Fatale Folgen

  • Fatale Folgen

    Von Edwin Baumgartner


    Fortsetzungen von Romanen missglücken nahezu regelmäßig. "Winnetou" ist da kein Erstfall.


    Es geht doch wirklich jedes Mal schief! Absolut jedes Mal! Werden Autoren und Verlage klüger daraus? - Nein, natürlich nicht. Als ob sie das eine einzige Mal, in dem es nicht schiefgegangen ist, wiederholen könnten!


    Ravensburger also hat den "Winnetou" weiterschreiben lassen, und jetzt watet man im Sumpf: Die Woken, weil sie wieder einmal mit ihrer Political Correctness überzogen haben; die Nicht-Woken, weil der Irrsinn, den sie entfesselt haben, glauben lässt, die deutschsprachige Literatur von Nibelungenlied bis Thomas Bernhard werde ab übermorgen verboten mit der einzigen Ausnahme Elfriede Jelinek; und die Doofen, die bis heute nicht kapieren, dass es nicht um Karl May geht, sondern um eine Fortsetzung aus nicht-karl-may’scher Hand.


    Die Idee der Fortsetzung

    Wienerisch gesagt: Es ist ein G’frett. Und das G’frett beginnt am Anfang, also bei dieser Fortsetzungsidee.


    Ein Roman ist ein Roman ist ein Roman - und weder eine Rose, für die Gertrude Stein solches postuliert hat, noch ein Film. Im Film nämlich klappt das mit den Fortsetzungen aus unterschiedlicher Regisseurshand - nicht immer ("Saw" war aber schon beim Original ein rechter Sado-Mist, und "Der weiße Hai" ist halt immer mehr zum flossigen Kulinarium degeneriert), aber fallweise: die "Alien"-Reihe, (zumindest) "Terminator II", ein paar der gefühlten dreiundvierzig "Halloween"- und sechsundneunzig "Nightmare on Elm Street"-Sequels. "Star Trek" - auch nicht übel. Und wenn man so tut, als gäbe es nicht

    Alfred Hitchcocks turmhoch überlegenen "Psycho"-Thriller, dann könnte man glatt meinen, dass auch in diesem Fall die "Psycho"-Fortsetzungen funktioniert haben.


    Fällt was auf? - Das bewegt sich alles im Bereich von Science Fiction und Horror. Und jetzt bitte nicht mit den "Keinohrhasen" und ähnlichen Tillismen argumentieren, das sind keine Filme, das sind Zumutungen.


    Der Vorteil einer Fortsetzung besteht darin, dass zumindest ein Charakter nicht neu geschaffen, sondern - bestenfalls - weiterentwickelt werden muss. Ripley und das Alien bleiben als Konstante, ebenso die Besatzung des Raumschiffs "Enterprise" (samt Übergabe an die Neuen). Der Zuschauer richtet sich ein im Mehr vom Ähnlichen.


    Aus irgendeinem Grund aber dürfte das nur dann gutgehen, wenn eine bildliche Komponente dabei ist - denn auch Comics können davon profitieren: Man denke nur an die Diskussionen der Duckologen, ob nun Carl Barks oder Don Rosa der bessere Entenzeichner war; man denke aber ebenso an die "Astérix"-Misere nach dem Tod des Texters René Goscinny und dem späteren des Zeichners Albert Uderzo. Es hat lange gebraucht, bis sich die Serie wieder halbwegs erfangen hat.


    Im Bereich der Literatur aber geht es wirklich jedes Mal schief! Absolut jedes Mal! (Das war keine Fortsetzung, das war eine Wiederholung.)


    Friedrich Schillers "Geisterseher" zum Beispiel: Schiller mochte seinen Kolportageroman absolut nicht, er schrieb ihn in Fortsetzungen zum Geldverdienen und ließ ihn unvollendet, als er das letzte Fünkchen seines ohnedies geringen Interesses an der Welt der Geheimgesellschaften und Mystifikationen verloren hatte.


    Aber die Leser wollten wissen, wie es ausgeht. So machten sich ans Werk: Karl Friedrich Kahlert, Heinrich Zschokke, Karl August Gottlieb Seidel, Ignaz Ferdinand Arnold, und das sind keineswegs alle. Hanns Heinz Ewers, berühmt für seinen Sex-and-Horror-Schwulst "Alraune", berüchtigt für seinen NS-Schrott "Horst Wessel", finalisierte den "Geisterseher" als den Schundroman, den Schiller ganz gewiss nicht beabsichtigt hatte.


