stadt am Ende selbst gegen den Doktor und lösen die Explosion aus, die die Fabrik in Schutt und Asche legt. Ox gesteht Prascovia erneut seine Liebe, und auch Suzel und Franz finden wieder zueinander. Ob die beiden aber ihre Hochzeit erleben werden, wenn alles in der Geschwindigkeit vom Anfang weitergeht, lässt die Aufführung offen.

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    Das Experiment kann beginnen: Doktor Ox (Garrie Davislim, Mitte hinten rechts) und sein Assistent Ygen (Ludwig Obst, Mitte hinten links).

    Sina Manthey hat für die Bühne einen Raum entworfen, der die phlegmatische und langsame Welt von Quiquendonne passend einfängt. Ein nach hinten leicht ansteigender abgeschlossener Raum erinnert in der Struktur an eine Art Gummizelle. Die vertäfelten weißen Wände sind allesamt gepolstert, so dass man nirgendwo wirklich anecken kann. In der Decke prangt ein riesiges schwarzes Loch, das den Eindruck vermittelt, dass dieser Raum allmählich schmilzt. Vor dem Orchestergraben gibt es einen weißen Steg, der den Figuren ermöglicht, aus diesem Raum und ihrer Langsamkeit herauszutreten. Auch die Kostüme von Hanna Rode fangen die Behäbigkeit der Bürgerinnen und Bürger in grauen weiten Kostümen passend ein, da diese ebenfalls keine Ecken und Kanten haben. Die Haare sind allesamt grau und auftoupiert, wobei ein erweiterter Kopfschmuck Standesunterschiede zwischen den Figuren andeutet. Nur die Hausangestellte Lotsche fällt aus dem Rahmen. Sie scheint zu Beginn auch die einzige zu sein, die diesen gemächlichen Raum der Langsamkeit verlassen kann. Doktor Ox und sein Assistent Ygen treten als Wissenschaftler in Anzügen auf, deren Farbe dem Grün des Labors entnommen ist, das sich hinter diesem abgeschlossenen Raum befindet. Wenn die Rückwand in den Schnürboden gezogen wird, sieht man auf einer kleinen schrägen Drehscheibe einen von Nebel umwaberten grünlichen Raum, in dem ein Gebilde mit weißen Kugeln hängt, das ein wenig an ein Planetensystem erinnert.

    Prascovia (Judith Gennrich, rechts) kommt mit der Musikbande der Träumer nach Quiquendonne.

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    Sehr fantasievoll sind auch die Kostüme von Prascovias Musikbande der Träumer gestaltet. Die Figuren verschmelzen gewissermaßen mit dem Instrument, das sie spielen. Farblich heben sie sich deutlich von den Bewohner*innen von Quiquendonne ab. Wenn das Gas dann seine Wirkung tut und alle nur noch für die Lust leben, werden plötzlich rote Röcke bzw. Hosen unter den grauen Kostümen sichtbar. Auch die Requisiten haben an Größe zugenommen. So treten die Bürgerinnen und Bürger mit riesigen Käsestücken, Fischen, Teetassen und Teekannen auf und haben sichtlich Spaß. Der Bürgermeister vergnügt sich mit Lotsche und überlässt ihr sogar seinen Kopfschmuck. Frau van Tricasse gesteht ihrem Schwager Niclause ihre Gefühle, und auch Franz, Suzel und Josse machen die Erfahrung der freien Liebe. Regisseurin Anna Weber inszeniert die Geschichte mit viel Augenzwinkern und einer guten Prise Humor. Bisweilen wird bei den Liedern in den Übertiteln auch nicht der gesungene Text eingeblendet, sondern ein leicht ironischer Kommentar zu der jeweiligen Nummer abgegeben, die auf der Bühne gerade angestimmt wird. Auch die Verwechslungen inszeniert Weber mit großem Tempo. Der Präsident, in dessen Verkleidung zunächst Ox und später sein Gehilfe Ygen schlüpfen, wird kurzerhand aus der ersten Reihe des Publikums auf die Bühne gezerrt. So weiß man am Ende kaum noch, wer wer ist, bevor es dann im dritten Akt zum Showdown kommt und nach der Explosion des Labors der Anfangszustand wieder hergestellt wird.

