Spaziergänge in nördlichen, finnischen Wäldern können zu unangenehmen Begegnungen führen. Denn dort, irgendwo zwischen den Blockhütten, hausen düstere Gestalten: eine halb verweste Mumie, ein blondgelocktes Skelett mit ebenso verwestem Gebiss, ein Furcht erregendes Alien, eine maskierte Vampirbraut und sogar der Gehörnte selbst.
Oder einfach Lordi. Amen, Kita, Awa, Ox und eben jener Lordi geben dem Begriff "Monster Metal" eine ganz neue, ziemlich schockierende Bedeutung. Nach drei Alben kommen die gruseligen Nordlichter nun aus ihren finsteren Wäldern nach Athen gekrochen, um den "Eurovision Song Contest" heimzusuchen.
Während die deutschen Teilnehmer Olli Dietrich und seine Band Texas Lightning beim Grand Prix den "typischen Duft von Saloon und Pulverdampf" versprühen wollen, dürften Lordi dort eher den Hauch des Todes verströmen. Im Vergleich zu den Finnen sehen Slipknot mit ihren Monstermasken und Kettensägen aus wie Statisten der Augsburger Puppenkiste. Um so harmloser sind die Ursprünge des Monsteriums. "Unser Sänger war schon immer ein großer Horrorfilm-Fan. Er hatte plötzlich diesen Einfall, dass es cool wäre, wenn Freddy Krüger Gitarre spielen würde. Hardrock und Horrorfilm vereint in einer Band. Es war seine Idee, und die haben wir gemeinsam verwirklicht. So einfach ist das."
Gesucht und gefunden hatten sich die Fünf über den Kiss Army Fanclub, dessen Präsidentschaft der Sänger inne hat. Der kommt übrigens aus Rovaniemi, der Hauptstadt Lapplands, unweit des Polarkreises, wo bekanntlich auch der Weihnachtsmann wohnt. Tür an Tür mit Santa Claus hat Lordi also bereits in Kindertagen seine Leidenschaft für alles Makabre sowie fürs Schneidern entdeckt. Der Bandleader wacht höchstpersönlich über das Grauen aus Gummi, Stoff und Fell. "Er entwirft alle Masken selbst. Früher war das eines seiner Hobbys, heute ist es eben sein Beruf", erzählt Schlagzeuger Kita, dem Lordi ein abgefahrenes Alienkostüm mit dolchähnlichen Zähnen verpasste.
Die Bühnenshow der finnischen Metal-Zombies sorgt für Reizüberflutung. Was den Grand Prix-Zuschauer erwartet? "Wir werden eine große Rock'n'Roll-Show veranstalten, mit Pyrotechnik und Monstern. Wir werden die komplette Bühne rocken." Das lassen sich die Finnen "Tausende von Euros" kosten. Wenn es um ihren Auftritt geht, überlassen die Monster nichts dem Zufall. "Wir bauen bei jeder einzelnen Probe die Pyro-Effekte mit ein, damit es bei der Show auch wirklich funktioniert."
Also nichts mehr mit "Ein bisschen Frieden". Also vorsorglich die Flasche "Doppelherz" bereitlegen. Denn bei dem schlachtähnlichen Auftritt der rockenden Orks könnte es den einen oder anderen Atemaussetzer beim betagten Publikum geben. "In Finnland schauen fast nur alte Leute den Wettbewerb", sagt Kita. In Deutschland locken die Max Mutzkes und Stefan Raabs dagegen schon seit längerem auch jüngere Leute vor den Bildschirm. Dank Lordi streift der Grandprix nun auch in nördlichen Gefilden den Rentnertouch ab. "Es ist das erste Mal seit langer Zeit, dass auch jüngeres Publikum sich an der Wahl zum Vorentscheid beteiligt hat", erzählt Kita, nicht ohne Stolz.
Doch mit Lob durfte dafür keiner der Lordis rechnen. Zuschauer und Kirchenmitglieder gingen, auch im eigenen Land, auf die Barrikaden. "Manche sagten, es sei lächerlich, uns zum Contest zu schicken. Das Ganze fanden wir ziemlich traurig. Diese Gerüchte um Satansanbetung zum Beispiel stimmen definitiv nicht. Ich habe selber einige Jahre in der Kirche gearbeitet", erinnert sich Kita. "Dort gibt es viele Menschen, die uns unterstützen. Die wissen, dass es nur um Entertainment geht."
Relativ unspektakulär dagegen sei der deutsche Beitrag von Texas Lightning. "Das ist komplett anders. Die singen dieses fröhliche Lied mit lachenden Gesichtern. Wir dagegen ziehen das Horror-Thema durch. Aber wir halten 'No No Never' für einen richtig guten Pop-Song. Deutschland scheint gute Karten zu haben." Die eigenen Chancen dagegen schätzen Lordi weniger rosig ein. "Unser Hauptziel ist, überhaupt ins Finale zu kommen. Das wäre das erste Mal, dass es Finnland dorthin schafft. Allerdings nehmen wir das Ganze nicht allzu ernst. Natürlich werden wir unser Bestes geben, aber wir haben noch sämtliche europäische Sommerfestivals vor uns, im Herbst steht die nächste Europa-Tour an. Der 'Eurovision Song Contest' ist also nur einer von vielen Meilensteinen."
Vielleicht aber gerade derjenige, der die Karriere so richtig ins Rollen bringt. Schon jetzt tingeln Lordi durch die internationale Presse, bevor der Wettbewerb überhaupt begonnen hat. Dass sie gerade aus Finnland kommen, überrascht dabei eigentlich kaum noch. Scheint Finnland doch die Schmiede düsterer Metalbands schlechthin zu sein. Ein Phänomen? "Finnland ist eben ein sehr kaltes Land im Winter. Schön, aber eben auch sehr dunkel. Dann sieht man drei Monate lang kaum die Sonne. Deshalb sind viele Leute ärgerlich und frustriert, sicherlich mehr als jemand, der aus Kalifornien kommt. Das schlägt sich wohl in der Musik nieder. Wir sind eben nicht die Beach Boys."
Frust oder gar Depressionen kann man den Jungs von Lordi allerdings kaum vorwerfen, sind sie bei ihren Auftritten doch immer gut drauf. "Die Leute sollen bei unseren Shows den Alltag vergessen. Wir wollen einfach eine gute Show bieten. Bei uns geht es nur um Rock'n'Roll."
quelle: dpa
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