    Die Lehre des "Geistersehers"

    Die ganze Angelegenheit ist lehrreich: Wenn die Fortsetzung gelingen soll, kann der Autor zwar die Charaktere modifizieren, er muss aber die Höhe von Handlung und Sprache des Originals beibehalten. Andernfalls wird die Fortsetzung überflüssig.


    Genau so ist es den Fortsetzern und Fortsetzungen denn auch ergangen: Alexandra Ripley, die in "Scarlett" Margaret Mitchells "Vom Winde verweht" weiterschrieb, Susan Hill mit "Rebeccas Vermächtnis" nach Daphne du Mauriers "Rebecca", Suleika Dawson mit "The Forsytes: the Saga Continues", nämlich die Trilogie von John Galsworthy. "Pemberley" von Emma Tennant und "Presumption" von Julia Barrett schrieben Jane Austens "Stolz und Vorurteil" weiter, was die männliche Hauptfigur aus Emily Brontës "Sturmhöhe" später treibt, haben sich Jeffrey Caine und Lin Haire Sargeant in jeweils "Heathcliff" betitelten Romanen ausgedacht. Und August Derleth machte den Ewers mit H. P. Lovecraft, indem er dessen Fragment "Das Grauen vor der Tür" als öden schematischen Horrorroman zu Ende brachte.


    Recycling-Literatur aus zweitklassiger Hand das alles? - Es ist kein Zufall, dass unter den Fortschreibern keine Autoren sind, die man einer Anwärterschaft auf den Literaturnobelpreis verdächtigen könnte. Apropos: Auch "Doktor Schiwago" wurde fortgesetzt mit "Laras Tochter". Alexander Mollin freilich bekam, anders als Boris Pasternak, keine Chance, die Auszeichnung, aus welchen Gründen auch immer, abzulehnen.


    Die eine Ausnahme

    Nur ein Mal, dieses eine Mal - das war anders: Edgar Allan Poes Roman "Arthur Gordon Pym" ist so vollgestopft mit Unwahrscheinlichkeiten, Unmöglichkeiten, Übertreibungen, kurz: dermaßen missglückt, dass Literaturkundler rätseln, ob der Meister der Gruselgeschichte ihn ernst gemeint oder als Parodie auf die populären Schauerromane geschrieben hat.


    Jules Verne nahm ihn ernst. Er setzte ihn mit der "Eissphinx" fort und übertraf den ersten Teil bei weitem. Im Rahmen einer Abenteuererzählung passen nun Charaktere und Handlungsführung, und zwar, weil sich Verne so geschickt freigemacht hat vom Original, dass man die "Eissphinx" als eigenständigen Roman lesen kann. Was man von der Erzählung Poes wissen muss, verpackte Verne geschickt hinein.


    Das wär’s gewesen: So hätte es mit Winnetou klappen können, nämlich nicht hinerzählen auf Karl May und dessen heute zwangsläufig veraltete Sicht auf die Indigenen, sondern frei fabulierend, nur mit dem Wissen, dass es einen Karl May mit seinen Romangestalten Winnetou und Old Shatterhand gegeben hat.


    Doch wer ist schon ein Jules Verne?


    Und es ist danebengegangen. Spektakulärer diesmal als bei "Scarlett" und "Laras Tochter", vor allem von mehr Erregung begleitet. Aber schiefgegangen ist schiefgegangen ist schiefgegangen.


    Wieder einmal.


    Wie - fast - jedes Mal.


    Quelle: https://www.wienerzeitung.at/h/fatale-folgen

  • Der Herr Baumgartner trifft es auf den Punkt. Meist kommen Autoren aus der zweiten bis zur letzten Reihe, um "Fortsetzungen" von bekannten Werken zu schreiben. Und meistens geht es schief, oder die Autoren machen sich lächerlich. Klar klingt es nach einem guten Rezept, schon bekannte Romanfiguren wieder aufleben zu lassen, um sie dann, heute unter Pastiche zusammengefasst, zu einem neuen "Werk" zu verwursten. Aber so schön wie im o.g. Artikel hätte ich es nicht formulieren können: "...Aber schiefgegangen ist schiefgegangen ist schiefgegangen."