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    Orgiastische Feier in Quiquendonne (Ensemble)

    Auf die Ouvertüre des Werkes wird an diesem Abend verzichtet. Wenn das Publikum in den Saal kommt, ist die Handlung quasi schon "in vollem Gange". Man sieht den Bürgermeister mit seiner Familie, Niclause, Franz und seinem Vater Josse in Zeitlupe auf der Bühne agieren. Frau van Tricasse strickt, wobei sich das Gestrickte immer wieder auflöst. Aus dem Orchestergraben erklingt langsame Musik, die im Stil fast an Barockmusik erinnert. Relativ unvermittelt geht diese Szene dann in den Abend über, wenn das Licht im Saal erlischt und die Solistinnen und Solisten auf der Bühne zu singen beginnen. Dabei erklingt am Anfang ein Lied, das am Ende wieder aufgenommen wird, wenn nach dem ganzen Chaos, das das Gas verursacht hat, der Zustand vom Beginn des Abends wieder hergestellt ist. Beim beginnenden Schlussapplaus strömt dann noch einmal das ganze Ensemble auf die Bühne und vermittelt die "Moral von der Geschichte": Habt Spaß im Theater!

    Thorsten Schmid-Kapfenburg lotet mit dem Sinfonieorchester Münster die unterschiedlichen Tempi der Partitur differenziert aus. So gelingen ihm wunderbar langsame Bögen, um den Lauf der Dinge im verschlafenen Städtchen Quiquendonne zu zeichnen, die sich durch die Wirkung des Oxygens in eine Klangwelt verwandeln, wie man sie aus anderen Offenbach-Operetten gewohnt ist. Auch der um den Extrachor erweiterte Opernchor unter der Leitung von Anton Tremmel begeistert durch große Spielfreude und homogenen Klang. Am Ende der Pause heizt er im Foyer die Stimmung so richtig an, so dass man gar nicht weiß, ob man sich trotz des Klingelzeichens schon wieder in den Saal begeben möchte. Auch die Solistinnen und Solisten bewegen sich auf gutem Niveau. Garrie Davislim gibt die Titelpartie als leicht abgehobenen Wissenschaftler mit leicht britischem Standesdünkel und punktet durch sauber angesetzten Tenor. Wunderbar versucht er zunächst, vor seiner ehemaligen Geliebten Prascovia zu fliehen, und denkt sich immer wieder neue Gemeinheiten aus, bis er am Ende ihrem Charme dann doch erliegt. Judith Gennrich gestaltet die Partie der Prascovia mit vollem Mezzosopran und intensivem Spiel, entfacht dabei aber auch eine enorme Komik, wenn sie Ox zu überlisten versucht.

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    Niclause (Gregor Dalal) liebt seine Schwägerin Frau van Tricasse (Barbara Bräckelmann).

    Ludwig Obst legt Ox's Assistenten Ygen mit großem Spielwitz an und flirtet dabei heftig mit Lotsche, der Angestellten des Hauses. Luise von Stein versprüht als pfiffige Angestellte freche Komik und zieht aus den Männern einen monetären Vorteil. Musikalisch bleibt vor allem die Nummer des Niclause im Ohr, der sich rühmt, seiner Schwägerin um die Taille gefasst zu haben. Gregor Dalal punktet hier mit überbordender Komik, wenn er durch den Genuss des Gases allmählich seine Hemmungen verliert und offen die Gefühle für seine Schwägerin gesteht. Barbara Bräckelmann entwickelt sich mit dunkel gefärbtem Mezzo von einer gemächlich strickenden Gattin in eine feurige Liebhaberin, die neben Niclause auch noch weitere Eisen im Feuer hat. Auch die übrigen kleineren Partien sind gut besetzt, so dass es für alle Beteiligten großen Beifall gibt, in den sich auch das Regie-Team einreiht.

    FAZIT

    Anna Webers Inszenierung der unbekannten Offenbach-Operette macht großen Spaß, auch wenn das Stück insgesamt nicht als ganz großer Wurf des "Kölner Jungen" betrachtet werden kann.

    Quelle: http://www.omm.de/veranstaltunge…-doktor-ox.html

  • MÜNSTER/ Theater: DOKTOR OX – opéra bouffe von Jaques Offenbach

    08.05.2024 | Oper international, Operette/Musical

    Münster Theater – Jacques Offenbach „Doktor Ox“

    Premiere 4. Mai 2024

    Foto: Martina Pipprich

    Als eine seiner phantastischen Zukunftsvisionen veröffentlichte Jules Verne 1872 eine Erzählung „une fantaisie du docteur Ox“. In einem Experiment infiltriert dieser Doktor Ox zusammen mit seinem Gehilfen Ygène (ergibt Oxygène für Sauerstoff) ein Gas in die verschlafene Kleinstadt Quiquendonne. Das verursacht bei der Bevölkerung jegliche Art von Raserei. Als zum Schluß das Labor, in dem das Gas hergestellt wurde, explodiert, werden alle wieder so verschlafen wie vorher.

    Nach diesem Stoff komponierte Jacques Offenbach auf ein Libretto von A. Mortier und P. Gilles eine 1877 uraufgeführte „opéra bouffe“ in drei Akten und sechs Bildern. Der Handlung fügen sie als Liebesgeschichte hinzu, dass eine Frau offenbar exotischer Herkunft namens Prascovia Doktor Ox bis zum Schluß mit Einlösung eines früheren Heiratsversprechens bedrängt.

    In einer musikalischen Bearbeitung der Komponisten Werner Haentjes und Wolfgang Böhmer unter der musikalischen Leitung von Thorsten Schmid-Kapfenburg hatte unter der Bezeichnung „fantastische Operette“ der „Doktor Ox“ am vergangenen Samstag Premiere am Theater Münster. Deutsche Übertitel, darunter auch ironische Kommentierung der Handlung, stammten von Andre Müller. Die Regisseurin des Abends, Anna Weber, verfasste eine eigene „Spielfassung“, dies vielleicht aus ihrer im Programmheft postulierten Absicht, eine „Operette für Alle“ aufzuführen, auch für ein „theaterfernes Publikum“. Ob dazu eine Betrachtung im Programmheft über „die Ataraxie der griechischen Stoa“ paßt, ist fraglich. Dafür hatte sie „viele Sprechdialoge auf musikalische Passagen gesetzt, quasi wie bei einem Melodram“ – für den Bewunderer der Musik Offenbachs allzu viele.

    Das Bühnenbild von Sina Manthey bestand aus einer Art viereckigen Blase mit etwas elastischem Boden. Die Rückseite war in gepolsterte Vierecke aufgeteilt. Das sollte wohl auch die akustische Abgeschlossenheit der Einwohner von der Aussenwelt verdeutlichen. Ganz im Gegensatz war das Labor von Dr. Ox in grellem Grün beleuchtet (Licht Jan Hördemann) zuerst bevölkert von bedrohlich aussehenden fremden Figuren in Raumfahrer-Kostümen. Unter der Decke wurde durch eine Art beleuchteter Drohne die Gaszufuhr geregelt.

    Die Kostüme (Hanna Rode) der Einheimischen bestanden aus grauem Schlabberlook und hohen Kopfbedeckungen. Doktor Ox und Assistent Ygen waren als Pseudo-Wissenschaftler in dem grellen Grün des Labors übertrieben medizinisch gekleidet. Prascovia drang in diese Welt ein mit einer Gruppe, die als Musikinstrumente kostümiert waren, als Bratsche, E-Gitarre, Klarinette, Cello, auch gewaltige Tuba und Kontrabass. Ihr Anführer Shavoura (Frank Göbel) fiel zunächst dadurch auf, dass er alle möglichen Gifte als Leckerbissen verzehrte. Diese sogenannten „Träumer“ benutzten für ihre Auftritte auch einen Steg vor dem Orchestergraben – langjährige Opernbesucher erinnerte das an die legendäre Aufführung des „Ring des Nibelungen“

    In diesem Rahmen wurde die Handlung unterhaltsam aufgeführt. Beginnend schon vor der eigentlichen Vorstellung zeigte der erste Akt das spießbürgerlich-ruhige Leben dadurch, dass alle Anwesenden sich auf der Bühne ganz behäbig bewegten und ganz langsam sprachen, bei den Gesangsnummern ging es etwas lebhafter zu. Eine Schachpartie dauerte so z.B. mehrere Jahre. Nur die Hausangestellte Lotsche verhielt sich normal. (darstellerisch und stimmlich während der ganzen Aufführung großartig Luise von Stein). Allerdings fürchtete der Bürgermeister van Tricasse (Christian Bo Salle in einer Sprechrolle) um die Wettbewerbsfähigkeit von Quiquendonne und hatte deshalb dem berühmten Wissenschaftler Doktor Ox die Hand seiner Tochter Suzel (Katharina Sahmland) versprochen, wenn dieser durch Verwendung eines speziellen Gases den Einwohnern etwas mehr geschäftliche Initiative verschaffte. Ein erstes Experiment mit dem Gas zeigte aber nur Wirkung dadurch, dass bisher unbekannte Triebhaftigkeit die Einwohner befiel. Herr van Tricasse etwa suchte sein Glück bei der Dienstmagd Lotsche und Frau van Tricasse (Barbara Bräckelmann mit heller Sopranstimme) ließ sich vom Hausfreund Niclause umarmen.

    Im zweiten und der ersten Hälfte des dritten Aktes zeigte sich nun die chaotische Wirkung der zweiten, grösseren Dosis des Gases. Alle Bewohnerinnen und Bewohner praktizierten und verherrlichten freie Liebe und Schlemmen von edlen alkoholischen Getränken und delikaten Speisen – letztere waren auch auf dem Steg vor dem Orchestergraben zu sehen. Gleichzeitig schaffte es Ox durch Tricks wie Kleiderwechsel mit einem sogenannten „Präsidenten“ den Nachstellungen von Prascovia zu entkommen.

    In der zweiten Hälfte des dritten Aktes unterlag dann Doktor Ox selbst der Wirkung seines Gases und entdeckte wieder seine frühere Liebe zu Prascovia.

    Gleichzeitig mußten die Stadtoberen feststellen, dass das Gas nicht die Wirtschaft angekurbelt hatte, sondern als Folge des hemmungslosen Lebensgenusses der Einwohner die Stadt in den Bankrott führte. Nur Frauen, Wirte und Musiker hatten profitiert, wie diese durch Anhäufung von Dollar-Münzen zeigten. Deshalb wurde ein Ende der Gaszufuhr gefordert. Da im Liebestaumel Ox der Prascovia das notwendige Kennwort verraten hatte, konnte durch eine Explosion die Verbreitung des Gases beendet werden.

    Bei der Besetzung der Hauptpartien war vor allem Judith Gennrich als Prascovia zu bewundern, langjährigen Opernbesuchern noch als Octavian im Rosenkavalier oder betreffend Offenbach als „Périchole“ in bester Erinnerung. Mit ausdrucksvollem Mezzo-Sopran bis hin zu Spitzentönen gestaltete sie Wut, Komik und Liebesverlangen in ihren Soli. Höhepunkte waren ihre Duette mit Ox (Garrie Davislim mit kräftigem wenn nötig auch lyrischem Tenor), einmal, als sie beide verkleidet als Präsident und Putzfrau sich unerkannt Liebe gestanden, und beim grossen Schlußduett. Schauspielerisches Talent und tenorale Kunstfertigkeit zeigte auch Ludwig Obst als Ox’s Assistent Ygen. Als Niclause hatte Gregor Dalal schauspielerisch und gesanglich eine grandiose Szene, als er bedauerte oder auch nicht bedauerte, als Wirkung des Gases Frau van Tricasse um die Taille gefaßt zu haben.

    Gar nicht genug bewundern konnte man Chor und Extrachor in der Einstudierung von Anton Tremmel. Schwungvoll und präzise sangen sie auf der Bühne, vor der Bühne und seitlich im Zuschauerraum und spielten gekonnt die „hedonistischen“ Szenen. Dazu gehörte auch eine Persiflage des Can-Can.

    Monotone Langsamkeit zur Begleitung der spießbürgerlichen Szenen sowie Schwung und Präzision für die Haupthandlung ließ das Sinfonieorchester Münster hören. Das war betreffend Orchester und der grossen Zahl von Mitwirkenden der überlegenen musikalischen Leitung von Thorsten Schmid-Kapfenburg zu verdanken.

    Nachdem das Gaslabor explodiert war, sah man zum Schluß dieselben Personen in derselben langsamen phlegmatischen Bewegung im bekannten Bühnenbild das frühere Leben in Quiquendonne weiterführen. Da blieb für das Publikum die Frage offen, ob überhaupt irgendein Gas Ursache dieses „Sommernachtstraums“ sein konnte oder, wie es in einer nur wenig früher uraufgeführten heiteren Oper heißt, „Ein Glühwurm fand sein Weibchen nicht“

    Wie nach dieser Aufführung zu erwarten gab es langen Applaus und viele Bravos für Sängerinnen und Sänger, vor allem der Hauptpartien, besonders für den Dirigenten, das Orchester und auch für das Leitungsteam.

    Sigi Brockmann 6. Mai 2024

    Quelle: https://onlinemerker.com/muenster-theat…ques-offenbach/

  • Dann wünsche ich euch viel Spaß!!! Trotz Bearbeitungen und weitgehender Eingriffe in die musikalische Struktur, die ja auch für diese (ehemalige DDR-) Fassung von André Müller u.a. gilt,bleibt immer noch genug von Offenbachs Geist übrig.

    Vor ziemlich genau einem Jahr habe ich an einer Aufführung am Theater von Luzern teilgenommen, die auf derselben Bearbeitung beruhte, und die die Regie noch um die üblichen Offenbach-Hits und Anspielungen auf die Luzerner Stadtgeschichte "bereichert" hatte, um dem Publikum zusätzliche Schmankerl anbieten zu können. Damit kam das Stück gut an. Naja. Trotzdem aber ein schönes Erlebnis unter freiem Himmel, was fast den angekündigten Gewittern zum Opfer gefallen wäre (die gibt es ja auch für den heutigen Abend wieder). Die fanden dann erst am folgenden Tag statt, haben ganze Bahngleise aus den Fugen gespült und damit meine Rückreise nach Göttingen um einige Abenteuer bereichert, auf die ich wie bei den Offenbach-Zutaten auch gerne verzichtet hätte...

    volker

  • Oh je. Zu viel Sauerstoff führte dazu, dass auf der Bühne gevögelt wurde =O Wir haben das Stück in der Pause verlassen... Das war mir dann doch zu modern umgesetzt! Musik und Orchester waren sehr gut. Jules Verne hätte sich nicht im Grab umgedreht, weil er seinen Dr. Ox gar nicht erkannt hätte.

    So konnte ich noch die zweite Halbzeit schauen :blauweiss::tor:

  • Jules Verne hätte sich nicht im Grab umgedreht, weil er seinen Dr. Ox gar nicht erkannt hätte.

    Das passt ja zur Doktor-Ox-Geschichte. Da wird erwähnt, dass Offenbach (wie auch Hervé) seine Werke nicht wiedererkannt hätte, da sie bei Aufführungen in Quiquendone zu stark verändert wurden … aufgrund des Schneckentempos, in dem sie gespielt wurden. (Das bezieht sich auf die Erstfassung, nicht die Hetzel-Fassung, s. N43.)

    Man liest ab und zu mal, dass den Theatern langsam die Zuschauer ausgehen, wg. „Regietheater“ und weil man zu viel Sozialpädagogik betreibt. Aber was soll’s, es wird ja vom Staat subventioniert, weil es kulturell so wertvoll ist. Wen kümmern da die Wünsche des Publikums?

    :blauweiss:

    Schalke-Schal :thumbup:;) (Die sind aber immer noch in der 2. Liga, schade.) Und Smiley in Dortmund-Farben ;) Ruhrpott!

    Nautron respoc lorni virch.

    Edited once, last by Poldi (June 30, 2024 at 7:55 PM).

  • Zurück zu Ox: wenn es keine besseren Einfälle mehr gibt, dann muss die so oft in der Kunst gescholtene Erotik oder derbere Varianten herhalten. Vielleicht kommt man wenigstens so ins Gerede.

    Bei unserem hiesigen Staatstheater musste in dieser Spielsaison in Anna Karenina eine zehnminütige Duschszene mit einer Schauspielerin eingebaut werden. Passte überhaupt nicht zum Stück, sorgte aber für Aufmerksamkeit…

  • Naja, Sex und Erotik als Selbstzweck (ohne Bezug zum Werk) oder als bloße Publikumsprovokation, das passt besser zum Theater der 1980er Jahre. Ich dachte, darüber wären wir hinweg, aber wenn das heute wieder verfängt...

    Grundsätzlich passt das orgiastische Ausufern der Lust ja durchaus zu Vernes Geschichte (und Offenbachs opéra-bouffe); auch wenn Verne es gezwungenermaßen bei Andeutungen belässt, kann man heutzutage schon deutlicher werden, um eine entsprechende Wirkung zu erzielen. Aber ich habe die Münsteraner Aufführung nicht gesehen, und deshalb bleiben meine Ausführungen nur theoretisch.

    In Luzern ging es auch deftig zur Sache, allerdings waren die Andeutungen dort einmal mehr wesentlich wirkungsvoller als die plakative Zurschaustellung - das ist ein wesentlicher Unterschied, der im Theater immer wieder gerne übersehen wird. Provokation ist zeitgebunden, weil der Geschmack und die Sitten sich wandeln, und deshalb immer nur von eingeschränkter Wirkung.

    volker

  • Es war auch gar nicht meine Absicht, dir das zu unterstellen! 8o Theater, wie Kunst allgemein, ist Geschmackssache, keine Frage, und natürlich hat man das Recht, sein Missfallen dadurch zu bekunden, dass man einfach weggeht. Grundsätzlich wollte ich nur darauf hinweisen, dass die Einbindung provokanter Aspekte durchaus sinnvoll sein kann, wenn das Thema es erlaubt oder erfordert. Schade nur, wenn - wie in eurem Fall - Nebensächlichkeiten den Genuss des Ganzen eingeschränkt und schließlich beendet haben. Aber wie du schon schriebst: da gab es ja noch eine Alternativveranstaltung.

    volker

    Edited once, last by Volker Dehs: eventuell missverständliches Wort entfernen (hä) (July 1, 2024 at 7:48 PM).

  • Zur Veranstaltung gab es auch ein Programmheft.


    Dort wird nicht nur die Handlung in 3 Akten beschreiben, es gibt auch einen kurzen Auszug aus Vernes Kurzgeschichte.

    Interviews mit der Regisseurin Anna Weber, der Bühnenbildnerin Sina Manthey und der Kostümbildnerin Hanna Rode erzählen die Entstehung der Operette.

    Es wird auch erklärt, wie Jacques Offenbach in seiner Zeit Operetten geschrieben hat und dabei oft auf aktuelles politisches Geschehen eingegangen ist.

    Ich bin mit falschen Voraussetzungen in die Operette gegangen: Ich habe eine musikalische Umsetzung der Kurzgeschichte Jules Vernes erwartet, habe aber bereits eine Interpretation der Geschichte von Jacques Offenbach gesehen, die wiederum durch eine moderne Operetteninszenierung umgesetzt wurde.